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Brennpunkt

Anbindehalter sterben still

Was wäre, wenn die Anbindehalter die Milch stärker selbst vermarkten?

Mehr als 10.000 Betriebe mit ganzjähriger Anbindehaltung von Milchkühen gibt es allein in Bayern noch. Die Zermürbungen, die sie momentan erleben müssen, sollten auch für andere Nutztierhalter eine Warnung sein. Doch was haben sich diese Tierhalter eigentlich zuschulden kommen lassen?

Der erste „Fehler“, den die Anbindehalter gemacht haben, liegt rund 30 Jahre zurück. Damals sind sie nicht den staatlichen Empfehlungen gefolgt, ihren Betrieb zu vergrößern, weitere Flächen zu pachten und einen modernen Laufstall zu bauen. Dabei soll der „bayerische Weg“ in der Landwirtschaft ja gerade nicht auf „Wachsen oder Weichen“ hinauslaufen. Bei der Anbindehaltung scheint das nicht zu gelten. Rund 200 Betriebe haben in der jüngeren Vergangenheit jedes Jahr in Bayern von Anbindehaltung auf Laufstall umgestellt. Bei dieser Geschwindigkeit gibt es die Anbindehaltung entweder noch Jahrzehnte oder doch irgendwann einen Strukturbruch.

Der zweite „Fehler“, den manche Anbindehalter gemacht haben, ist nicht so lange her. Mit ihren kleinen Betrieben im Berggebiet oder in anderen benachteiligten Regionen haben es einige Molkereien verstanden, Marken aufzubauen und Kasse zu machen. Die Anbindehalter haben es versäumt, den Fluss dieser Gelder in sinnvolle Investitionen umzuwandeln. Sie haben einfach davon gelebt.Heute werden sie von den eigenen Molkereien mit Abschlägen auf den Milchpreis abgestraft. Bei einer wichtigen bayerischen Molkerei sind es de facto sogar 6,5 Cent: 3 Cent Abschlag und 3,5 Cent entgangene Tierwohlprämie.

Der dritte „Fehler“ war zu unterschätzen, mit welchen Methoden moderne Kampagnenorganisationen arbeiten. Peta hat Strafanzeigen wegen Tierquälerei gegen verschiedene Landwirte gestellt, obwohl die Anbindehaltung nicht verboten ist und obwohl „Landwirtschaft wie früher“ eigentlich hoch im Kurs steht. Nicht bei der Anbindehaltung: Wer als Tierhalter hier seinen Kopf aus der Deckung hebt, riskiert viel Ärger.

Schließlich haben die Anbindehalter den „Fehler“ gemacht, sich auf Fürsprecher in der Politik zu verlassen, die für kleine Betriebe werben. Die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber hat zum Beispiel kürzlich angekündigt, 50 Mio. Euro pro Jahr in ein Zuschussprogramm für Milchvieh- und Schweinehalter zu stecken. Es scheitert jedoch nicht nur am Geld: Auch einen neuen Stall zu bauen, ist so schwierig wie wahrscheinlich nie zuvor. Hinzu kommt, dass selbst mit 50 Prozent Förderung nur der einen Stall baut, der über 20 oder mehr Jahre abgeschrieben wird, wenn man darauf vertrauen kann, dass Nutztierhaltung hierzulande Zukunft hat.

Verzweiflung bei den Tierhaltern

Wenn sich nun Verzweiflung bei den Milchviehhaltern mit ganzjähriger Anbindehaltung breitmacht, kann man das verstehen. Es heißt in manchen Kreisen, Bauern würden immer jammern. Doch gefährlich wird es, wenn sie nicht einmal mehr klagen, denn dann hören sie auf. Mit ihren Betrieben stirbt auch ein Stück die Kulturlandschaft, die so mancher Corona-geplagte Städter beim Ausflug aufs Land in den letzten Monaten ganz neu entdeckt hat.

Wer kann es den Bäuerinnen und Bauern verdenken, wenn sie gar anfangen, Verschwörungen zu wittern. Geht es Politik, Umwelt-Nichtregierungsorganisationen, Gesellschaft und vielleicht sogar Berufskollegen nur darum, an die Flächen der ausscheidenden Bauern zu kommen? Nutzungsalternativen gibt es viele, bis hin zu neuen Doppelhaushälften, in denen sich kein Städter mehr über Kuhglockengeläut ärgern muss.

Man kann sagen, das ist der Lauf der Welt, aber es gibt auch Wege, um einen Ausstieg aus der Anbindehaltung zu gehen, der die Bauern aktiver begleitet. In Österreich und der Schweiz sieht man Beispiele. Die Kombinationshaltung mit Bewegung – immerhin vom bayerischen Landwirtschaftsministerium mit entwickelt – wäre so ein Weg. Sie ist nicht das gleiche wie ganzjährige Anbindehaltung. Doch wenn die erste Supermarktkette in ihren Eigenmarken keine Milch aus Anbindehaltung mehr akzeptiert, wird wohl auch die Kombinationshaltung zum Kollateralschaden.

Trotz allem: Nicht aufgeben

So schlimm muss es nicht kommen. Schon aus Stolz und Selbstachtung sollten die Anbindehalter nicht hinschmeißen. Überbetriebliche Kooperationen sind ein Weg, über den die Nutztierhalter nachdenken sollten, sei es beim Stallbau mit anderen Familien zusammen oder bei der Vermarktung. Rund ein Viertel der in Bayern erzeugten Milch stammt von der Hälfte der bayerischen Milchviehhalter und wird in Ställen erzeugt, in denen Kühe noch ganzjährig oder zeitweise angebunden sind. Was wäre, wenn die Anbindehalter die Milch stärker selbst vermarkten? Liegt der teure italienische Hartkäse erst einmal in unserem Supermarkt, fragt – zumindest heute – keiner danach, wo die Milch herkam.

„Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele“, ist ein alter Spruch, der nichts von seiner Gültigkeit verloren hat. Ein sicheres Rezept für Unglück ist es hingegen, sich von einer fehlgeleiteten Politik dorthin treiben zu lassen, wo man nicht sein will. Die Kraft zur betrieblichen Modernisierung steckt in den Landwirten. Sie müssen ihre Lage genau unter die Lupe nehmen und ganz eigene Strategien finden. ●

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