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Interview

Wo Politik versagt

Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der BayWa AG

Was hat sich durch Corona im globalen Agrarhandel verändert?

Manche Beobachter sprechen von Brüchen in den Versorgungsketten. Dass halte ich für Übertreibung. Keine Übertreibung sind die Chipkrise, die hohe Abhängigkeit von China und teilweise von Russland, die hohen Energiepreise und die Auswirkungen auf die Herstellung und Preise von Düngemitteln. Hinzu kommen noch Auswirkungen, die wir von neuer Gesetzgebung beispielsweise zu Lieferketten erwarten. Beim letzten Punkt sehe ich ein vollständiges politisches Versagen: Unternehmer sollen die Einhaltung der Menschenrechte und, ESG [Redaktion: Gesetzgebung zu Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung] gewährleisten und haften dafür auch persönlich, aber niemand sagt uns, was genau wir tun müssen.

Welche dieser Auswirkungen spüren sie konkret momentan bei der BayWa?

n den Zahlen für 2020 und 2021 bezogen auf Deutschland merken wir nichts. International merken wir auch noch nichts – die Cefetra-Gruppe in Rotterdam hat bessere Zahlen als je. Unsere Tochter Global Produce [Red.: ehemals Obst] merkt ebenfalls diesbezüglich nichts. Wir spüren allerdings die Ernteeinbrüche in Neuseeland.

Erntehelfer auf einem deutschen Obstbaubetrieb: BayWa-Chef Klaus Josef erwartet, dass als Folge von Corona weltweit immer weniger Erntehelfer im Einsatz sein werden. Das werde zu einem Schub für die Robotik in diesem Marktsegment sorgen.

Wie ist es bei der Technik?

Nach wie vor erleben wir hier einen Boom. Ob wir so gut abschneiden wie 2020 hängt auch von der Auslieferungsfähigkeit der Hersteller ab. Das wiederum liegt – teilweise Corona-bedingt – an der geringeren Verfügbarkeit von Mikrochips.

Was wird sich durch die geringere Verfügbarkeit von Erntehelfern verändern?

Wenn dauerhaft weniger Erntehelfer zur Verfügung stehen – wir spüren das sowohl in Europa als auch in Neuseeland – werden Automatisierung und Robotereinsatz im Obstbereich beschleunigt. Das kann dramatische Folgen haben. Weniger bei uns, wo Erntehelfer aus Osteuropa andere Arbeit finden können. Doch in der südlichen Hemisphäre, wo es keine anderen Jobs gibt, wird es massive soziale Fragen aufwerfen.

Gibt es andere Entwicklungen in der Landwirtschaft, die Corona verstärkt?

Der Anbau im Gewächshaus wird weltweit wichtiger. Er ermöglicht lokale Produktion und damit Versorgungssicherheit auch unter widrigsten Bedingungen. Wir können unter Glas Produkte vor den Unwägbarkeiten des Klimawandels geschützt und nach den exakten Wünschen der Kunden anbauen. Allerdings wird das auch wesentlich teurer als der Anbau unter freiem Himmel.

Ist eine Folge von Corona höhere Preisvolatilität auf den Agrarmärkten?

Bei den Agrarprodukten, mit denen wir handeln, hat es immer schon Preisschwankungen gegeben. Corona hat die Spielregeln im Agrarhandel nicht grundlegend verändert. Allerdings verstärkt es einige Entwicklungen, etwa wenn durch Preissteigerungen und Handelsbeschränkungen die Zahl der Hungernden wieder so deutlich ansteigt, wie wir es gerade erleben.

Wo Lutz Chancen in der Veränderung sieht

Wo sehen Sie in dieser Situation im Agrargeschäft Chancen für die BayWa?

Zum einen im Spezialitätenhandel, beispielsweise beim Hopfen. Zum anderen bei der Automatisation und Robotisierung – nicht von heute auf morgen, aber in einigen Jahren. Wichtig ist für uns auch die weiter steigende Nachfrage sowohl allgemein in China als auch insbesondere bei Obst und Gemüse. Hinzu kommt der Bereich Gewächshäuser, den ich bereits angesprochen habe.

Was raten Sie Landwirten, um erfolgreich zu sein?

Vielfalt ist ein Erfolgsrezept. Wir als BayWa setzen auf Diversifizierung und mehrere Standbeine. Landwirte sollten das auch tun. Die Margen werden aber immer knapp sein, das ist in unserem Geschäft nun einmal so.

Zurück zur BayWa: Welche Strategie werden Sie im deutschen Agrargeschäft in nächster Zeit verfolgen?

In Ostdeutschland haben wir unser Agrarhandelsgeschäft bereits restrukturiert. Hier haben wir in Verbindung mit unseren beiden Tiefseehäfen Virow und Mukran ein Serviceangebot für unsere Landwirte, bei dem niemand mithalten kann. Mukran wird gerade ausgebaut, so dass zukünftig Panamax-Containerschiffe dort anlegen können. Eine Restrukturierung machen wir auch im Süden.

In der Landwirtschaft erleben wir eine Phase der Restrukturierung, bei Ihnen also auch?

Unter dem Strich werden wir im deutschen Agrarhandel wieder erfolgreicher sein, wir sind heute schon viel besser unterwegs als im letzten Jahr. Wir reagieren dabei nicht nur, wir investieren auch gezielt in neue High-Tech-Standorte, Software und andere Lösungen.

