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Wahlfreiheit für Schweine

Christoph Becker hat die Haltung so umgestellt, dass alle Mastschweine nach draußen können.

Auf den Punkt

  • Christoph Becker bewirtschaftet in Wietzendorf einen Betrieb mit 1.000 Schweinemastplätzen.
  • Er hat einen Weg gesucht, der den Tieren mehr Tierwohl und ihm ein Einkommen garantiert.
  • Dazu gehört der Schweinebuzzer: Die Tiere entscheiden selbst, wann sie Abkühlung wünschen.

„Der Buzzer für die Schweine, da fragen sie alle nach“, sagt Christoph Becker und muss grinsen. Mit dem Schweinebuzzer hat der Junglandwirt aus Wietzendorf in Niedersachsen medial Aufmerksamkeit errungen. Vor gut zwei Jahren gewann er sogar einen Tierwohlpreis.

„Aber der Schweinebuzzer ist eigentlich nur eine von vielen Maßnahmen, die ich ergriffen habe, um das Tierwohl im Stall zu steigern.“ Nicht ganz ohne Eigennutz, denn natürlich soll es den Schweinen gut gehen. Gleichzeitig hat Christoph Becker sich so aber auch eine erfolgreiche Vermarktungsnische aufgebaut.

Die Nutzung des Buzzers lernen die intelligenten Tiere schnell

Begonnen hat das schon während seines agrarwissenschaftlichen Studiums an der Hochschule in Osnabrück. Der junge Landwirt machte sich Gedanken, wie er seine Mastschweine künftig halten wollte. 2010 übernahm er den landwirtschaftlichen Betrieb offiziell von seinen Eltern, die aber immer noch auf dem Hof mithelfen – ebenso wie seine Frau Tabby (siehe „Der Betrieb“).

Alle Schweine dürfen raus

Der Hauptbetriebszweig sind 1.000 Mastplätze, aufgeteilt auf zwei Ställe. 400 Schweine stehen im alten, ursprünglich konventionellen Stall, den der Junglandwirt inzwischen mehrfach umgerüstet hat. So haben alle seine Mastschweine Zugang zum überdachten Auslauf mit Stroheinstreu.

Die Schweine von Christoph Becker können wählen: raus in den Außenklimabereich oder rein ins Warme.

Zusätzlich baute Christoph Becker einen neuen Außenklimastall für 600 Mastschweine. „Alle Tiere haben mindestens 1,5 m² Platz. Außerdem habe ich im alten Maststall die Abteile komplett neu strukturiert.“ Vorher standen die Tiere in kleinen Buchten ohne jegliche Struktur. Der Landwirt hat deshalb jeweils auf einer Seite vom Gang die Querwände komplett rausgenommen, sodass eine große Bucht mit Zugang zum überdachten Auslauf entstand. Innen konnte er so unterschiedliche Zonen schaffen und Funktionsbereiche einrichten.

Mit Langschwanz

Seitdem er vor rund fünf Jahren damit anfing, seine Ställe umzustrukturieren, mästet er Schweine mit Langschwanz. Das klappt in der Regel sehr gut. „Die Hauptlast in Sachen Ringelschwanz liegt eh in der Ferkelaufzucht“, sagt Christoph Becker mit Überzeugung. „Ich denke, dazu bräuchten wir nicht mal den Auslauf. In erster Linie ist der für die Vermarktung wichtig, für den Verbraucher.“ Man müsse als Landwirt für die richtigen Bilder sorgen und in den sozialen Medien zeigen, was man hat.

Für den Ringelschwanz seien andere Faktoren wie die Stroheinstreu und die gut strukturierten Buchen wichtiger. Nichtdestotrotz möchte Christoph Becker auf den Auslauf nicht mehr verzichten. „Natürlich ist das für die Schweine eine coole Sache. Sie können wählen, können mal raus ins Kalte und dann wieder rein in den warmen Stall.“

Schweine sollen frei wählen

Christoph Becker denkt, dass die Wahlmöglichkeit, das freie Entscheiden und eine sinnvolle Beschäftigung zum Wohl der Tiere noch mehr beiträgt als der Strohauslauf. So kam es auch zur Entwicklung des Schweinebuzzers. „Ich war von Anfang an bei den Modell- und Demonstrationsbetrieben dabei und viel mit anderen innovativen Landwirten unterwegs.“ Dank der Fördergelder habe man da auch mal was ausprobieren können, ohne selbst gleich viel Geld investieren zu müssen.

Seit rund vier Jahren tüftelt Christoph Becker an der Entwicklung des Schweinebuzzers.

Christoph Becker möchte seinen Schweinen wieder mehr Verantwortung übertragen. Er hält nichts von vollautomatisierten Klimaführungen und von Kamerasystemen, die die Schweine beobachten und dann die Heizung aufdrehen, wenn die Tiere ihren Algorithmen nach zu eng liegen. „Wir entscheiden alles fürs Schwein. Das hat mich irgendwie schon immer genervt.“

Für ihn ist es – aus Sicht des Tiers – der falsche Weg, denn Schweine sind die intelligentesten Nutztiere. Der Junglandwirt fürchtet auch, dass das gesellschaftlich nicht mehr lange zu vermitteln ist. „Ich will meine Schweine zumindest in Teilen wieder selbst bestimmen lassen. Deshalb kam der Schweinebuzzer, mit dem die Tiere selbst bestimmen, wann sie sich abkühlen wollen. „Ein Schwein fängt damit schon bei 15 °C an, das andere erst bei 25 °C.“

Mit dem Buzzer können die Schweine wählen, wann sie sich mit der Dusche abkühlen wollen.

