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„Wir wollen Moorschutz“

Heiko Holthusen und Jan-Dirk Hadeler wirtschaften erfolgreich auf Moorböden.

Auf den Punkt

  • Intensiv genutztes Moorgrünland setzt große Mengen an Treibhausgasen frei.
  • Ein Projekt untersucht, wie Wiedervernässen und Milchviehhaltung ökonomisch vereinbar sind.
  • Entscheidend ist ein Wassermanagement, das sowohl Dürre als auch Hochwasser verhindert.

Zwei Meter unter Null, und Wasser fließt bergab. Wenn in der Wesermarsch die Pumpen still stehen würden, liefe eine ganze Region voll wie ein Suppenteller. Mittendrin stehen Jan-Dirk Hadeler und Heiko Holthusen, beide Milchviehbauern, der eine vom Rand des Tellers, der andere von seinem tiefsten Punkt. Der Boden unter ihren Gummistiefeln federt und schmatzt, was nicht verwundert, schließlich steht das Wasser nur eine Spatentiefe unter ihnen.

Dass sie auf diesem Moorboden überhaupt Grünland bewirtschaften können, haben sie einem Entwicklungsprogramm zu verdanken, das in den 1960er-Jahren seinen Höhepunkt hatte, aber schon vor 250 Jahren seinen Anfang nahm. Torf war damals ein begehrter Brennstoff, den man mit viel Handarbeit dem nassen Grund abrang.

Vor gut 50 Jahren dann der ganz große Maßstab: Um Siedlungsflächen zu schaffen, siedelte man Hunderte Betriebe in die Moorgebiete aus und legte unzählige Gräben, Schöpfwerke, Dämme und Straßen an. Es wuchs eine starke Wirtschaftsregion im Dreieck zwischen Jadebusen, Bremen und Oldenburg, in der sich bis heute alles ums Milchvieh dreht. Und in der gerade vieles im Umbruch und die Verunsicherung groß ist, weil es ums Wiedervernässen geht.

Zwei Betriebe, eine Sorge

Jan-Dirk Hadeler und Heiko Holthusen stehen für zwei typische Betriebe in der Region. Beide sind Ende fünfzig und sie eint die Sorge ums Wasser, und doch könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Hadeler, hager, könnte locker für zehn Jahre jünger durchgehen. Er wirtschaftet aus norddeutscher Sicht auf einem Höhenzug; 2,50 m über Null sind viel, wenn das Wasser hoch steht. Seine 125 ha liegen komplett im Hochmoor. Ein Sumpfgebiet ist das nicht. Vier Schnitte im Jahr kann er ernten, mit leichtem Gerät – wenn ihn nicht gerade die Dürre erwischt. Immerhin 140 Milchkühe füttert Hadeler von seinem Moorgrünland.

Heiko Holthusen, mit Schiebermütze, runder Brille und verschmitztem Blick, hat 230 Kühe, deren Milch er als Weidemilch vermarktet. Sein Sohn liebäugelt mit einer Umstellung auf Bio. Zwei Drittel seiner Flächen sind Marschböden, der Rest Niedermoor bis 2,50 m unter dem Meeresspiegel. Holthusen weiß, wovon er spricht. Gerade erst wurde er zum neuen Vorsitzenden der Braker Sielacht gewählt.

Jahrtausende alte Moorerde hält schwammgleich das Wasser und bindet CO2.

In dem Begriff Sielacht steckt achten und das ist Holthusens wichtigste Aufgabe: Mit seinen Kollegen wacht er darüber, dass all das Regenwasser, das von Westen kommend im Suppenteller zusammenläuft, von dort auch wieder verschwindet. 14.400 ha, 90 Prozent davon landwirtschaftliche Flächen, hunderte Kilometer Gräben und 20 Schöpfwerke betreut Holthusen. Das gesammelte Wasser wird über zwei große Pumpanlagen in die Weser umgeschlagen. Dafür muss jedermann zahlen – jeder Bürger mit einer Pauschalgebühr je Grundstück, Bauern 30 Euro/ha.

Die sechs Sielachten in der Wesermarsch haben eine lebenserhaltende Aufgabe für die gesamte Region. Und doch wandelt sich ihr Schwerpunkt. Früher galt die Devise „alles Wasser muss raus“, damit die Flächen bewirtschaftet werden können. Heute fragen sich viele Bauern, wie sie das Wasser noch in der Fläche halten können, um Trockenphasen zu überstehen. Mit einem einfachen Einstau ist das nicht getan, das zeigt sich an den filigranen Unterschieden im Höhenprofil. „Wenn ich das Wasser hier im Entwässerungsgraben um 15 cm anstaue, würde 2 km hinter mir die Flächen unter Wasser stehen“, sagt Jan-Dirk Hadeler.

