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KWF-Thementage

Einzelschutz

Yannic Graf (r.) und Anton Schnabl von der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg stellen eine vollständig biobasierte Wuchshülle von Joma-Polytec vor, die im Wald abbaubar ist

Prof. Sebastian Hein aus Rottenburg ist wohl der Experte in Deutschland, der sich am intensivsten um das Thema Einzelschutz bzw. Wuchshüllen kümmert. Davon zeugen allein die zahlreichen Artikel, die er und seine Mitarbeiter im Laufe der letzten Jahre veröffentlicht haben. Noch bis Mitte 2023 koordiniert er außerdem ein Verbundvorhaben mit dem Namen The ForestCleanup, das unter anderem Wuchshüllen aus nachwachsenden Rohstoffen entwickelt, die nachweislich zu 100 % im Wald abbaubar sind.

Kreislaufwirtschaftsgesetz

Die Waldbesitzer haben nämlich ein Problem: Sie verwenden bisher ganz überwiegend Wuchshüllen aus Kunststoffen aller Art. Aber ob sie nun aus Polypropylen (PP), Polyethylen (PE) High-Density Polyethylen (HDPE) oder Polyvinylchlorid (PVC) bestehen, sie sind allesamt nicht biologisch abbaubar und müssen nach Maßgabe des Kreislaufwirtschaftsgesetzes wieder eingesammelt und entsorgt werden, sobald die Pflanzen keines Schutzes mehr bedürfen. In Wirklichkeit geschieht das aber nur unzureichend. Professor Hein zufolge werden in Deutschland jedes Jahr Wuchshüllen im zweistelligen Millionenbereich eingesetzt, allein in Baden-Württemberg waren es zwischen 228.000 und 387.000. Die Rückbauquote beträgt dabei im Staats- und Kommunalwald nur 49 % und im Privatwald sogar nur 20 %.

Wuchshüllen bestehen den Untersuchungen der Hochschule Rottenburg zufolge heute zu 60 % aus den oben genannten, schwer oder gar unverrottbaren Kunststoffen auf Erdölbasis. Bei weiteren 21 % fehlen Angaben zu den verwendeten Materialien. Die Forscher gehen aber davon aus, dass sie ebenfalls aus Plastik bestehen. Selbst wenn sie durch die UV-Strahlung in kleine Brösel und Mikrobestandteile zerfallen, überdauern sie doch auf lange Zeit und werden von den Bodenlebewesen mit unabsehbaren Folgen für das Ökosystem in den Boden eingearbeitet. Ein Plastikproblem wie es in den Weltmeeren besteht, kann sich die Forstwirtschaft aber kaum erlauben – schon weil Zahl der Kunststoffschützer den nächsten Jahren angesichts von deutschlandweit 300.000 ha Schadflächen deutlich steigen dürfte.

Mehrfach wieder verwertbare Wuchshüllen oder nachweislich vollständig abbaubare Produkte sind die Zukunft des Einzelschutzes

PEFC Deutschland hat in seinen Standards bereits festgelegt, dass zertifizierte Waldbesitzer Produkte aus erdölbasierten Materialien möglichst vermeiden sollen. Soweit am Markt verfügbar und wirtschaftlich zumutbar, sollen sie stattdessen Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen verwenden. Das bayerische Landwirtschaftsministerium stellt die Förderung von erdölbasierten Produkten im Wald bald komplett ein, weitere Länder wollen dem Vernehmen nach folgen.

Biologisch abbaubar

Aber was ist mit Kunststoffprodukten, die nach Herstellerangaben kompostierbar sind und sich vollständig zersetzen sollen? Dieses Segment hat mittlerweile einen Anteil von knapp 5 % erreicht. Man denke an das Schutznetz „BioWit KlimawitLight220“ des österreichischen Anbieters Witasek. Oder an die neue Baumschutzhülle Nature, die Tubex auf den KWF-Thementagen vorgestellt hat. Sie besteht aus Rohstoffen, deren biologische Abbaubarkeit gemäß ISO 17556 und ISO 14995 zertifiziert sind. Wie Martin Sattler von Tubex sagt, haben sich die Hüllen auf Versuchsflächen des Unternehmens auch im Wald innerhalb von neun Monaten zu einem Drittel umgesetzt.

Die Wissenschaft ist jedoch skeptisch, denn die ISO 14995 bezieht sich auf industrielle Kompostieranlagen, in denen solche Kunststoffe unter optimalen Bedingungen innerhalb von zwölf Wochen zu mindestens 90 % abgebaut werden können. Im Wald seien solche Werte aber nicht zu erreichen.