Das war der Grundgedanke im Jahr 2018. Seitdem hat der Mäster überlegt und getüftelt. „Ich kam schnell auf eine Dusche, aber wie musste sie aussehen, damit die Schweine sie selbst aktivieren können?“ Ihm war klar, dass ein einfacher Schalter wohl zu schnell kaputt geht.

Letztendlich entwickelte Christoph Becker eine Art Umlenkmechanismus: In einem Edelstahlrohr ist am unteren Ende ein Stößel, den das Schwein mit seiner Nasenscheibe nach oben drücken kann und somit den Schalter aktiviert. „Damit habe ich ein elektronisches Signal, das ich mit allem möglichen koppeln kann, zum Beispiel mit der Dusche.

Mit dem Buzzer können die Schweine wählen, wann sie sich mit der Dusche abkühlen wollen.

Mittlerweise hat der Landwirt digitale Relais verbaut. So ist es möglich, den Schweinebuzzer über das Smartphone zu steuern. „Ich kann den Schalter scharf stellen, die Wassermenge pro Auslösung steuern oder einfach verfolgen, wie oft die Schweine den Buzzer benutzen.“

Es habe einen Durchgang gegeben, da haben die Schweine ihn 60.000-mal betätigt. Das Gute an dem Zählwerk sei, dass der Landwirt so nachweisen kann, dass der Buzzer mehr als ein Spielzeug ist. „Im Sommer nutzen die Schweine den Buzzer viel häufiger als im Winter.“

Inzwischen hat Christoph Becker den Schweinebuzzer zum Patent angemeldet und will ihn mit seinem Kooperationspartner, dem Start-up Corvitac, vermarkten. Er könnte sich auch vorstellen, den Buzzer mit anderen Wahlmöglichkeiten zu verknüpfen, beispielsweise mit der Tür zum Auslauf.

Eine Sache hat Christoph Becker noch herausgefunden. Ihm fiel auf, dass die Schweine das Duschwasser von den Spalten aufleckten – obwohl es Nippel- und Schalentränken in unmittelbarer Nähe gab. „Ich denke, dass das Wasser aus der Dusche immer ganz frisch ist, während es in den Schalentränken eher mal verdreckt.“

Auch die kleinen Schalentränken werden erst nach Betätigung des Buzzers gefüllt.

Christoph Becker hat den Buzzer deshalb mit einer kleinen Tränkeschale kombiniert, die direkt auf den Spalten steht. Pro Betätigung des Buzzers kommt so viel Wasser mit Druck raus, dass die Schale erst mal gespült wird. Auch hier nutzen die Tiere die Wahlmöglichkeiten wirklich und spielen nicht nur. Den Mechanismus würden die Schweine sehr schnell und intuitiv begreifen. Er komme ihrem natürlichen Wühlmechanismus sehr nahe.

In der Nische

Dank der Umstrukturierung hat Christoph Becker für seinen Mastbetrieb erfolgreich eine wirtschaftliche Nische gefunden. Er liefert wöchentlich 60 bis 70 Schweine an den Schlachthof Brand. Dieser verkauft selten an den Lebensmitteleinzelhandel, sondern eher direkt an Metzger und Kantinen.

„Wir erhalten einen vertraglich zugesicherten Festpreis von rund 2 Euro/kg Schlachtgewicht, da wir unsere Tiere nach den Kriterien des Offenstallvereins halten. Damit sind wir sehr zufrieden.“ Die Schweine werden bei ihm mit rund 100 kg Schlachtgewicht etwas länger gemästet. Deshalb sei er sicher nicht der effizienteste Mäster, wenn es um Leistungszahlen wie die Futterverwertung geht. „950 g Tageszunahmen erreichen aber auch wir im Schnitt.“

Neben den kleinen Schalentränken und der Dusche gibt es nach wie vor auch Nippeltränken.

Es sei eine sehr angenehme und gut laufende Zusammenarbeit mit dem Familienunternehmen Brand und dem Offenstallverein. „Deshalb habe ich auch keine Sorge, dass sich das in Zukunft ändert“, sagt Christoph Becker.

Aufgrund seiner tierwohlfördernden Haltung habe er höhere Kosten, verglichen mit seinen Berufskollegen. Aber er ist überzeugt, dass er sich so eine gute Ausgangsposition für die Zukunft geschaffen hat. Dazu trägt auch die niedersächsische Ringelschwanzprämie von 16,50 Euro pro Mastschwein mit intaktem Langschwanz bei.

„Die ist natürlich bei rund 3.000 vermarkteten Schweinen pro Jahr nicht unerheblich.“ Dank der Nische könne Christoph Becker zumindest sagen, dass alle seine Kosten inzwischen gedeckt seien und er auch einen echten Unternehmergewinn verzeichnen könne – auch wenn man damit nicht reich werde. ●

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