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Frische ist die beste Werbung

Hemme produziert Milchprodukte für Berliner und Brandenburger Kunden.

Freitag nachmittag, kurz vor sechs. In meinem Berliner Supermarkt drängen sich Wochenendeinkäufer durch die Regalreihen. In der Milchprodukteabteilung lockt trotz später Stunde noch ein breites Angebot. Nur da, wo sonst Hemme-Milch und Hemme-Joghurt stehen, klafft mal wieder eine Lücke – schade. Fast immer ist in meiner Gegend diese Marke als Erste vergriffen. Und das, obwohl Hemme-Erzeugnisse nicht die billigsten sind. Wie kommt das? Ich begebe mich auf Spurensuche ins Brandenburgische Schmargendorf – dahin, wo Hemme-Milch produziert wird.

Inmitten der sanften Hügel der südlichen Uckermark, umgeben von Feldern und Weiden, steht ein 600er-Milchviehstall. Direkt daneben eine Molkerei, Lagerräume und ein Glasgebäude mit Hofladen, Café und Büros. Von hier hat man einen atemberaubenden Blick über die Landschaft. Gunnar Hemme genießt diese Aussicht nach allen Seiten, wenn er in seinem Büro sitzt. Immer hat er nicht so luftig residiert. „In der ersten Zeit hier habe ich in einer Ferienwohnung gewohnt und gearbeitet, später haben wir ein kleines Holzgebäude gebaut.“

Auf den Punkt

  • In der südlichen Uckermark produziert Hemme Milchprodukte für Berliner und Brandenburger Kunden.
  • Frische und Regionalität sind die Markenzeichen.
  • Vom privaten Lieferservice über Schulmilch bis zu Supermarktketten reicht die Vermarktung.

Die erste Zeit, das war 1998. Damals zog der gebürtige Niedersachse nach Brandenburg. „Ich komme vom Hof, aus einem Familienbetrieb in 18. Generation nördlich von Hannover. Aber als jüngster von drei Söhnen musste ich mir etwas Eigenes suchen.“ Die Idee: eine Milchverarbeitung und -selbstvermarktung, wie sie vier Jahre zuvor bereits sein Bruder Jörgen für den Familienbetrieb in der niedersächsischen Wedemark aufgezogen hatte. Aber dafür brauchte Gunnar Hemme einen Partner mit einem Milchviehbetrieb, möglichst irgendwo, wo die Versorgung mit tagesfrischen Molkereiprodukten noch nicht selbstverständlich war.

Diesen Partner fand Hemme in Schmargendorf bei Angermünde, rund 70 km nordöstlich von Berlin. Hier, nur einen Katzensprung entfernt von der polnischen Grenze, hatte August Böhling Mitte der 90er-Jahre gerade einen neuen Kuhstall gebaut. Mit einem Teil der Milch von Böhlings 400 Kühen startete Gunnar Hemme sein kleines Molkereiunternehmen.

Vom „Milchmann“ zum Supermarkt

„Wir hatten anfangs einen winzigen Hofladen – ach was sage ich: eigentlich nur ein Regal vor meinem Büro. Die Leute kamen rein und fragten, wo denn nun der Shop sei. Dabei standen sie direkt davor“, erinnert sich Hemme. Das Lädchen mitten im Nirgendwo trug das Selbstvermarktungskonzept auf keinen Fall. Ein Lieferservice musste her. „Ich hatte drei Angestellte. Die sind mit dem Auto los und haben kleine Paletten mit Testprodukten und Bestelllisten vor die Häuser in der Region gestellt. So haben wir uns ganz allmählich einen Kundenstamm für unseren ‚Milchmann‘-Service aufgebaut. An einen Platz im Supermarktregal war da aber noch lange nicht zu denken.“

Für den Lebensmitteleinzelhandel (LEH)waren damals nur große Molkereien mit einer breiten Produktpalette und möglichst günstigen Preisen interessant. Regionale Erzeugnisse wurden Ende der 90er-Jahre noch wenig nachgefragt.

Regionalität beginnt im Stall. Die Milchkühe fressen betriebseigenes Futter.