Moore emittieren 28 Prozent des CO2

Dass trockengelegte und intensiv genutzte Moorgebiete Emissionen freisetzen und die dringend gebremst werden müssen, steht für die beiden Milchviehbauern außer Frage. 28 Prozent aller Treibhausgasemissionen, die in Niedersachsen auf die Landwirtschaft zurückzuführen sind, stammen aus diesen Moorflächen. 1,2 Mio. t CO2-Äquivalente muss allein Niedersachsen jährlich bis 2030 einsparen, fordert die Moorschutzstrategie des Bundesumweltministeriums.

Kann Wiedervernässen die Emissionen in dieser Größenordnung reduzieren? Und wie kann die Wertschöpfung dabei erhalten bleiben? Diese Fragen sollen im Projekt SWAMPS des Grünlandzentrums Niedersachsen/Bremen beantwortet werden. Gemeinsam mit Landwirten und Landwirtschaftskammer, Landesamt für Bergbau Energie und Geologie, Thünen-Institut und Uni Oldenburg haben sie auf Flächen von Holthusen und Hadeler über fünf Jahre gemessen, wie sich die Emissionen verändern, wenn trockene Moorflächen wieder nass werden.

Dazu haben die Forscher einerseits Wasser angestaut, um es in die Fläche sickern zu lassen. Andererseits haben sie mit Unterflurbewässerung das Prinzip Drainage umgekehrt, um Wasser schneller in die Fläche zu bringen. Das ist ein effizientes, weil gut steuerbares Verfahren; so viel hat der Versuch gezeigt.

Die Wasserstände unter Grünland ließen sich gezielt auf bis zu 20 cm unter Geländeoberkante anheben – und rechtzeitig auch wieder absenken. Für das Ausbringen von Gülle oder das Befahren mit der Ballenpresse ist das ein wichtiges Instrument. „Beweiden geht bei diesem Wasserstand nicht mehr“, sagt Jan-Dirk Hadeler. „Lass es uns ausprobieren“, widerspricht Dr. Arno Krause. Er leitet das Grünlandzentrum und hat das Projekt angestoßen. „Gut trainierte Kühe sind in der Lage, in drei Stunden auf der Weide ihren Bedarf zu decken.“

Das Thünen-Institut hat in Untersuchungen festgestellt, dass intensive Grünlandnutzung einen Wasserstand von rund 50 cm erfordert, bei extensivem darf er bis 30 cm angehoben werden. Naturnah gelten Moorflächen bei Wasserständen zwischen 0 und 10 cm.

Einen deutlich sichtbaren Effekt hatte die Vernässung in den beiden letzten Dürrejahren: Die trockenheitsgeplagten Flächen litten erheblich unter dem Wassermangel, während die Erträge der Versuchsflächen kaum vom Normalwert abwichen. Zudem fielen die Mäuseschäden deutlich geringer aus, weil die Nager keine Bauten anlegen konnten.

Wasser anstauen und in die trockenen Moore leiten, kann die Treibhausgasemissionen senken.

Emissionen sinken nur zum Teil

Und die Emissionen? Ein positives Ergebnis und viele Fragezeichen. Auf Niedermoor ließen sich die Treibhausgase im Schnitt der sehr unterschiedlichen fünf Jahre um 22 Prozent senken. „Auf Hochmoor waren die Ergebnisse völlig unterschiedlich und ließen keine signifikanten Rückschlüsse zu. Unter anderem haben wir auch Zunahmen von Emissionen von bis zu 18 Prozent festgestellt“, sagt Franz Jansen-Minßen, der als Berater des Grünlandzentrums viele Betriebe schon seit Jahrzehnten begleitet.

„Allerdings darf man diese Ergebnisse nicht überinterpretieren. Flächen, die aus einer jahrzehntelangen intensiven Nutzung mit hoher biologischer Aktivität kommen, klingen lang nach. Da darf man aus einigen wenigen Jahren keine Verbesserung erwarten.“ In einem Folgeprojekt wollen die Partner daher untersuchen, wie sich eine angepasste Düngung und Nutzungsfrequenz auf die Emissionen auswirken.

Für Landwirt Holthusen sind die Versuche nur der erste Schritt. „Wir müssen das gesamte Gebiet sehen. Heben wir den Wasserstand insgesamt um einige wenige Zentimeter an, ist viel mehr erreicht, als wenn wir nur einzelne kleine, aber komplett nasse Naturschutzgebiete schaffen.“ Dazu müsste aber zuerst ein übergreifendes Wassermanagement entstehen, das sich aus den bis dato reinen Entwässerungsverbänden entwickelt und neben Landwirten auch die Kommunen und die Wasserwirtschaft ins Boot holt.

Milch bringt die Wertschöpfung

Die Kernfrage aber bleibt, wie die Region ihre Wertschöpfung erhalten kann. Da sind zum einen die Kosten für die Wiedervernässung. Rund 5.000 Euro/ha kostet allein die Anlage von Unterflurbewässerung. Unterhalt, Wehre und gebietsübergreifende Steueranlagen sind da noch nicht eingerechnet.