Wohin entwickelt sich die deutsche Landwirtschaft?

Wohin wird sich die deutsche Landwirtschaft entwickeln?

Europa wird, wenn Farm-to-Fork so kommt, wieder Nettoimportregion werden. Exportträume sind ausgeträumt. Momentan liegt hier die Stärke Deutschlands, vor allem beim Getreide.

Und in der Tierhaltung?

Die Veredelung wird mehr und mehr aus Mitteleuropa verdrängt. Sie wandert in die Peripherie ab, etwa nach Spanien, wo die Produktionskosten niedriger sind. Wir werden wieder mehr Lebensmittel und auch Fleisch nach Deutschland importieren, weil hier der Konsum relativ stabil bleibt.

Wohin geht die Reise im Ökobereich?

Der Nachfrageschub, den sich manche wünschen, ist ausgeblieben. Die Zahlungsbereitschaft für heimisches Angebot im Hochpreissegment schwächelt. Wenn die Verbraucher mit ihren Geldbeuteln hier künftig nicht ganz anders handeln, wird Bio in etwa auf dem Niveau bleiben, auf dem es heute ist.

Wie ist es mit regionalen Produkten?

Bei regionaler Produktion sehe ich Perspektiven. Die Frage ist aber, wie viel landwirtschaftliche Aktivität von Regionalität allein getragen werden kann. Ein guter Hofladen in günstiger Lage funktioniert sicher. Aber das ist keine Option für alle Landwirte.

Smart farming (Symbolbild): Klaus Josef Lutz fordert eine Sonderabschreibung für Investitionen in die Ziele des Green Deals der EU.

Wenn die Primärproduktion großteils aus Deutschland abwandert und der Ökobereich nicht abhebt, was bleibt dann in ein paar Jahren von der deutschen Landwirtschaft übrig?

Das hängt davon ab, ob die Landwirtschaft ihr grundsätzliches Image-Problem lösen kann. Schon derzeit können bestimmte massentaugliche Lösungen - Pflanzenschutz, Düngemittel – deutlich weniger eingesetzt werden als in der Vergangenheit. Der Druck für weitere Verschärfungen ist hoch. Landwirte brauchen diese Mittel aber, um wettbewerbsfähig produzieren zu können. Eine wichtige Rolle kann hier der technische Fortschritt spielen – Stichwort Digitalisierung – wenn der Staat die notwendigen Rahmenbedingungen schafft.

Was erwarten Sie konkret?

Die Ernten werden kleiner, das Angebot schrumpft, Importe nehmen zu und die Lebensmittelpreise steigen spürbar an. Wenn das passiert, kommt es darauf an, ob es gelingt den Verbrauchern zu erklären, wie die Landwirtschaft produziert und was sie dazu braucht. Höhere Lebensmittelpreise werden zum Problem für Verbraucher, aber zur Chance für Landwirte.

Wir brauchen schnellere Abschreibungsmöglichkeiten, um Investitionen in die Ziele des Green Deals zu fördern.

Helfen digitale Technologien hier, um durch höhere Transparenz beim Verbraucher höhere Akzeptanz zu schaffen?

Bei manchen Gruppen ist es möglich, dass durch bessere Rückverfolgbarkeit etwa per Blockchain-Technologie, eine höhere Zahlungsbereitschaft entsteht. Das wäre der digitale Schulterschluss mit dem Landwirt. Ich glaube aber nicht, dass das in der breiten Masse funktioniert. Die meisten Verbraucher wollen keine lange Geschichte hinter ihrem Einkauf. Für sie bleibt der wichtigste Faktor bei der Kaufentscheidung der Preis. Die deutsche Landwirtschaft hat nur dann in ihrer jetzigen Breite eine Zukunft, wenn sie die Masse der Bevölkerung zu günstigen Preisen versorgen kann. Den Technologien, die das ermöglichen, fehlt diese breite Akzeptanz aber momentan.

Können Sie das an einem Beispiel festmachen?

Der klimaneutrale Umbau unserer Gesellschaft funktioniert nur mit einer florierenden Wirtschaft. Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung Impulse setzen kann, wie es die letzte rot-grüne Bundesregierung mit der Agenda 2010 getan hat. Wir brauchen Investitionen, etwa in die Nord-Süd-Stromtrasse – finanziert möglicherweise über Fonds mit Bürgerbeteiligung

Was braucht es noch?

Durchrechnen sollte die neue Bundesregierung eine Sonderabschreibung oder Verkürzung der Abschreibungszeit für Investitionen in die Ziele des Green Deals. Das macht mehr Sinn als Förderprogramme für Investitionen, weil es eine unternehmerorientierte Vorgehensweise ist.

Sie halten nicht viel von der Rolle des Staats als Investor. Warum?

Es ist blanker Unsinn zu glauben, dass der Staat unternehmerisch oder innovativ etwas bewegen kann. Über 80 % der Investitionen sind privat – Unternehmen und Privatpersonen müssen investieren und der Staat muss dafür günstige Rahmenbedingungen schaffen.

Bei welchen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Zunächst braucht es ein gutes Mobilfunknetz überall im ländlichen Raum und schnelleres Internet für die Landwirtschaft. Parallel müssen die Rahmenbedingungen aus Brüssel unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft umgesetzt werden, um Landwirten Stabilität zu geben. Am Ende zählt vor allem eines: Die neue Bundesregierung muss den Landwirten endlich wieder Mut machen, zu investieren.

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