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THEMA DER WOCHE mit VIDEO-Reportage

Wenn Bauern im Dorf weniger werden

Weidehaltung hat eine lange Tradition auf den Höfen in Neusüdende. Dieter Ahlers (hier mit seiner Auszubildenden Tomke Hobbie) hält 60 Kühe.

Nur noch fünf Vollerwerbslandwirte (früher waren es 40) gibt es in dem Dorf Neusüdende mit 622 Einwohnern vor den Toren von Oldenburg. Hinzu kommen Neben- und Zuerwerbsbetriebe, Hobbylandwirte und Resthofbesitzer, die das Wohnen im Grünen mit ein paar tausend Quadratmeter Fläche hinterm Haus und Freiraum für Kinder und Kleintiere schätzen. Neusüdende hat sich verändert und der Strukturwandel betrifft längst nicht nur die Landwirtschaft.

Einen Lebensmittelladen und Bäcker gibt es schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr, auch Schmied, Metallbauer und Landmaschinenwerkstatt sind längst Geschichte.

Die Schule im Dorf gibt es seit den 1970er Jahren nicht mehr, die Nachnutzung als Kindergarten endete auch schon vor zehn Jahren, die Gemeinde verkaufte das Gebäude.

Früher gab es drei Gaststätten, heute keine mehr. Dafür gibt es die Boßelerburg, eine Art Dorfgemeinschaftshaus unter der Federführung vom Boßelverein. In dem Gebäude war zuvor eine Gaststätte mit Viehwaage, später eine Dorfdisco und schließlich ein Nachtclub.

Wechselvolle Geschichte: Gaststätte mit Viehwaage, Dorfdisco, Nachtclub und heute Vereinsheim vom Boßelverein und Dorfgemeinschaftshaus.
Der Lindenhof war bis vor 15 Jahren eine der drei Dorfgaststätten, ganz früher gab es dort auch noch einen Kaufmannsladen.

Bei der Bankschließung wollte man Widerstand leisten: 181 Bürger kämpften 2012 mit einer Unterschriftenliste für den Erhalt der kleinen Filiale, ohne Erfolg. Schluss mit Radeln zur Kasse und dem Geldabheben in Gummistiefeln. Die Chefs der Bank blieben hart. Die Entwicklung der Kundenzahlen war von 650 Kunden auf 432 zurückgegangen, die Rentabilität nicht mehr gegeben. Kompromissvorschläge von Kunden, beispielsweise die Verkürzung der Öffnungszeiten oder das Aufstellen von Geldautomaten, wurden abgelehnt. Auch hier seien die Kosten zu hoch.

Was bringt die Zukunft für die Bauern in Neusüdende? Wir diskutierten mit (von links) Hans-Gerd Haake, Rolf Klockgether, Hans-Heinrich Wemken, Tomke Hobbie, Dieter Ahlers, Jürgen Vahlenkamp und Jan-Erik zur Horst.

Wir diskutieren mit gestandenen Bauern zwischen 53 und 71 Jahren und einer 19-jährigen landwirtschaftlichen Auszubildenden draußen auf der Terrasse, natürlich mit Abstand, intensiv und durchaus kontrovers.

Wir sind auf dem Hof von Dieter Ahlers, 57 Jahre alt. Er hat seinen Futterbaubetrieb stetig weitertwickelt: 100 ha (Grünland, Getreide. Mais), 60 Kühe, 50 Bullen, 80 Teile Jungvieh, 400 Mastschweineplätze, Ausbildungsbetrieb.

Hans-Gerd Haake, 58, bewirtschaftet 58 ha und hält 60 Kühe mit der entsprechenden Nachzucht.

Der Älteste in der munteren Gesprächsrunde ist mit 71 Jahren Jürgen Vahlenkamp. Er hat bis 65 Jahre gemolken, hattte 50 Kühe mit der entsprechenden Nachzucht und bewirtschaftete 50 ha. Die Flächen sind inzwischen verpachtet, ein Stall auch, so kann er genutzt werden.

Auch Hans-Heinrich Wemken (65) ist Altenteiler und hat seine Flächen verpachtet. Er bewirtschaftete früher 40 ha im Vollerwerb und betrieb Milchwirtschaft und Bullenmast.

Rolf Klockgether (57) bewirtschaftet zusammen mit seinem Bruder Rainer in einer GbR 90 ha, davon 60 ha Acker. In seinen Stallungen stehen 55 Kühe mit der entsprechenden Nachzucht, hinzu kommen 90 Sauen im geschlossenen System.

Jan-Erik zur Horst (53) hat 90 ha und bewirtschaftet 60 davon selber. Er hält 60 Kühe mit Nachzucht und verdient zusätzlich etwas Geld mit zehn Pensionspferden.

Jüngste Teilnehmerin der lebhaften Diskussion ist mit ihren 19 Jahren Tomke Hobbie aus Sande, Auszubildende bei Dieter Ahlers.

