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Dinkel aus dem Norden

Tim Stadler ist vor fünf Jahren in den Dinkelanbau eingestiegen.

Sie heißen Opa Anton, Schlawiner oder Hildegardlaib. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn Bäcker ihre Dinkelprodukte anpreisen. Der passende Name soll Emotionen transportieren und Lust auf gesunde, kernige und traditionelle Backkunst machen. Dinkel passt in den Urkorntrend und die Verbraucher sind bereit, dafür tiefer in die Tasche zu greifen. Für die Erzeugerkette vom Landwirt über Handel und Mühle bis zum Bäcker ist er damit ein lukratives Geschäft.

Das war auch für Tim Stadler der Hauptgrund, warum er mit seinem Vater Thomas vor fünf Jahren in den Dinkelanbau eingestiegen ist. „Der Ackerbau stößt in der Wirtschaftlichkeit immer mehr an seine Grenzen. Lösen können wir das nur, wenn wir frühzeitig Nischen besetzen. Dinkel gehört für mich dazu.“

Auf den Punkt

  • Für Tim Stadler ist Dinkel eine rentable Kultur und ergänzt den Weizen in der Fruchtfolge.
  • Das geht aber nur mit funktionierenden Wertschöpfungsketten, etwa im Vertragsanbau.
  • Wichtig sind eine gute Halmstabilisierung und ein Erntezeitfenster von nur wenigen Tagen.

Die Erwartung der Verbraucher an Dinkelprodukte: Anders als vermeintlich ungesunder Weizen sei er bekömm- licher und naturbelassener. Seit Hildegard von Bingen vor 900 Jahren Dinkel zum besten Getreide erklärt hat, kursieren viele Halbwahrheiten. Eine sei gleich zu Beginn ausgeräumt: Wie Weizen enthält auch Dinkel Gluten, das für das Volks- leiden Zöliakie verantwortlich ist. Das ist kein Wunder, sind beide Getreidearten doch eng verwandt.

Trotzdem ist die Lust der Verbraucher auf das sogenannte Urkorn groß. Ein nussiger Geschmack und das Gefühl, dem Körper Gutes zu tun, reichen als Kaufargument. Dinkel, auch Spelzweizen genannt, ist protein- und mineralstoffreicher als Weizen. Traditionell ist er im Südwesten Deutschlands verbreitet. Dort sind Vermarktungsstrukturen, Vermehrer, Entspelzungsanlagen und abnehmende Mühlen etabliert.

Regional angebaut und verarbeitet

Seit 2015 setzen der regionale Landhändler Weiterer und die Mühle Rüningen aus Salzgitter auf das Projekt „norddeutscher Dinkel“. Sie konnten die Stadlers für den Anbau gewinnen. Vater und Sohn haben immer wieder Lust auf Neues, seien es Acker- und Sojabohnen, Kurzumtriebsplantagen, Trüffel oder Direktsaat.

Wirtschaftlich lohnt sich der Dinkel-Vertragsanbau für Tim Stadler. Der Landhändler zahlt 3 Euro/dt Bonus auf den Matif-Preis im Dezember. „Damit liegen wir beim Dinkel unterm Strich 4 bis 5 Euro/dt über dem Erlös von Weizen“, sagt der 30-jährige Hofnachfolger. Im Deckungsbeitrag macht das ein Plus von bis zu 300 Euro/ha.

200 Euro/ha fürs Saatgut

Auf der Ausgabenseite kalkuliert Stadler ähnlich wie beim Weizen, zumal er den Dinkel vergleichbar intensiv führt. Einige Besonderheiten gibt es dennoch. Größter Posten ist das entspelzte Saatgut, das mit 200 Euro/dt deutlich teurer ist als beim Weizen. Das hängt mit dem aufwendigen Schälprozess und den Züchterlizenzen zusammen. Mit bis zu 35 Euro/dt verlangen die Züchter knapp dreimal so viel wie beim Weizen.

Dinkelähren sind brüchig und die einzelnen Ährchen fest umhüllt. Sie enthalten meist zwei Körner.

Noch gilt Dinkel als Nischengetreide, das meist regional angebaut, gehandelt und verarbeitet wird. Wagt ein Verarbeiter den Einstieg, ergeben sich neue, lokale Kooperationsmöglichkeiten. Auch im Norden, zum Beispiel für den Ackerbaubetrieb der Familie Stadler, die südlich von Hildesheim in Niedersachsen rund 350 ha Acker bewirtschaftet.

Nicht entspelztes Saatgut, die sogenannte Vese, neigt in der Sämaschine zum Verstopfen, hat ein dreimal höheres Lagervolumen und lässt sich schlecht anbeizen. Bei schwierigerer Handhabung ist Vesensaatgut kaum günstiger als geschältes. Rund 25 Prozent des Vesengewichts sind Spelzen.

