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Interview

Agrar und Umwelt im Konsens

„Die Landwirtschaft, die wir wollen“: Ein Gespräch mit (v. l.) Dr. Manfred Hudetz (Industrieverband Agrar), agrarheute-Chefredakteur Simon Michel-Berger und Christoph Heinrich (Worldwide Fund for Nature – WWF).

Pflanzenschützer und Umweltschützer in Eintracht, das gab es vorher nicht. Was haben sie bei der Arbeit in der ZKL voneinander gelernt?

Heinrich: Gegenseitiges Zuhören – zu erleben wie fachlich begründet die Argumente beider Seiten sind – hat Respekt füreinander geschaffen. Darin lag ein Schlüssel zum Erfolg.

Hudetz: Wir haben strittige Themen in kleinen Teams sehr intensiv miteinander diskutiert. Dadurch konnten wir Einigung erzielen, wo vorher keine war.

Die ZKL sagt, dass Lebensmittel zu billig sind. Was wäre, wenn Essen deutlich teurer würde?

Hudetz: Ich persönlich finde es nicht schlimm, wenn ein Lebensmittel preiswert ist. Wenn das Essen teurer wird, müssen wir sicherstellen, dass die Preiserhöhung beim Landwirt ankommt und nicht anderswo.

Heinrich: Wenn Preise steigen, weil sie fairer werden, ist das etwas Gutes. Das würde auch den Beruf des Landwirts attraktiver machen. Wir dürfen nicht glauben, dass unsere Ernährung heute billig ist und morgen teuer wird. Es gibt heute bereits versteckte Kosten der Produktion, etwa durch Umweltschäden, die früher oder später an anderer Stelle bezahlt werden müssen. Diese Kosten sollten besser heute transparent an der Ladenkasse erscheinen, denn das wird uns als Gesellschaft langfristig Geld sparen.

Kritisch ist der Bericht bei der Agrarchemie. Warum hat sie mittlerweile so einen schlechten Ruf?

Heinrich: Wir haben uns in der ZKL geeinigt, dass es nicht sinnvoll ist, Agrarchemie sofort und pauschal zu verbieten. Wir wollen die Menge reduzieren und stehen hier zu den Zielen von „Farm to Fork“ – 50 Prozent weniger Pflanzenschutz und 20 Prozent weniger Dünger, organischen Dünger eingeschlossen.

Hudetz: Auch wir stehen zu diesen Zielen, aber wir fordern eine wissenschaftliche Untersuchung über die Folgen. 50 Prozent weniger Pflanzenschutz sind möglich, aber wir werden dieses Ziel nicht mit den Mitteln des Ordnungsrechts erreichen. Stattdessen müssen wir die großen Potenziale der Digitalisierung nutzen. Hier muss der Gesetzgeber endlich die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen: schnelles Internet auf dem Land und schnelle Zulassungsprozesse für moderne Wirkstoffe.

Die Industrie wirbt mit dem Potenzial von biolo-gischer Schädlingsbekämpfung und Biostimulanzien, doch noch ist das Angebot überschaubar. Ist hier nur die Zulassung Schuld oder haben die Firmen zu wenig investiert?

Hudetz: Unsere Mitgliedsunternehmen investieren auf EU-Ebene 10 Mrd. Euro in die Digitalisierung und 4 Mrd. in die Entwicklung biologischer Pflanzenschutzmittel. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass diese Produkte kein Ersatz, sondern eine Ergänzung zum chemisch-synthetischen Pflanzenschutz sind. Auch geht der IVA bei den Biostimulanzien neue Kommunikationswege, um zu zeigen, was möglich ist.

Braucht es Verbote, falls der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nicht von allein zurückgeht?

Heinrich: Vielleicht, aber zuerst versuchen wir es auf diesem Weg. Anstelle von Ordnungsrecht könnten Abgaben auf Pflanzenschutzmittel eine Lösung sein, um die Menge eingesetzter Chemikalien zu senken. Das Ordnungsrecht muss aber weiterhin dort zur Anwendung kommen, wo es gilt, Schäden, etwa durch stark umweltbelastende Chemikalien, abzuwenden.

Christoph Heinrich (r.) ist Vorstand für Naturschutz beim World Wildlife Fund (WWF).

Was halten Sie von grüner Gentechnik oder Crispr/CAS, um den Einsatz von Agrarchemie zu senken?