Schutzhüllen aus nachwachsenden Rohstoffen

Große Sympathie genießen daher Einzelschutzprodukte aus Holz, Papier oder Jute und anderen Naturstoffen. Sie haben laut Umfragen der Hochschule Rottenburg einen Anteil von 14 % erreicht. Auf der KWF-Tagung waren eine ganze Reihe von ihnen zu sehen. Ein Beispiel ist die Wuchshülle Salix der Firma Freitag Weidenart. Sie besteht aus Weidenruten und Sisal-Schnüren. Der Schreiner und Forstwirt Bernd Schairer bietet mit dem Sprossenschützer ein weiteres Produkt an. Er fertigt die unterschiedlichen Varianten zu 100% aus Esskastanien- und Eschenholz. Auch die Lignumguard-Schutzhüllen von Tischlermeister Franz Eschlbeck bestehen aus unbehandelten Holzfurnieren. Genannt seien noch die Dendron-Holzschutzhüllen der Firma Walthmeyer. Sie werden aus unbehandelten, heimischen Nadelholzschindeln gefertigt. Sie werden mit Bändern aus reiner Jute miteinander verbunden und an der Pflanze mit verzinkten Eisenklammern an einem Robinienstab befestigt. Das Unternehmen kann mit Gutachten belegen, dass die Produkte unbedenklich sind und im Wald verbleiben könnten.

Doch auch Wuchshüllen aus Holz unterliegen einer rechtlichen Analyse der Hochschule Rottenburg zufolge dem Kreislaufwirtschaftgesetz. Denn – so nimmt die Studie an – es sei unklar, welcher Inhaltsstoffe sich die Hersteller eventuell bedienten, um sie haltbar zu machen, zu verkleben oder zu befestigen. Daher ist davon auszugehen, dass sie auch nicht biobasierte Hüllen Materialien wie z.B. Imprägnierungen enthalten. Sie seien also wie Kunststoffprodukte zu behandeln und müssten nach Gebrauch wieder eingesammelt werden. „Auch wenn es dann nichts mehr gibt, was man einsammeln könnte“, wie es Dr. Hans Walther von der Firma Walthmeyer formuliert.

Dürfen Holzhüllen im Wald bleiben?

Verstehen kann man diese Gesetzesauslegung bei der Buckshülle der Firma Buck. Sie besteht aus einem Baumwollgarn, das zur Haltbarmachung mit einem wasserabweisend wirkenden Polyaktid (PLA) imprägniert wird. Das ist ein synthetischesMaterial auf der Grundlage von Maisstärke, das sich allerdings nicht leicht zersetzt. Bei den genannten Holzprodukten kommt man aber doch ins Grübeln.

Rechtsanwalt Dr. Alfred Meyerhuber, der Partner von Dr. Walther bei der Firma Walthmeyer, bezeichnet die rechtliche Lage als unglücklich. Er sieht aber eine Lösung, denn das Kreislaufwirtschaftsgesetz bietet ihm zufolge die Möglichkeit, die Angelegenheit per Bundesverordnung anders zu regeln. Auch Yannic Graf von der Hochschule Rottenburg sieht einen Ausweg, den ihm zufolge die Bioabfall-Verordnung eröffnet. Vollständig biobasierte (Kunststoff-)Produkte, die nachweislich im Wald abbaubar sind, könnten im Wald verbleiben. Allerdings sei die Nachweisführung zum Abbau im Wald noch nicht eindeutig geregelt.

Für die Wirtschaftlichkeit der Holzhüllen und andere Naturprodukte ist das sehr wichtig. Müsste man sie wieder einsammeln und entsorgen, hätten sie einen gravierenden Nachteil. Sie sind schließlich um einiges teurer als herkömmliche Kunststoffhüllen. Während eine einfache Wuchshülle aus Polypropylen ab 1,50 € pro Stück zu haben ist, kostet die Wuchshülle Salix je nach Abnahmemenge knapp unter 4 € pro Stück, die Buckshülle um die 4 € und die Dendron-Holzschutzhülle 3,30 € plus Transport.

Diese Mehrkosten relativieren sich, wenn man die Produkte nicht wieder rückbauen muss. Das kostet einer Arbeitszeitstudie der Hochschule Rottenburg zufolge zwischen 0,80 und 1,70 € je Hülle.Professor Hein rechnet damit, dass sich langfristig zwei Kategorien von Wuchshüllen durchsetzen werden: erstens solche aus nachwachsenden Rohstoffen, die unter Waldbedingungen rückstandslos biologisch abbaubar sind und das auch nachweisen können. Zweitens solche, die sehr dauerhaft sind und mehrfach verwertet werden können.