Das hat sich geändert. Dass „regional“ das neue „bio“ ist, ist nicht nur eine Floskel. Mit ihrer gläsernen Produktion, den kurzen Wegen und der Regionalität vom Futter bis zum Endprodukt trifft Hemme-Milch den Nerv des Verbrauchers.

Inzwischen ist die Marke in allen großen Berliner und Brandenburger Supermarktketten gelistet, ausgenommen nur Aldi und Penny. Rund 70 Prozent der täglich rund 40.000 kg Milchverarbeitung gehen mittlerweile an den LEH.

Den „Milchmann“-Lieferservice gibt es trotzdem noch. „Ich habe zwischenzeitlich überlegt, diese aufwendige Vermarktungsstrecke einzustellen. Aber dann kam Corona.“ Die Pandemie hatte für Hemme damit auch eine gute Seite: Das Interesse an einem Haustür-Lieferdienst für frische Milchprodukte stieg massiv an. Trotzdem hat Covid-19 auch ihn getroffen. Bis nach Polen sind es nur wenige Kilometer, deshalb beschäftigt das Unternehmen unter seinen gut 40 Angestellten auch 13 Arbeitskräfte aus dem Nachbarland. Als die Grenzen geschlossen wurden, standen diese Mitarbeiter vor der Wahl: In Schmargendorf bleiben und die Familien auf unbestimmte Zeit nicht mehr sehen oder nach Hause fahren und dort bleiben. Die Polen entschieden sich für die deutsche Seite und die Produktion konnte mehr oder weniger wie gewohnt weitergehen.

Das schicke, gläserne Hofcafé – gebaut 2018 – verwaiste indes ebenso wie der Hofladen. „Wir haben keine funktionelle Trennung zwischen Café und Laden und den Büros. Hier die Abstandsregeln sicher durchzusetzen, wäre schwierig geworden. Und ganz ehrlich: Ein Coronafall mit anschließender Quarantäne für alle Kontaktpersonen hätte uns viel mehr geschadet als der geschlossene Besucherbereich“, sagt Hemme.

Der Besucherstrom erholt sich

Inzwischen sind die Gäste wieder da. Noch gelten Einschränkungen, aber für einen schnöden Wochentag wie heute ist trotzdem erstaunlich viel los auf dem Hof. Das Wetter tut sein Übriges. Auf dem Milchviehbetrieb und in der Verarbeitung ist für Besucher alles einseh- und fast alles begehbar. Interessenten können zwar – außerhalb der Corona-Krise – spezielle Führungen buchen, aber auch wer den Hof spontan für einen Ausflug oder zum Einkaufen besucht, darf sich fast überall frei bewegen.

Sinnbild für das gläserne Betriebskonzept: Das neue Gebäude für Hofladen, Café und Büros erlaubt jede Menge „Durchblick“.

Das gläserne Verwaltungsgebäude nebst Hofladen ist also sozusagen das Sinnbild der Politik von Gunnar Hemme. „Wir wollen diese Durchsichtigkeit, sie gehört zu unserem Konzept. Hier gibt es keine Geheimnisse.“

Einzig das Melkhaus ist tabu für neugierige Zuschauer. „Das tut mir wirklich leid, weil die Leute sich sehr dafür interessieren, wie gemolken wird. Aber in dem kleinen Holzbau ist es eng. Wenn da eine lautstarke Besuchergruppe rumrumort, geht keine Kuh mehr ins Karussell.“ Eine neue Melkanlage – mit einer Glasfront fürs Publikum – schwebt ihm vor. Die alte ist langsam in die Jahre gekommen. Sie kommt vielleicht nächstes Jahr, wenn die Corona-Welle nicht ein zweites Mal zuschlägt.

Alles in einer Regie

Im großzügigen Laufstall herrscht Ruhe. Nur ein Besucher aus Baden-Württemberg schlendert über den Futtergang. Er ist selbst Landwirt und sucht ein kurzes Fachgespräch. Gunnar Hemme nimmt sich die Zeit. Das gehört zur Kundenpflege.