Warum ist die Landwirtschaft hier und heute so wie sie ist? Wir lassen die Jahrzehnte Revue passieren. Jürgen Vahlenkamp erinnert sich an Milchseen und Butterberge in den 1970er Jahren, aber auch an ganz viel Nachbarschaftshilfe wie zum Beispiel beim Hacken der Futterrüben. Die Hilfe untereinander war selbstverständlich, das gemeinsame Feiern auch. Und der Höhepunkt im Jahr war das Erntefest mit großem Umzug.

Ein Meilenstein in der Hofentwicklung von Dieter Ahlers war seine 1969 gebaute „Legebatterie“ für 6.000 Hühner (heute Schweinestall): „Da gab es ein positives Echo. Ich habe in der Schulklasse berichtet, wie der Stall funktioniert. Da hat die ganze Klasse Beifall geklatscht. Heute würde man dafür gemobbt werden“.

Hans-Heinrich Wemken erinnert an die starke gesellschaftliche Einbindung und ein entschleunigtes Leben von zufriedenen Bauern, obwohl die körperliche Arbeit anstrengend war: „Wir hatten 60 Hühner, davon wurde der Haushalt finanziert. Das heißt: Wir brachten die Eier hier zum Einkaufsladen, und dafür bekamen wir Lebensmittel, Zucker, Mehl, was man so braucht. Ein paar Eier verkauften wir noch ab Hof. Die Hühner liefen überall rum, es war so, wie sich das heute viele Leute wünschen. Dann kam die Käfighaltung und dier Kunden schwärmten von sauberen Eiern aus der Legebatterie und wir blieben auf unseren Eiern sitzen“.

Schon damals hieß es auch seitens der Beratung: „Die Ammerländer Kleintierzoos sind nicht zukunftsfähig“. Spezialisierung war angesagt. Alle erinnern sich an eine große Bauern-Demo in der Dortmunder Westfalen-Halle 1974. Durch den Strukturwandel gab es viel Unruhe bei den Bauern.

Eines der „Probleme“ in Neusüdende nennen die Bauern beim Namen: „Man konnte sich nicht so richtig vergrößern, weil wir viele aktive Landwirte bei uns im Dorf hatten. Andererseits wollten wir jungen Landwirte natürlich etwas verändern, haben die Tierbestände vergrößert, von Mist auf Gülle und von Futterrüben auf Mais umgestellt“.

Heute soll es billig sein

Die Bauern sagen: „Wir haben ja wirtschaftlich gesehen immer das produziert, was der Markt wollte. Das Schwein wurde fettarmer und länger, damit ein Kotelett mehr dabei rausspringt. Wir haben produziert, was der Markt wollte, und heute möchte der Markt in erster Linie: billig.

Das Umdenken geht nur langsam voran. Und die Vermarktung ist wesentlich schwieriger geworden, weil fast die ganze Kette auf größere Bestände ausgelegt ist. Kleinere Tierzahlen werden gebündelt, das kostet zusätzlich Zeit und Arbeit und ist nicht selten mit Preisabschlägen verbunden“.

Das Zauberwort heißt integrierte Produktion. Davon profitieren aber nicht die noch verbliebenen Neusüdender Haupterwerbsbbetriebe mit ihren kleineren und mittleren Größeneinheiten. Bestes Beispiel ist die Sauenhaltung, früher eine Hochburg auf den nicht so flächenstarken Ammerländer Betrieben. Heute noch legendär, das Ammerländer Edelschwein. Der hohe intermuskuläre Fettgehalt sorgte für die besonders gute Fleischqualität und den besonderen Geschmack, als Braten, paniert oder als Steak auf dem Grill.

Das Tierwohl ist wichtig

Den Weg zu mehr Tierwohl finden alle am Tisch richtig. Aber es gibt auch einen Pferdefuß. Beim QS-Prüfzeichen hieß es, wir holen deine Schweine nicht mehr ab, wenn du nicht mitmachst. So wird das standardisiert, und das ist ein politischer Trend. „Wir erklären etwas zum Standard, dann brauchen wir das nicht ex-tra honorieren. Der Landwirt bleibt auf den Kosten sitzen. Der Staat könnte ja auch sagen: Wir erhöhen die Mehrwertsteuer auf 25 %, denn wir wollen Naturschutz, Klimaschutz und Tierwohl finanzieren. Dann möchte ich mal sehen, wie die Leute reagieren“, so Dieter Ahlers, der lange Jahre politisch auf Gemeinde- und Kreisebene aktiv ist.