Heinrich: Wir betrachten Eingriffe ins Genom fallspezifisch und bauen insgesamt sehr stark auf das Vorsorgeprinzip und die Zulassungsverfahren. Die ZKL hat kein kategorisches ‚Nein‘ beschlossen. Aber für Landwirte muss die Wahlmöglichkeit gewahrt bleiben, gentechnikfreie Produkte anzubauen.

Hudetz: In diesen Technologien steckt großes Potenzial, die Nutzpflanzen fit für den Klimawandel und neue Anbaubedingungen zu machen. Ich stimme Herrn Heinrich bei den Bedingungen zu, aber man darf diese Voraussetzungen nicht nutzen, um die Technologie für die nächsten 20 Jahre beiseitezulegen.

Die ZKL hat ehrgeizige Pläne. Viele Bäuerinnen und Bauern müssten investieren, um sie umzusetzen, doch es herrscht ein Klima der Verunsicherung. Wie kann es gelingen, dass die Menschen in der Landwirtschaft Vertrauen in diesen Veränderungsprozess fassen?

Heinrich: Das Vertrauen, dass die Dinge jemals besser werden könnten, hatte vor der ZKL beiderseits sehr gelitten. Auf der Umweltseite bereitet vor allem der ungebremste Rückgang der Artenvielfalt seit Langem große Sorgen. Die ZKL kann einen wirklich guten Neuanfang darstellen: Wir müssen den gemeinsamen Dialog weiterführen und auch in unseren eigenen Reihen klar machen, dass wir nicht einen einmaligen Kompromiss, sondern einen langfristigen Konsens gefunden haben.

Die Transformation der Landwirtschaft braucht technologischen Fortschritt. Was erwartet die Industrie, um diesen Fortschritt zu entwickeln und verfügbar zu machen?

Hudetz: Wir brauchen stabile Rahmenbedingungen für mindestens zehn bis 15 Jahre. Wenn die Politik die Zulassung einer neuen Pflanzensorte dann nochmal um zehn Jahre verschleppt, brauchen wir die Gewissheit, dass wir die neue Sorte in 20 Jahren verkaufen dürfen. Diese Sicherheit haben wir heute nicht.

Wie viel Zeit haben wir für eine Transformation?

Heinrich: Wir haben diese eine Legislaturperiode, um die Weichen zu stellen, die Landwirtschaft auf eine ökologischere Grundlage zu bringen. Die komplette Umsetzung dieser Transformation wird aber länger dauern.

Wie kann man den Konsens der ZKL weiterführen und auf neue Ebenen heben, etwa auf die der EU?

Hudetz: Die ZKL darf nicht in der Schublade verschwinden. Man sollte sich jährlich treffen, wissenschaftlich untersuchen, was die Maßnahmen bewirken und dann den Konsens weiterentwickeln.

Heinrich: Mehrere Mitglieder der ZKL wünschen sich, jetzt weiterzumachen – gerne auch mehr als einmal im Jahr. Ich bin dazu bereit.

IVA-Präsident Dr. Manfred Hudetz (l.) ist zugleich Geschäftsführer der Syngenta Agro GmbH. In dieser zweiten Funktion verantwortet er das Geschäft des Agrarunternehmens in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Es gibt Personen auf der Agrar- und der Umweltseite, die mit Aspekten des Berichts massiv unzufrieden sind. Wie geht man damit um?

Heinrich: Man muss den ganzen Text lesen. Rosinenpickerei zu betreiben wäre jetzt schädlich. Alle ZKL-Mitglieder müssen sagen, dass wir gemeinsam zum kompletten Text stehen.

Hudetz: Der Bericht als Ganzes ist nicht in Stein gehauen. Wir sollten ihn als Text in Arbeit sehen, an dem wir weiterarbeiten müssen.

Was erwarten Sie sich von der neuen Bundesregierung zur Umsetzung des Textes als Erstes?

Hudetz: Sie muss den Bericht umsetzen und dabei den ganzen Text lesen. Auf keinen Fall darf sie sich nur das heraussuchen, was zu ihrer Ideologie passt.

Heinrich: Einen solchen Konsens hatten wir über Jahrzehnte nicht. Wir werden ihn so leicht nicht mehr neu herstellen können. Wenn die Bundesregierung den ZKL-Bericht jetzt nicht im Ganzen als große Konsenslinie aufgreift, werde ich an der Handlungsfähigkeit der Politik zweifeln.

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