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Thema der Woche mit AUDIO-Interview

Den Wolf jetzt mit Glocken vergrämen?

Isabell Dismer hält 90 Mutterschafe, nach vier Wolfsattacken sind es noch 50.

Drei Wolfsrudel gibt es im Landkreis Lüchow-Dannenberg, Lomitz liegt mitten im Einzugsgebiet des Gartower Rudels. Dort hielt Isabell Dismer auf ihrem Ökobetrieb mit Schwerpunkt Ackerbau 90 Mutterschafe, um 70 ha Grünland zu nutzen und Winterzwischenfrüchte besser zu verwerten. Heute sind es nach vier Wolfsattacken nur noch 50 Mutterschafe.

Als Zaun dienten bis zur ersten Wolfsattacke 90 cm hohe Netze mit Doppelspitzen an den Pfählen zur besseren Standfestigkeit im Boden. „Die Ecken werden bei uns seit jeher mit Eisenstangen gespannt. 12 V-Akkugeräte dienten zur Stromversorgung. Die Netze entsprechen dem Mindestgrundschutz bezüglich Herdenschutz, waren fachgerecht aufgebaut und sicher unter Strom“, so die Landwirtin. Die Netze wurden als Präventionsmaßnahme zu 100 % gefördert.

Noch am Tag des ersten Wolfsübergriffes im Februar bekam Dismer NLWKN leihweise zehn Euronetze, die 120 cm hoch waren. Sie bestellte sofort neue Netze und bekam diese zu 100 % gefördert. Im März schaffte es ein Wolf trotz des höheren Netzes, in den Pferch zu gelangen und ein Schlachtlamm zu reißen. Kreisveterinärin Dr. Birgit Mennerich Bunge war vor Ort und zeigte sich enttäuscht, dass keine weiteren „optischen und akustischen Reize“ am Pferch vorhanden waren, um den Beutegreifer zu vergrämen. Ihr Vorschlag: Man müsse sich hier natürlich „erfinderisch“ zeigen, denn der Beutegreifer gewöhne sich natürlich an die immer gleichen Reize schnell. Außerdem mache sich ein Trassierband oder eine einzeln vor dem Pferch zusätzlich gespannte Litze gut.

Dismer hat nach dem zweiten Riss im März Plastiktüten auf ausrangierte Zaunpfähle um den Pferch gestellt, die flattern und rascheln. Außerdem hat sie ein Windspiel in die Bäume gehängt. Trotzdem gab es im August erneut einen Wolfsangriff. Im Pferch lagen acht tote Schafe, rausgelaufen war kein Tier. Auch stand das Elektronetz so, wie es aufgebaut worden war. Spuren von Untergrabung waren auch nicht zu finden.

Zwei Wochen später attackierten Wölfe erneut die Schafe - zwei tote Schafe im Pferch, sechs weitere tote Tiere vor dem Pferch und sechs Schafe sind seitdem verschollen. Die übrige Herde stand noch im Pferch. Die vorerst letzte Attacke mit vier toten und vier verletzten Schafen gab es in der vergangenen Woche.

Nach den Rissen im August hat sie mit einem geliehenen Baustellenradio versucht, die Wölfe von den Schafen fernzuhalten. Neueste Errungenschaft sind Glocken für 40 Mutterschafe. Glocken und Halsbänder kosteten 400 €. „Die Schafe laufen jetzt drei Wochen mit den Glocken. Hoffentlich ist es nachhaltig“. Die Glocken sind relativ leise, wenn die Schafe ruhen oder grasen. Ein richtiges Konzert entsteht jedoch, wenn die Schafe laufen oder gehetzt werden. Vorige Woche haben die Glocken den Wolf nicht vom Übergriff abgehalten.

Die Herde mit den Schlachtlämmern wurde sicherheitshalber bereits mit einem doppelte Zaun (90 und 120 cm) im Abstand von 1 m zueinander eingezäunt. „Diese Maßnahme ist schon mit einem großen Aufwand verbunden und nicht dauerhaft durchführbar“, so die Landwirtin. „Ich habe entschieden, diese Tiere bereits im Oktober schlachten zu lassen. Normalerweise passiert dieses erst kurz vor Ostern. Das bedeutet, die Tiere haben bis Ostern höhere Schlachtgewichte und ich bekomme einen besseren Preis. Darauf muss ich nun verzichten“, so die Landwirtin. 

Isabell Dismer gibt zu bedenken, dass sie mehrmals wöchentlich die Schafpferche umbaut und auch mehrere Herden hat. Schon der Aufbau der Netze mit 120 cm Höhe bringt eine enorme körperliche Anstrengung mit sich: Sie sind schwer und unhandlich und zudem anfällig gegen Winde und Schneelast. Die Netze mit 90 cm Höhe waren dagegen ohne große Anstrengung aufgebaut. Hier noch weitere Litzen, eine doppelte Einzäunung mit Elektronetzen oder ähnliches aufzubauen, hält Dismer für nicht mehr zumutbar. Ob tatsächlich die Höhe des Zaunes zur Wolfsabwehr entscheidend ist, wird unterschiedlich bewertet. Wichtig ist vor allem, dass die unterste stromführende Litze nicht mehr als 20 cm über dem Boden ist.