Aufgrund der hohen Saatgutkosten haben die Stadlers ihre anfänglichen Pläne verworfen, den Dinkel nur auf schwächeren Standorten anzubauen. „Eigentlich ist er ja eine robuste Frucht, aber bei dem Saatgutpreis müssen wir hohe Erträge erreichen. Für die diesjährige Ernte hatten wir deshalb eine gute Fläche mit rund 85 Bodenpunkten gewählt“, sagt Tim Stadler.

86 dt/ha in der aktuellen Ernte

Die Rechnung ging auf: 86 dt/ha konnte er vom Halm holen. „Vom Weizen bin ich dagegen etwas enttäuscht. Der lag auf unseren schwierigsten Standorten bei 65 dt/ha und bei 95 dt/ha nach Mais. Dreistellige Weizenerträge, die einige in unserer Gegend erreicht haben, waren bei uns nicht drin.“ Auch in der Qualität konnte der Dinkel dieses Jahr punkten. „Bei der wichtigen Größe Fallzahl kamen wir auf über 300 und der Proteingehalt hat auch gut gepasst. Anders als beim Weizen, wo wir durchgehend unter 12 Prozent lagen.“

Von diesem Dinkelschlag mit der Sorte Badensonne konnte Tim Stadler 86 dt/ha ernten. Die helleren Streifen links gehören zur frühreiferen Sorte Albertino.

Für hohe Qualitäten ist der richtige Erntezeitpunkt entscheidend. „Uns bleibt beim Dinkel ein kurzes Zeitfenster von maximal zwei Druschtagen“, sagt der Junglandwirt, sonst drohe die Fallzahl zu sinken. „Und für Futterdinkel gibt es keinen Markt.“ Arnd Hesse vom Landhandel Weiterer ergänzt: „Deshalb setzen wir und die Mühle auf fallzahlstabile Sorten. Für Werte über 240 garantieren wir eine volle Bezahlung. Bis 220 sind Abschläge fällig und darunter sind wir am freien Markt.“ Der große Vorteil von Dinkel in der Ernte: Er trocknet schneller ab als Weizen. Die Mähdrescher können nach einem Regenschauer oft einen Tag früher rollen.

Es geht nur über Vertragsanbau

Bundesweit wächst Dinkel mittlerweile auf 80.000 ha, zwei Drittel davon in Bayern und Baden-Württemberg. Mit seinen geringen Ansprüchen an die Bestandsführung und dem hohen Stickstoffaneignungsvermögen eignet sich Spelzweizen besonders für den Ökolandbau und für schwache und Höhenlagen. Ob konventionell oder öko: Vertragsanbau ist für die Nischenkultur in jedem Fall der sinnvollste Absatzweg.

Vertragssorten bei Weiterer sind derzeit die in der Qualität erprobteste Sorte Zollernspelz und der Nachfolger Zollernperle, die ertragsstarke Badensonne und Albertino, den die Mühlen aufgrund besonders guter Backeigenschaften schätzen. „In diesem Herbst werden wir auf 38 ha Badensonne und Albertino anbauen“, sagt Tim Stadler. Dinkel ergänzt die Frucht- folge und ersetzt im Betrieb Stadler teilweise den Weizen. „Dabei müssen wir auf das hohe Durchwuchsrisiko achten. Dinkel ist wahnsinnig wüchsig und keimt schon von Tau. Er überwächst auch sämtliche Zwischenfrüchte.“ Reine Dinkelfruchtfolgen mit Raps – Dinkel – Dinkel könnten das Durchwuchsproblem lösen, allerdings erfordert die schwächere Fußgesundheit dann eine Beizung mit Latitude. „Dinkel auf Stoppel wird auch nie den Ertrag bringen wie nach einer Blattfrucht“, sagt Tim Stadler. „Wir fahren zwei Fruchtfolgen, in denen wir konsequent Blatt- und Halmfrüchte wechseln. Auf den besseren Standorten bauen wir die Rüben an, es folgt Weizen, dann sind wir offen für Mais, Ackerbohnen, Hafer oder Raps und dann wieder Weizen oder Dinkel.“

Ohne Raps Funktioniert es nicht

In den Hanglagen steht alle vier Jahre Raps, dazwischen zuerst Weizen, Dinkel oder Triticale, dann Ackerbohne, Mais oder Hafer und wieder Weizen, Dinkel oder Triticale. Raps wird dabei zunehmend zur Problemfrucht. „Die Rapsernte 2019 war für uns eine Katastrophe. Wir sind mit 70 ha gestartet und haben am Ende 7 ha geerntet, mit gerade mal 5 dt/ha. Danach wollten wir den Raps stark reduzieren, aber an den Hängen haben wir keine Alternative.“

Die bespelzten Vesen sind schwierig auszusäen und kaum anzubeizen.