Drei Generationen Hemme: Gunnar mit Vater Jürgen - immer noch aktiv - und Sohn Arthur

Die Kühe hier in der modernisierten Anlage gehören längst ihm. Der alte Partner August Böhling zog sich 2002 zurück und verkaufte den Milchviehbetrieb an Wim Dobbe, einen niederländischen Landwirt. Und als der schließlich 2017 seine ganze Aufmerksamkeit auf seinen zweiten Betrieb in der Nähe von Neustadt/Dosse konzentrieren wollte, übernahm Gunnar Hemme auch den landwirtschaftlichen Bereich. Seitdem laufen alle Fäden bei ihm zusammen. Er genießt das. „Ich komme doch vom Hof, Milcherzeugung ist mein Ding.“

Trotzdem kann ein Regisseur nicht überall sein. Die landwirtschaftliche Betriebsleitung inklusive Futtererzeugung und Milchviehhaltung hat ein weiterer „Neu-Brandenburger“ inne: Felix Broeckmann kam vor fast 25 Jahren aus dem Rheinland in die Uckermark und blieb – der Liebe und des Berufs wegen. Gunnar Hemme und er haben viel zusammen erreicht in einem knappen Vierteljahrhundert. Im Jahr 2017 verkaufte Hemme rund hundert Kühe und schuf so mehr Platz für die Verbleibenden. „Das haben wir sofort an der Leistung ablesen können“, sagt Broeckmann. Nicht nur die Milchmenge stieg. Aus der Minimolkerei der Anfangsjahre wurde ein moderner Betrieb mit deutlich höherer Kapazität. Inzwischen verarbeitet die Hemme-Molkerei nicht nur sämtliche Milch der eigenen Kühe, sondern auch noch die von fünf anderen Betrieben aus der nahen Region.

Vom Spezialisten zum Allrounder

Aus dem anfänglichen Angebot aus Frischmilch und Joghurt hat sich eine breite Produktpalette entwickelt. Mittlerweile gibt es unter dem Logo mit der schwarzbunten Kuh mit der Blume im Maul Schokomilch, Eiscafé, Vanillepudding, Butter, Sahne, Quark und vieles mehr.

Seit fast 25 Jahren mit Gunnar Hemme am selben Strang zieht Betriebsleiter Felix Broeckmann (li.).

Für die kleine Molkerei ist das ziemlich viel logistischer Aufwand. Tageweise wechselt auf manchen Strecken die Produktion zwischen den verschiedenen Erzeugnissen.Frischmilch wird natürlich jeden Tag abgefüllt. Sie ist Hemmes Aushängeschild. Daran hat sich seit 1998 nichts geändert. „Unsere Milch braucht nur 24 Stunden von der Kuh bis zum Kunden. Das ist gemeinsam mit der Regionalität unser Markenzeichen.“ Dazu kommt, dass die Frischmilch so gering wie möglich verarbeitet wird. Heißt: Hemme verzichtet auf eine Homogenisierung. Die Milch hat einen natürlichen Fettgehalt und eine unveränderte Fettstruktur. Sie rahmt auf, wenn man sie ein bisschen ruhen lässt.

Im Supermarkt kann man so etwas normalerweise nicht kaufen. Wer unhomogenisierte Milch haben will, bekommt die sonst nur direkt beim Bauern.

Die Berliner Kunden, aber auch die Hofladenbesucher und zahlreiche Brandenburger Schulen und Kindergärten, die Hemme seit Jahren beliefert, schätzen das offenbar. Werbung für seine Produkte hat das Unternehmen nie gemacht – sieht man vielleicht mal von den Probierpaletten ganz am Anfang ab. Trotzdem wird die Marke gut nachgefragt. Hemme-Milch hat sich über die Jahre einfach „rumgesprochen“. So gut, dass am Freitag abend wieder mal eine Lücke im Regal klafft – da wo eigentlich Hemme-Milch stehen sollte. ●

Sie wollen mal reinschauen bei Hemme-Milch? Wir zeigen Ihnen den Betrieb im Video:

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