Die Herde mit den Schlachtlämmern ist mit einem doppelte Zaun (90 und 120 cm) im Abstand von 1 m zueinander eingezäunt.

Vor dem Zaunbau wird an der betreffenden Stelle ein drei Meter breiter Streifen Aufwuchs gemulcht. Extra dafür schaffte sich Dismer bereits vor Jahren ein Mulchgerät an. Da der Aufwuchs gehäckselt wird, gibt es keine Stromableitung am Zaun, Bei dem Aufbau der Netze geht immer eine Person mit separaten Zaunpfählen hinterher, und steckt die nicht stromführende Bodenlitze bei Bodenunebenheiten (z.B. in Senken oder wenn Schwarzwild gebrochen hat) herunter. Bei Dismers ist es offensichtlich so, dass mindestens ein Wolf über den Zaun springt. „Anders kommt er ja nicht in den Pferch, wenn nicht untergraben worden ist und der Zaun tadellos steht. Ich gehe davon aus, dass sich weitere Wölfe vor dem Pferch aufhalten, die sich nicht trauen, rüberzuspringen. Ansonsten können nicht sechs gerissene Schafe außerhalb des Pferches liegen, auf engstem Raum“, so die Tierhalterin.

Die Kreisveterinärin Dr. Birgit Mennerich Bunge möchte sich nun, bevor sie der Schafhalterin „weitreichende und kostenintensive Maßnahmen zum Herdenschutz auferlegt“, einen Überblick verschaffen, welcher Beutegreiferschutz in den Herden angewendet wird und wo die Ursachen der wiederholten Übergriffe liegen könnten. Dazu soll es unangemeldete Kontrollen geben.

Mehrfach gab es bereits in diesem Jahr Wolfsangriffe auf die Schafherde von Isabell Dismer im Wendland.

Dismer soll deshalb bis Ende April 2021 dem Veterinäramt laufend den aktuellen Standort incl. konkreter Beschreibung der am Standort umgesetzter Herdenschutzmaßnahmen mitteilen. Bei einem Standortwechsel soll die Mitteilung unaufgefordert für jede Herde am Tag der Umsetzung der Herde erfolgen. Diese mögliche Anordnung hält Isabell Dismer für unangemessen und überzogen. Von Mennerich-Bunge gab es für Dismer auch eine Broschüre zum Einsatz von Herdenschutzhunden.

Ab 100 Mutterschafen bekommt sie zwei Herdenschutzhunde unter bestimmten Voraussetzungen gefördert. Ein ausgebildeter Hund wurde ihr zum Preis von 6.000 € angeboten. Also 12.000 € für zwei Hunde. Nun ist es aber nicht mit der Anschaffung getan. Ein Hund verursacht pro Jahr laufende Kosten von 1.500 €, also 3.000 € bei zwei Hunden. Das entspricht also Mehrkosten von 30 € je Mutterschaf und Jahr. Dazu müsste der Bestand auf 100 Mutterschafe aufgestockt werden. Neben den Mehrkosten fällt auch mehr Arbeit und mehr Verantwortung an, gerade bei dem Einsatz von Schutzhunden. Auch Isabell Dismer weiß natürlich, dass es einen hundertprozentigen Wolfsschutz auf der Weide nicht gibt.

Dies liegt darin begründet, dass man bei Schutzmaßnahmen immer Kompromisse machen muss zwischen dem, was gut schützt und dem, was vom Aufwand her realisierbar ist. So ist es auch mit den Schutzzäunen. Der Schutz der Weidetiere bringt zusätzliche Arbeit mit sich, die nicht entlohnt wird. Um diesen Aufwand abzufangen, wünscht sich Dismer von der Politik, zumindest in Wolfsgebieten über Weidetierprämien nachzudenken. Sie wünscht sich eine klare Ansage, welche Maßnahmen zum „maximal zumutbaren Herdenschutz“ vom Tierhalter gefordert werden.

Wenn trotz der Schutzmaßnahmen weitere Übergriffe passieren, wünscht sich die Schafhalterin eine gezielte Entnahme des Wolfes, der über die Zäune springt, damit die anderen dies nicht von ihm lernen.

Die Suche nach Problemwölfen

Der EU-Kommission sind die Regeln für die Entnahme einzelner Problemwölfe in Deutschland nicht streng genug. Die Bundesregierung hat die Kritikpunkte zurückgewiesen. Im letzten Jahr vor Inkrafttreten der Neuregelung im Naturschutzgesetz wurden nach Angaben des Bundes drei Ausnahmegenehmigungen im Rahmen des Wolfsmanagements erteilt. Sie betrafen Wölfe in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Keines der drei Tiere wurde bislang geschossen. In Niedersachsen wurde der identifizierte Wolfsrüde nicht wieder angetroffen. In Schleswig-Holstein wurde der aus Dänemark eingewanderte Wolf überfahren und in Thüringen wurde die Genehmigung ausgesetzt, weil die Wölfin ihre Nachkommen säugt.

Zusammen wurden für diese drei Wölfe 47 verletzte oder getötete Weidetiere nachgewiesen, teilweise trotz elektrischer Schutzzäune von mehr als 1 m Höhe. Zwischen 2000 und 2019 gab es 2.973 Übergriffe. Häufig werden mehrere Nutztiere getötet.

www.agrarheute.de

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