Wintergerste ist seit einem Jahr nicht mehr in Stadlers Fruchtfolge. „Ich habe keine Perspektive mehr gesehen, weil ich in der Gerste zu wenig gegen Ackerfuchsschwanz machen kann. Außerdem haben mir die Erträge nicht gereicht, wenn andere Berufskollegen in der Region 11 t/ha ernten und wir nur gute 7 t/ha. Das können wir in anderen Kulturen viel besser.“

Der 30-Jährige will Wintergetreide generell nicht vor dem 1. Oktober aussäen. „Dinkel soll ja eine der spätsaatverträg- lichsten Arten sein, aber ich will ihn auch nicht deutlich später säen, sonst kostet uns das Saatgut schnell 300 Euro/ha. Dann leidet die Wirtschaftlichkeit gewaltig.“

Nicht immer klappt es noch im Herbst mit einer Herbizidbehandlung und Atlantis ist nur im Frühjahr erlaubt. „Das ist ein wichtiges Herbizid, weil es gegen Ackerfuchsschwanz absichert. Hier müssen wir Resistenzen unbedingt vermeiden. In Dinkel sind nur reduzierte Mengen erlaubt, darum auch grundsätzlich Blattfrüchte als Vorfrucht.“

Achtung, hohes Lagerrisiko

Gerade beim Ackerfuchsschwanz hilft dem Dinkel seine Triebkraft. „Er macht eine ordentliche Matte, unter der nichts mehr wächst. Damit hält Dinkel den Ackerfuchsschwanz gut in Schach“, sagt Tim Stadler. Von der Wüchsigkeit profitiert auch der Boden. Mit seiner intensiven Durchwurzelung kann Dinkel Wasser und Nährstoffe besonders gut erreichen. Das macht ihn nicht nur für Ökobetriebe interessant. „Wir füttern den Dinkel schon ausreichend, weil wir die Erträge erreichen wollen.“ Die Pflanzen setzen den Stickstoff (N) effizient um: Mit 160 kg N/ha, und damit unter der Düngebedarfsempfehlung, ernten die Stadlers 80 dt/ha Korn, bei Proteingehalten bis 17 Prozent.

Geschältes Dinkelsaatgut lässt sich dagegen wie Weizen verarbeiten.

Allerdings hat die Frohwüchsigkeit auch ihre Kehrseite: Dinkel droht rasch ins Lager zu sehen. Ein entscheidender Faktor für einen erfolgreichen Anbau sind daher Wachstumsregler. Dabei gibt es Mitteleinschränkungen. Nicht alle Halmverkürzer sind in Dinkel zugelassen und einige Mühlen haben noch restriktivere Vorgaben. Stadlers Abnahmevertrag verbietet beispielsweise den Einsatz von CCC. Moderne Züchtungen wie Albertino oder der ganze neue Zollernfit sind deutlich kürzer und halmstabiler als die langen Sorten Oberkulmer Rotkorn oder der gut 60 Jahre alte Bauländer Spelz.

Eine Begleiterscheinung des dichten Wuchses ist selbst bei neueren Sorten die höhere Anfälligkeit für Mehltau und Braunrost. Zumindest im konventionellen Anbau ist daher eine ähnlich intensive Bestandsführung nötig wie bei Winterweizen. Eine verhaltene erste Stickstoffgabe kann frühen Mehltau verhindern. Zwar steht im Dinkel noch eine breite Mittelpalette zur Verfügung. „Mit dem schwindenden Wirkstoffspektrum wird die Bekämpfung aber immer schwieriger“, sagt Tim Stadler.

Bodenschutz ist entscheidend

Die wachsenden Herausforderungen im Ackerbau treiben auch den Junglandwirt um. Pflugloser Anbau ist wegen der Hanglagen schon seit 30 Jahren Standard bei den Stadlers. Zapfwellengetriebene Bodenbearbeitungsgeräte kommen nicht zum Einsatz. „Der Boden ist unser wichtigstes Kapital“, sagt der Hofnachfolger. Um ihn zu schonen, setzt Tim Stadler auf großvolumige Reifen und will sich bei den Frühjahrskulturen noch mehr an die Direktsaat herantasten. Glyphosat sieht er dabei als wichtiges Werkzeug für Spezialfälle. „Wird es verboten, müssen wir uns wieder einen Pflug zulegen. Dann werden wir erklären können, warum der Schlamm wieder im Dorf liegt.“

Für Tim Stadler steckt die heimische Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen Verbraucherwünschen, Umweltauflagen und der billigen Konkurrenz aus dem Ausland. „In meinem Praktikum auf einer australischen 13.000-ha-Farm haben die Betriebsleiter das Öl vom Mähdrescher völlig selbstverständlich auf dem Feld abgelassen – Hahn auf und in den Boden damit. Glyphosat wurde konsequent nach jedem Regenschauer gespritzt. Es ist richtig, dass wir in Deutschland eine andere Art der Landwirtschaft haben. Aber auf dem Weltmarkt konkurrieren wir mit denen.“ Regionalität ist für Stadler der Gegenentwurf, um am Markt zu bestehen. Mit heimischem Dinkel erfüllt er Sehnsüchte der Verbraucher und profitiert zugleich von der regionalen Wertschöpfung. ●

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