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Mit VIDEOS

„Reine Aufklärung ist fehl am Platz“

Für den Report „Glori goes Viehtransport“ begleitete Gloria Warg Läufer beim Transport zum Maststall und Mastschweine auf dem Weg zum Schlachthof - beide Male hinten im Auflieger.

Wie sind Sie als ehemaliges Großstadtkind zu Ihrer heutigen Arbeit gekommen?

Ich bin mitten in Hannover aufgewachsen, aber Landwirtschaft war immer Teil meiner Familie. Nach dem Abitur habe ich mich selbst ins kalte Wasser geworfen und ein Betriebspraktikum gemacht und dabei meine Begeisterung für die Landwirtschaft entdeckt. Daraufhin habe ich angefangen, in Göttingen Agrarwissenschaften zu studieren.

„Wir wollen auf Augenhöhe kommunizieren.“

Gloria Warg

Ich habe schnell gemerkt: Der Schnack in der Agrarcommunity ist ein ganz anderer ist als ich ihn aus der Stadt gewohnt war. Genauso unterschiedlich sind die jeweiligen Vorstellungen. Da prallen in puncto Kommunikation oft zwei Welten aufeinander. Je mehr ich das wahrgenommen habe, desto klarer wurde mir, dass Agrarkommunikation und Öffentlichkeitsarbeit für mich wichtige Themen sind.

Wie sieht das typische Publikum von LAND.SCHAFFT.WERTE. aus?

Das typische Publikum gibt es so bei uns nicht. Je nach Themengebiet und Video haben wir andere Zuschauer. Unser Publikum ist sehr breit gefächert. Viele Nutzer sind Young Professionals aus der Agrar- & Ernährungsbranche. Aber je aktueller und vor allem je kritischer die Themen sind und je offener wir damit umgehen desto mehr Menschen erreichen wir – dann auch zunehmend von außerhalb der Branche.

Was war denn ein besonders kritisches Thema?

Besonders kritisch war das Thema Tiertransporte. Themen, die uns vermeintlich recht nahe sind und die wir aus unseren eigenen Erfahrungen gut nachvollziehen können, laufen oft am besten. Jeder hat schon einmal einen Tiertransport auf der Straße gesehen und macht sich dazu seine Gedanken. Zu den Tiertransporten haben wir zwei Videos gemacht: über den Weg der Ferkel zum Mäster und am Ende der Mast über den Transport zum Schlachthof. Wir wollten zeigen, dass viele verschiedene Betriebe an der Erzeugung beteiligt sind und ein Tiertransport daher nicht immer zum Schlachthof führt.

Das waren die Beiträge, die bisher die höchsten Reichweiten und Interaktionen ausgelöst haben. Spannend für uns war, dass die Leute nicht den Tiertransport an sich kritisiert haben – dass die Tiere zu eng stehen oder dass sie nicht gut behandelt werden. Es wurde eher die Fleischerzeugung als Ganzes kritisiert und das oft sehr unsachlich, überspitzt und verallgemeinernd. Das zeigt: Die Landwirte und ihre Arbeit stehen nicht so stark in der Kritik wie die Landwirtschaft an sich.

Wie wählen Sie die Themen aus, die sie behandeln?

Zum einen chronologisch: Wir versuchen, die Wertschöpfungskette Fleisch als zusammenhängendes System darzustellen und Themenkomplexe aufeinander aufbauend zu veranschaulichen. Es gibt nicht nur den Landwirt und den Schlachthof, sondern da sind noch viele weitere Akteure am Lebensmittel Fleisch beteiligt. Wir wollen die Zusammenhänge verdeutlichen.

Zum anderen wählen wir unsere Inhalte auch nach Aktualität. Wir arbeiten gerne aktuelle Themen auf, wenn wir merken, dass wir da viel beitragen können. Wir sammeln im Team Fragen und Bedürfnisse und reden viel über Prozesse. Und wir tauschen uns intensiv mit unseren Mitgliedern aus und verfolgen die Geschehnisse und Berichterstattungen in den sozialen Medien.