Für beide Kategorien waren auf den KWF-Thementagen Beispiele zu sehen. Zwei Partner des Projektes The ForestCleanup stellten innovative Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen vor. Die Firma Sachsenröder zeigte eine Wuchshülle aus reiner Zellulose. Sie wird in fünf Lagen ohne Additive und Füllstoffe hergestellt. Mit einer Beschichtung der Bayer-Tochter Kovestro aus Polyurethan soll das feuchteempfindliche Material fünf Jahre halten und trotzdem vollständig abbaubar sein. Der Prototyp steht nach Aussage des Unternehmens kurz vor der Serienreife und soll noch dieses Jahr über die Firma Witasek erhältlich sein, Eine weitere Wuchshülle dieser Art zeigten die Firmen Tecnaro und Joma-Polytec. Auch sie setzt sich zu 100 % aus nachwachsenden land- oder forstwirtschaftlichen Rohstoffen zusammen.Die Hülle soll mindestens fünf Jahre halten und zur nächsten Pflanzperiode verfügbar sein.

Da beide Hüllen sich wie die genannten Holzprodukte aus biobasierten Materialien zusammensetzen und im Wald vollständig abbaubar sein sollen, könnten auch sie gemäß Bioabfall-Verordnung nach Gebrauch im Wald verbleiben. So die Hochschule Rottenburg.

Dauerhafte Produkte

Auch die zweite Kategorie war auf den KWF-Thementagen vertreten. Die Weberei Wirth hat sich bei ihrer KWF-geprüften TreeShirt-Hülle bewusst für langlebige Kunststofffasern entschieden. Sie besteht zu 98 % aus Polypropylen und zu 2 % aus Polyester, die 12 bis 15 Jahre halten sollen und sich gut recyceln lassen. Damit diese Netze nicht im Wald verbleiben, will das Unternehmen ein Rücknahmesystem einrichten und die Fasern wieder verwerten.

Die Firma Tubex hat mit einem solchen System bereits Erfahrungen gesammelt. 9.500 Baumschutzhüllen hat das Unternehmen 2021 im Rahmen eines Pilotprojektes eingesammelt. Es soll dieses Jahr deutschlandweit ausgebaut werden. Je nach Zustand der Hüllen will Tubex bis 50 % der Materialien für die eigenen Produkte wieder verwerten. „Ein guter Ansatz“, lobt Professor Hein, weist aber darauf hin, dass der Arbeitsaufwand und die Kosten für den Rückbau wohl bei den Waldbesitzern verbleiben werden. Mit anderen Worten, es ist nicht wahrscheinlich, dass die Rückbauquoten deutlich steigen dürften.

Besonders langlebig sind auch viele Produkte aus Metall. Die Firma GroMM bietet seit 2021 ein ebenfalls KWF-geprüftes Schutzgitter aus feuerverzinktem Stahl an. Der „hält zwar ewig“, wie der Entwickler Thomas Groos sagt, ist vielen Waldbesitzern mit 33 € pro Stück aber nicht nur zu teuer, sondern mit 3,8 kg auch zu schwer. Dennoch: „Alle Kunden, die den Gromm-Einzelschutz schon gekauft haben, ordern ihn auch nach“, ist er von seinem Produkt überzeugt. Trotzdem bietet das junge Unternehmen jetzt eine Alternative aus einem biobasierten Kunststoff an. Rohstoffe sind Pflanzenstärke, Zellstoff und Ruß plus biobasierte Additive wie die Zitronensäure. Das Produkt aber ist bewusst nicht kompostierbar, sondern es soll wie die Stahlgitter dauerhaft verwendbar sein, mindestens 10 bis 15 Jahre. Danach können es die Waldbesitzer kostenlos bei der Firma Gromm abgeben, die es zu 30 bis 60 % recyceln und für die Produktion neuer Schutzgitter verwenden will. Der neue Einzelschutz wiegt mit Eintrittkralle 1,7 kg und kostet 9,90€ je Stück.

Alternativen zum Einzelschutz

Am Ende sei daran erinnert, dass auch Alternativen zur Verwendung von Einzelschützern existieren. Neben einer waldbaugerechten Jagd bleibt das der gute alte Wildschutzzaun. Er ist je nach Zauntyp, Flächengröße oder Pflanzenzahl je Hektar oft kostengünstiger. Ob man besser auf den Zaun oder auf den Einzelschutz setzt, das kann man mit dem „Wuchshüllenrechner“ auch kalkulieren. Man muss das kleine Programm der Hochschule Rottenburg nur mit den individuellen Zahlen des eigenen Forstbetriebs füttern.

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