Auf der anderen Seite der Bilanz stehen die Einnahmen. In der Wesermarsch hängen viele Arbeitsplätze an der Milchwirtschaft. Die Molkerei Ammerland zahlt 1 Cent mehr für das Kilogramm Weidemilch und vermarktet sie großflächig in der Region.

„Ein Drittel unserer Lieferanten wäre von einer Wiedervernässung betroffen“, sagt Hermann Boekhoff, Vorstandsmitglied der Molkerei und selbst Milchviehhalter. Ein Gesetz zur Emissionsminderung aus Berlin würde seiner Meinung nach die ersten Fortschritte aus dem Niedersächsischen Weg untergraben. „Aber dazu muss man die Komplexität verstehen, die hinter Landwirtschaft und Einkommen steckt. Die Betriebe haben in den letzten zehn Jahren viel investiert, oft mit staatlichen Mitteln. Die können ihre Umsätze nicht einfach zurückschrauben.“

Niedermoor-Landwirt Heiko Holthusen hat die Zahlen für die Region parat. „Die Milchviehhaltung generiert in der Wesermarsch rund 250 Mio. Euro im Jahr an Wertschöpfung. Mutterkühe würden nur 25 Mio. Euro bringen. Das ist kein Strukturwandel, sondern ein Strukturbruch.“ Für ihn wären das 500 Euro/ha Umsatz im Jahr mit Mutterkühen statt 4.000 Euro/ha bei intensiver Milchviehhaltung. „Die Betriebe sind ja gewachsen, haben gebaut und Flächen gekauft. Da muss ich rückwärts rechnen – wie viel brauche ich? Mit 500 Euro/ha komme ich nicht über die Runden.“

Pegelmesser: Im Versuch stieg der Wasserstand auf 20 cm unter der Narbe.

Paludi kann nicht alles lösen

Dabei sind viele Moorgrünlandbauern bereit für Kompromisse und stellen schon heute Flächen für artenreiches Grünland oder extensive Nutzung zur Verfügung. Umso wichtiger bleibt die Möglichkeit, Teile der degenerierten Moorgebiete weiter intensiv nutzen zu können. „Es ist abzusehen, dass die Bodenpreise steigen“, sagt Jan-Dirk Hadeler.

„Der Staat sollte vorangehen“, sagt Berater Franz Jansen-Minßen. „70.000 ha Hochmoorgrünland sind in Niedersachsen in öffentlicher Hand. Die ließen sich großflächig vernässen.“ Hier könnte der Staat zeigen, wie sich der Anbau von Paludikulturen, also Schilf zum Dachdecken, Rohrkolben für Dämmstoffe oder Tormoosen als Torfersatz ökonomisch darstellen lässt.

Für den Berater lösen Paludikulturen die zu beantwortende Gesamtfrage nicht. „Technisch ist das machbar, aber ökonomisch in der nötigen Größenordnung nicht denkbar. Wenn die Torferdenindustrie bundesweit 40.000 ha Paludikultur hätte, wäre der Bedarf nach eigenem Bekunden gedeckt. Das löst die Probleme nicht. Paludikulturen sind für die überwiegende Mehrheit niedersächsischer Betriebe keine Option und können allenfalls eine Nische für einzelne, begrenzte Standorte darstellen. Was uns hilft, sind Konzepte der moorschonenden Bewirtschaftung.“

Jan-Dirk Hadeler verliert aufgrund auslaufender Pachtverträge in vier Jahren 18 ha öffentliche Flächen. „Die muss ich Biolandwirten zur Verfügung stellen, anstatt dass der Staat sie unter Natur- oder Wasserschutz stellt.“ Für Heiko Holthusen ist der Herauskauf ganzer Betriebe durch den Staat eine Option. „Momentan läuft hier eine langsame Entwertung und die Flächen werden nach und nach von Investoren gekauft, die damit keinen Gewinn machen müssen, sondern nur abschreiben.“

Sanddeckkulturen als ein Baustein

Eine Lösung, wie sich Moorschutz und Moornutzung vereinen lassen, hat Jan-Dirk Hadeler schon vor 20 Jahren erfolgreich ausprobiert. In einem aufwendigen Verfahren hat er auf einigen Flächen Sand aus tieferen Schichten nach oben geholt, vermischt und seitdem nicht mehr bearbeitet. Die 30 cm mächtige Grünlandnarbe schützt als Sanddeckkultur das Moor vor Zersetzung und stabilisiert die Krume. Ein Versuch in Ostfriesland soll die Emissionswirkung jetzt unter die Lupe nehmen.

Das Wasser aus dem Suppenteller Wesermarsch muss künftig nicht mehr raus, sondern gehalten und besser gesteuert werden. Dann funktionieren Moorschutz und Emissionsminderung nicht auf dem Rücken der Milchviehhalter, sondern in Kooperation mit ihnen. Das wird allerdings ein Generationenprojekt und ist nicht bis 2030 erledigt, wie es sich das Bundesumweltministerium wünscht. Jan-Dirk Hadeler und Heiko Holthusen wollen dazu ihren Beitrag leisten. (ks)

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