Landwirtschaft im Ammerland

  • 780 Betriebe, im Schnitt 55 ha
  • Geest sowie Hoch- und Niedrigmoor, etwas Lehm und Ton
  • Acker und Grünland je zur Hälfte, 10 % Wald
  • 539 Rinderhalter, davon 323 Milchkuhhalter mit durchschnittlich 106 Milchkühen
  • 59 Schweine-, 61 Geflügel- und 38 Schafhalter
  • 30 Biogasanlagen
  • 172 Baumschulbetriebe im Vollerwerb mit 2.800 ha Fläche
  • Strukturwandel: 4,4 %

Rolf Klockgether pflichtet ihm bei: „Der Gesellschaft geht es überwiegend gut. Man braucht sich nicht mehr mit seinem Leben zu beschäftigen, das Haus ist fertig, da stehen Elektrofahrräder und Autos vor der Tür, die nächsten Urlaube nach der Corona-Zeit sind geplant“. Und er kann seinen vier Kindern auch die Entscheidung nicht abnehmen, in die Landwirtschaft einzusteigen und Bauer zu werden.

Wie wird es weitergehen mit den Haupterwerbsbetrieben in Neusüdende? Für alle ist Landwirt nicht nur Beruf/Arbeit, sondern Berufung, Lebensinhalt und verbunden mit ganz viel Leidenschaft. Für die Höfe unserer Gesprächsteilnehmer gibt es bislang keine Nachfolger, die Kinder haben andere Berufe gelernt oder sind noch unentschlossen. Dabei würde jetzt mit der nächsten Generation auch der nächste (große) Entwicklungsschritt anstehen, um den Betrieb für die Zukunft auszurichten.

Neusüdende, Landkreis Ammerland: 622 Einwohner, fünf Vollerwerbsbetriebe.

„Mein Sohn möchte vielleicht“, sagt Jan-Erik zur Horst, „da bin ich eher derjenige, der bremst.“ Die wirtschaftlichen Aussichten schätzt er als eher unsicher ein und sieht seit vielen Jahren den gesellschaftlichen Rückhalt schwinden. „Landwirt ist und bleibt ein attraktiver Beruf“, sagt Jan-Erik zur Horst, „ich möchte nichts anderes machen.“ Er weiß die Arbeit an der frischen Luft und seinen Arbeitsplatz zu schätzen und ihm wird die Arbeit auch nicht zuviel. Er hat drei Kinder und wartet deren Berufswahl nun erstmal ab.

„Wir schauen mal, was unsere Kinder machen und investieren derzeit nicht großartig“, sagt auch Rolf Klockgether. Aus arbeitswirtschaftlichen Gründen überlegt die Familie, die Sauenhaltung aufzugeben und stattdessen Ferkel zuzukaufen und die Schweine zu mästen.

Auch Jürgen Vahlenkamp hat die Arbeit zusammen mit seiner Frau immer gerne gemacht und sie haben sich für den Urlaub einen Betriebshelfer genommmen. Er wünscht sich wieder mehr Wertschätzung für die Landwirtschaft.

Was machen die Kinder?

Hans-Gerd Haake sieht auch die viele Arbeit und vor allem die Arbeitsspitzen. Er ist fast nur noch im Stall und setzt auf dem Feld einen Lohnunternehmer mit hoher Schlagkraft ein, um nicht selber in teure Landtechnik investieren zu müssen. Stand heute, wird der Betrieb in sieben Jahren auslaufen, wenn seine drei Kinder es sich nicht noch anders überlegen. Sein Betrieb besteht 240 Jahre, sieben Generationen haben dort gewirtschaftet und er wird irgendwann wohl den Schlüssel umdrehen.

Auch die beiden Töchter von Dieter Ahlers haben außerlandwirtschaftliche Berufe. Er kann sich auf Dauer durchaus eine Kooperation vorstellen, damit es weitergehen kann.

Ein Gebäude mit einer langen Traditon. Hier war früher die Neusüdender Schule und danach noch der Kindergarten. Vor zehn Jahren verkaufte die Gemeinde das Haus.

Die Auszubildende von Dieter Ahlers, Tomke Hobbie, hat Spaß an der Landwirtschaft, möchte nach der Lehre vielleicht ein Agrarstudium beginnen. Ihre Familie bewirtschaftet einen 140 ha großen Futterbaubetrieb mit 80 Kühen und 60 Bullen in Friesland.

Fazit

  • Landwirt ist nicht nur Beruf, sondern Berufung und Lebensinhalt, verbunden mit viel Leidenschaft.
  • Betriebsaufgabe ist eine unternehmerische Entscheidung, die nicht nur mehr Mut, sondern auch mehr Begleitung erfordert als manche Investitionsplanung.
  • Die Landwirtschaft, die Region und die Dörfer werden sich weiterhin verändern.
  • Deutlicher als das Dorfbild werden sich Nachbarschaften, Dorfgemeinschaften und das Vereinsleben verändern.
  • Das Gute: Aus den Dörfern wird das, was die Bewohner daraus machen – wenn man sie lässt und unterstützt.
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