Gloria Warg gibt Einblicke in die verschiedensten Bereiche der Branche, zum Beispiel bei den Fleischrindertagen in Verden.

Wir preschen aber nicht vor und bearbeiten jeden Themenkomplex. Wir wägen immer ab, wie wichtig etwas ist oder wie stark wir darauf eingehen müssen. Corona oder ASP zum Beispiel – da haben wir gesagt, das müssen wir machen. Zu Corona und den Schlachthöfen haben wir bei der ersten Welle einen Report gedreht, zur ASP gab es mehrere Kurzvideos und Factsheets. Wir diskutieren das intensiv – wenn wir etwas nicht behandeln, dann heißt das nicht, dass wir dazu keine Meinung haben oder zustimmen. Aber wir wollen in unseren Beiträgen einen gewissen Ausblick mitgeben.

Für mich ist bei der Auswahl von Inhalten mein Stadtbezug ein Vorteil. Die meisten meiner Freunde haben nichts mit Landwirtschaft zu tun und wissen wenig darüber. Von ihnen bekomme ich super viel Input. Außerdem bieten wir unseren Nutzern über die Social-Media-Kanäle immer die Möglichkeit, vor einem Filmdreh Fragen und Meinungen einzubringen. Diese Ideen nehmen wir mit in den Videodreh.

Wollen Sie den Verbrauchern mit ihren Beiträgen eine Botschaft mitgeben?

Ich mag das Wort Botschaft und das Wort Verbraucher nicht. Ich bin ja auch eine Verbraucherin – wir alle sind Personen, die mit ihrem Konsum etwas Bestimmtes fördern können. Egal ob ich vom Land komme oder aus der Großstadt, ob ich einen Beruf aus der Agrar- & Ernährungswirtschaft erlernt habe oder nicht. Jeden Tag kann ich durch meinen Konsum gewisse Dinge fördern oder eben nicht. Das in den Videos bin ja ich – zwar mit Hoodie und Brille, aber das bin trotzdem ich, kein fiktiver Charakter. Ich durchlaufe die verschiedenen Stufen auch, genau wie der Zuschauer.

Und Botschaft hat so etwas Dominantes. Wenn wir eine Botschaft haben, dann die, dass wir zuhören müssen, reflektieren, uns mit einer Sache beschäftigen. Aber wir wollen auf Augenhöhe kommunizieren. Unser Ziel ist nicht, eine Botschaft zu vermitteln, sondern eine Thematik zu beleuchten. Wir wollen darstellen, wie es ist.

Fehlt es den Verbrauchern an Wissen?

Ihnen wird oft unterstellt, dass ihnen Wissen fehlt und dass Aufklärung und mehr Wissen der Weg zu mehr Wertschätzung sind. Aber gerade kritische Stimmen kommen vermehrt von Menschen, die gut informiert sind. Das eigentliche Problem ist ein anhaltendes Vertrauensdefizit. Es wird oft versucht, fehlendes Vertrauen mit Aufklärung und Transparenz zu kitten, aber das funktioniert nicht. Aufklärung schafft nicht zwangsläufig Vertrauen. Man kann auch unsicher sein und trotzdem jemandem vertrauen, wenn man weiß, dass derjenige sich auskennt und einen guten Job macht.

Vertrauen gewinnt man durch Kommunikation auf Augenhöhe und vor allem durch Emotionen und Gesichter. Viele NGOs sind sehr erfolgreich damit, in ihrer Kommunikation emotional zu sein. Die arbeiten auch viel mit Bildern und Videos – rein emotional. Wir müssen nachhaltig Vertrauen aufbauen statt völlige Transparenz zu propagandieren. Man braucht Wissen und gute Basisquellen, deshalb arbeiten wir auch viele aktuelle Studien auf. Aber reine Aufklärung ist fehl am Platz.

Was können die Landwirte selbst tun, um mehr Vertrauen zu schaffen?

