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Wo Schnapsideen Wirklichkeit werden

Ingrid und Lothar Bold sind die Inhaber von „Bold´s Schnapsideen“ in Neuwirtshaus.

Bolds Schnapsideen werden Wirklichkeit.“ Das sagte Ingrid Bold, die ihren Betrieb in Neuwirtshaus, einem Gemeindeteil von Wartmannsroth im Landkreis Bad Kissingen, präsentierte. Sie erklärte gegenüber dem Wochenblatt: „Wir leben und arbeiten im Hotspot der Brennereien.“ Deshalb hat sie sich mit ihrer Führung für „Landerlebnisreisen in Bayern“ qualifiziert.

Auf dem Betrieb hat die gelernte Metallbautechnikerin einen ganz neuen „Fulltimejob“ gefunden. Neuwirtshaus kannte sie bis dahin nur vom Langlaufen, „kein Metzger, kein Laden, keine Bäckerei, aber sehr viel beeindruckende Natur“. Ihr jetziger Mann hat hier auf dem Hof mit seinen Eltern in dem 200 Jahre alten Haus gewohnt, in dem es seit 75 Jahren eine Brennerei gab. „1999 sprang das Feuer der Begeisterung auf mich über“, sagt sie. Die Begegnung Ingrid und Lothar vergleicht sie so: „Vogelbeerschnaps meets Mirabellenbrand“. Damals wurden auf dem Betrieb nur die Klassiker Apfel, Birne, Getreide und Mirabelle gebrannt.

Doch die Spirituosenwelt veränderte sich 2004. Der Vogelbeerschnaps, mit dem Lothar Ingrid beeindruckte, errang sofort auch eine Goldmedaille bei der Prämierung. „Und Lothar wurde zum Dauerbrenner.“ Im Jahr 2006 kam Sohn Sebastian zur Welt, in einem Jahr, in dem es nicht nur viele Kirschen, „sondern von allem viel“ gab und das Baby bei der Obsternte immer dabei war und das Gespür für richtig reifes Obst quasi mit in die Wiege gelegt bekam.

Seit einem Umbau der Brennerei konnten 44 verschiedene Spezialitäten produziert werden. Inzwischen kann aus der Brennerei ein Volleinkommen erzielt werden. Und die Brennereien zwischen Wein und Rhön entwickeln sich zum Geheimtip. „Seit 2012 veranstalten wir die Tage der edlen Brände und der Brennerweg führt direkt am Hof vorbei“, sagt Ingrid Bold.

Der moderne Probierraum von „Bold´s Schnapsideen“ bietet Platz für 40 Personen und kann auch gemietet werden.

Mit ihrer Führung geht es weiter zur Obstwiese. Den Hühnerstall überschattet ein prächtiger Vogelbeerbaum. Hahn Otto begrüßt die 20-köpfige Besuchergruppe mit munterem Krähen. „Warum braucht es Vögel, um neue Vogelbeerbäume anzusiedeln?“, fragt Bold, nachdem sie die Erkennungsmerkmale ihres Lieblingsbaumes gezeigt hat. Die Erklärung „Im Verdauungstrakt der Vögel werden die Samen zum Keimen angeregt“ bleibt sie nicht lange schuldig.

Und dann zeigt sie, welch eine aufwendige Arbeit hinter dem Vogelbeerschnaps steht: Die vitaminreichen Beeren müssen abgerebelt und gequetscht werden, bevor sie eingemaischt werden. „Weil ein Hektoliter Maische nur zwei Liter Schnaps ergibt, mazerieren wir mit einem Kornbrand“, erklärt sie. Doch zunächst wird mit einem Refraktometer der Reifegrad ermittelt. Zum Vergleich teilt sie mit, dass ausgereifte Äpfel bis zu 65°Oechsle erreichen. Ein Tropfen Vogelbeersaft auf die Trägerplatte – und die Besucher können 80°Oe ablesen. „Reife Vogelbeeren haben 120 bis 130°Oechsle“, sagt sie.

Dann geht es weiter zum Mirabellenbaum. „Steinobst bringt eine Fülle an Aromen – deshalb ist die Mirabelle Everybody‘s Darling“, sagt sie und zeigt, wie der Baum geschüttelt wird. Nur ganz leicht, denn wenn der Stiel noch dran hängenbleibt, ist die Frucht noch nicht reif genug. In Hammelburg beernten die Bolds 50 alte Mirabellenbäume, die in guten Jahren 12 bis 14 hl Maische ergeben. Darüberhinaus haben sie 170 Hochstammbäume in allen Altersklassen. „Wir beernten 27 verschiedene Birnen und 24 Apfelsorten“, sagt sie.

