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LAND & LEUTE 

Dorf statt Großstadt

Nach „Einsatz in vier Wänden“ mischt Tine Wittler nun das Dörfchen Jabel mit ihrer Kulturkneipe „Wittlerins Wohnzimmer“ auf.

Der Wechsel von Hamburg ins strukturschwache Wendland, genauer gesagt in den rund 60 Seelen-Ort Jabel war für Tine Wittler nicht so einschneidend, wie man denken sollte. „Ich bin auf dem Dorf groß geworden. Ich bin in Ostwestfalen, im Kreis Minden-Lübbecke geboren und aufgewachsen, von drei Seiten von Niedersachsen umgeben. Dieser Kreis ist dort fast das, was Lüchow-Dannenberg für Niedersachsen ist“, erzählt Wittler. Als Jugendliche zog es sie in die Fremde, sie verbrachte ein Schuljahr in den USA, studierte später in Lüneburg und Großbritannien, ging dann nach Hamburg.

Dort blieb Tine Wittler, die mit der TV-Einrichtungs-Serie „Einsatz in vier Wänden“ bekannt wurde, 25 Jahre. „Ich finde immer noch, sie ist die schönste Stadt auf der Welt. Aber sie war irgendwann nicht mehr das Richtige für mich“, erzählt die 47-Jährige von ihrer Suche nach einer neuen Heimat, die sie schließlich im Landkreis Lüchow-Dannenberg fand. Von drei Objekten, die sie sich dort ansah, war das alte Fachwerkhaus in Jabel das einzige, das sie sich auch von innen ansah.

2017 wurde erstmal eine Woche probegewohnt

„Nach zehn Sekunden habe ich gewusst: Das ist es. Ich hatte vom ersten Moment an ein Gefühl der Geborgenheit“, erinnert sich Tine Wittler an den Tag der Hausbesichtigung vor drei Jahren. Ihr Mann habe vor allem die Mängel des alten Gemäuers gesehen, doch um sie war es da schon geschehen. Nach einer Woche Probewohnen im Oktober 2017 war klar, „dass der alte Kasten und ich uns ausgezeichnet verstehen. Wir haben einen Deal: Alles, was vom Betrieb von der Kneipe übrig bleibt, geht in das Haus“, sagt die Wittlerin, wie sich selbst nennt.

Denn auch, wenn sie der Großstadt den Rücken gekehrt hat, war doch klar, dass sie in Jabel als Gastronomin mit Schwerpunkt Kunst und Kultur tätig bleiben wollte. In Hamburg hat Tine Wittler 15 Jahre in ihrer „Parallelwelt Kulturbar“ Künstlern eine Bühne geboten. Jetzt veranstaltet sie in Jabel Lesungen, Comedy-Abende oder Konzerte. Anfang Juli hat etwa die Sängerin Marla Glen ein Benefizkonzert für den Verein gegeben.

Ihren Lebensunterhalt verdient die Künstlerin außerhalb Lüchow-Dannenbergs, mit ihren musikalisch-literarischen Programmen wie der „Lokalrunde“ oder dem Ein-Personen-Stück „Halbnackte Bauarbeiter“, das im Herbst 2020 im Boulevardtheater Deidesheim uraufgeführt wird. Derzeit arbeitet sie zudem mit „Suche Heimat, biete Bier“ an ihrem achten belletristischen Werk.

Doch „Wittlerins Wohnzimmer“ und das Jabeler Kulturprogramm sind ihr „Herz-Heimat-Job, weil ich es auch so sehr genieße, Gastgeberin für andere Künstler zu sein“, sagt Tine Wittler. Der Austausch mit den anderen Künstlern sei für sie eine „unglaubliche Inspiration“. Außerdem möchte sie die Kneipenkultur pflegen, denn das, sagt Wittler, sei eine aussterbende Art.

In einem alten Fachwerkhaus im wendländischen Jabel hat Tine Wittler die Kulturkneipe „Wittlerins Wohnzimmer“ eröffnet.

„Kulturbar Wendland“ fördert Kunst und Kultur

Unterstützung bei der aufwendigen Vor- und Nachbereitung bekommt sie vom Verein „Kulturbar Wendland“. Der gemeinnützige Verein hat sich im Juni 2018 mit dem Ziel der Förderung von Kunst und Kultur im Wendland gegründet. Seine gerade einmal neun Mitglieder zahlen keinen Beitrag, sondern bringen sich tatkräftig in die Organisation der Veranstaltungen ein. Das Engagement zahlte sich aus; „Wittlerins Wohnzimmer“ hatte sich gerade als Veranstaltungsort etabliert – dann kam Corona.

Damit sei alles weggebrochen, „meinen letzten bezahlten Auftritt hatte ich Mitte März“, erzählt Tine Wittler. Wenigstens in Jabel sollte es weitergehen, also entwickelte die Künstlerin Ende Mai unter Einhaltung der damals noch sehr strengen Abstandsregelungen im Kneipengarten das „kleinste Autokino der Welt“ für insgesamt fünf Pkws plus einen Stellplatz für einen Trecker oder ein Wohnmobil vor dem Gartenzaun. Doch das Konzept fiel buchstäblich ins Wasser: Es regnete an den Wochenenden.

Im Garten, mit großem Abstand, Tine Wittler auf der Bühne: So sehen die Veranstaltungen in Jabel in Zeiten von Corona aus.

Mitmachkneipe auf Vertrauensbasis

Also plante Tine Wittler um und trat mit ihren Programmen am gleichen Ort im „Autotheater“ auf. Das sei „unfassbar aufwendig und unfassbar lustig“ gewesen. Und die Rettung für den Kulturverein, der so wenigstens etwas Geld einnahm. Da keiner weiß, wie die Bedingungen im Herbst sein werden, hat „das Schweizer Taschenmesser der norddeutschen Kleinkunstszene“, wie RTL Nord die Jabeler Künstlerin kürzlich bezeichnet hat, das Herbstprogramm in den Sommer und den Garten verlegt.

Und sie verzahnt die Kultur mit der ihr so geschätzten Kneipenkultur: „Wittlerins Wohnzimmer“ wird zur Mitmachkneipe mit Selbstbedienung und Kasse auf Vertrauensbasis. Auf den Bierdeckeln sollen die Kunden nicht nur ihre Getränkeliste führen, sondern auch Wünsche oder Gedanken notieren. Diese werden die Grundlagen eines Kunstprojekts werden.

Und Jabel ist nicht nur für Tine Wittler zum Zentrum ihres Lebens geworden, sondern auch für ihren Mann, der arbeitsbedingt jedoch unter der Woche in Hamburg ist. Sie selber zähle die Kilometer, wenn sie von Auftritten auf der Rückfahrt sei. „Ich wurde hier mit offenen Armen aufgenommen“, erzählt sie, der am Dorfleben „das Leben-und-leben-lassen, dieses Miteinander der ganz unterschiedlichen Menschen“ gefällt.

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