Eine wichtige Voraussetzung ist, sich in andere Personen hineinversetzen zu können. Für einen guten Dialog muss man auf andere eingehen und auch kritische Punkte ansprechen. Ich finde es immer wichtig, auf Augenhöhe zu argumentieren und keine Macht zu demonstrieren. Landwirte machen viel, um ökologisch und nachhaltig zu wirtschaften. Das auch zu kommunizieren und der Landwirtschaft ein Gesicht geben, damit die Verbraucher Vertrauen zu diesem Gesicht bekommen – das ist für mich der richtige Weg.

Eine Möglichkeit dazu sind die Social-Media-Kanäle. Aber oft kann man auch vor Ort ganz viel leisten: Führungen anbieten, Schulklassen einladen oder einfach generell offen sein. Nicht jedem liegt es, in den Dialog zu treten. Daher muss auch nicht jeder Öffentlichkeitsarbeit betreiben.

Wie gelangen wir zu mehr Wertschätzung für Fleisch?

Das ist kein leichter Weg. Mehr Wertschätzung kann man nicht einfach verlangen. Alles auf die Verbraucher abzuwälzen und ihnen vorzuwerfen, dass sie keine Wertschätzung mehr haben, ist falsch. Sie haben jahrelang gelernt, dass Fleisch kostengünstig ist. Das ist anders, wenn ich mir zum Beispiel eine teure Handtasche kaufe: Da muss ich überlegen, abwägen, sparen. Das erfordert von mir deutlich mehr Einsatz als ein Lebensmitteleinkauf.

„Für einen guten Dialog muss man auf andere eingehen und auch kritische Punkte ansprechen.“

Gloria Warg

Wertschätzung bedeutet Achtung, Anerkennung und Ansehen. Da sind wir noch lange nicht, wir sind jetzt vielleicht gerade mal bei Akzeptanz. Wertschätzung entsteht durch Mehrwert. Und den Mehrwert der modernen Tierhaltung und die Wertschätzung müssen wir über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg transportieren. Das fängt an bei der Zucht, beim Futter und beim Landwirt und das endet beim Konsumenten. Nachhaltige Produktion und Kommunikation von Seiten der Branche sind da entscheidend. Aber genauso wichtig ist auf Seite der Konsumenten der Wille zu bewusstem Fleischkonsum und die Bereitschaft, einen entsprechenden Preis zu bezahlen.

Das Credo ist: Mehrwert über jede Anspruchsgruppe der Wertschöpfungskette hinweg herausstellen. Wenn uns das gelingt, dann sind wir über Akzeptanz hinaus, dann sind wir bei Wertschätzung.

Über den Verein LAND.SCHAFFT.WERTE.

Der Verein aus Cloppenburg wurde 2016 gegründet. Er will in der Bevölkerung die Sensibilität und das Bewusstsein für Fleisch steigern. Dazu zeigt er die Prozesse der Fleischerzeugung und -verarbeitung mit Social-Media-Beiträgen zur Haltung von Rindern und Schweinen sowie der gesamte Wertschöpfungskette Fleisch.

Gloria Warg ist das Gesicht des Vereins. In Videobeiträgen, den „Glori goes…-Reports“, gibt sie den Zuschauern vor Ort Einblicke in verschiedene Bereiche der Branche. So besuchte sie eine Eberstation, die Fleischrindertage in Verden oder begleitete einen Schweinetransport im Auflieger. Das bisher erfolgreichste Video wurde 178.474mal aufgerufen. Neben den Videobeiträgen arbeitet der Verein aktuelle Studien und Berichte zu Fleischthemen allgemein verständlich auf.

Die 63 Mitgliedsunternehmen des Vereins stammen aus den verschiedenen Bereichen der Fleischbranche, unterteilt in Futtermittelproduktion, Nährstoffverwertung, Zucht, Landwirtschaft, Tiergesundheit, Labore, Stallbau, Viehhandel, Schlachtung, Verarbeitung, Lebensmitteleinzelhandel und Systemgastronomie.

ls

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