Ein Tropfen Saft wird auf das Refraktometer gegeben, bevor jeder einmal durchschauen darf.

Mit ein paar reifen Ringlo in der Hand geht es weiter in das Reich des Brennmeisters. Dort gibt es erst einmal einen kleinen Exkurs ins Brennrecht: „300 Liter Weingeist dürfen wir pro Jahr brennen, bei Vierzigprozentigem wären das 750 Liter fertiger Schnaps.“ Der Zoll will wissen, was, wann und wie viel gebrannt wird. Inzwischen kommen die Zollbeamten nur mehr stichprobenartig. Stoffbesitzer dürfen gegen Nachweis ihrer Obstbäume 50 l Weingeist im Jahr erzeugen lassen.

Zusätzlich dürfen die Betriebe Geister und Liköre produzieren. „Für einen Geist werden zuckerarme Beeren, Kräuter oder Nüsse mit zugekauftem 96-prozentigem Neutralalkohol angesetzt und mindestens eine Mondphase lang stehengelassen.“ Zum Beispiel dürfen die Gäste an einem Kamillen-Botanical schnuppern, das Lothar Bold später im Blending-Verfahren in den hauseigenen Gin mischen wird.

Dann aber wird der Brennvorgang anhand eines Schaubildes erklärt. Im Vorlauf verdampft der (gesundheitsgefährliche) Methylalkohol. „Und der Nachlauf enthält ungenießbare Fuselöle, die das ganze Destillat verseuchen würden“, erklärt die Expertin und lässt die Besucher an Proben riechen.

Einen schönen, feinen Strahl kann der Brennmeister mit Fingerspitzengefühl und dem Griff zum richtigen Holzscheit erreichen. Denn wenn der Ethylalkohol zu stark läuft, bleiben die Aromen in der Maische.

Zum reichhaltigen Sortiment gehören nicht nur Schnäpse, Geiste und Liköre, sondern auch Whisky und Gin.

Dass dieses Missgeschick dem Brennmeister nicht passiert ist, ist bei der anschließenden Verkostung im modernen Probenraum zu schmecken. Wohltemperiert bei 14 bis 16 °C servieren Ingrid und Lothar Bold drei ihrer Spezialitäten in formschönen Gläsern, die sich nach oben verjüngen. So treffen die feinen Aromen zielgerichtet auf die Duftrezeptoren in der Nase. Los geht es mit einer Mirabelle – einem „Klassebrand“ nach Aussage einer Brennerkollegin. Die folgende Kreation erraten die Gäste nicht gleich, weil sie in der Rhön keinen Whisky erwartet hätten. Den Getreidebrand lagern die Bolds mindestens drei Jahre. Die Kostprobe stammt von einer Partie, die sechs Jahre in einem Bourbonfass aus amerikanischer Weißeiche reifte und nur mit Zuckercouleur versehen wurde.

„Wir haben ein Faible für alte Getreidesorten“, verrät Lothar Bold, der auf 12 ha auch Roggen, Emmer und Dinkel anbaut. Kleegras, Ackerbohnen und Erbsen werten die Fruchtfolge auf. Zusätzlich gehören 1,5 ha Streuobstwiesen und 2,5 ha Wald zu dem Naturland-Betrieb. Bis 1990 standen hier noch Milchkühe im Stall.

Hauptstandbein des Betriebes ist die Brennerei. „Wir sammeln alles selber“, sagt Lothar Bold. Für Gin auch Schafgarbe, Brennnesseln, Giersch und Gundermann. Neben den klassischen Schnapserlebnissen werden Sternparkführungen oder Kräuterführungen angeboten.

Selbstgesammelt sind auch die Waldhimbeeren. „Bis zu zweieinhalb Stunden braucht man, bis man ein Kilo zusammen hat“, weiß Ingrid Bold aus Erfahrung. „Unser Sohn geht da nicht mehr mit“, berichtet sie lachend. Obwohl sich die Mühe lohnt: Der Waldhimbeerlikör begeistert die Gäste, die den Schnapsideen durchweg gute Noten ausstellen.

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