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GARTEN & NATUR

So plant man eine Streuobstwiese

Am Ortsrand von Schladen pflanzt Familie von Kaufmann alte Obstsorten, die der Landkreis Wolfenbüttel im Rahmen des „Braunschweiger Modells“ geliefert hat.

Seit Jahrhunderten legen Landwirte Streuobstwiesen an und schaffen damit einen Nutzen für Mensch und Tier. Mit dieser Motivation pflanzte Familie von Kaufmann Obstbäume. Anhand ihres Beispiels soll gezeigt werden, welche Schritte bedacht werden müssen und welchen rechtlichen Rahmenbedingungen besondere Bedeutung zukommt (siehe Kasten).

Planungshilfe holte sich die Familie, die seit Generationen auf der Domäne in Schladen im Landkreis Wolfenbüttel wirtschaftet, bei der Bezirksstelle Braunschweig der Landwirtschaftskammer. Sie konnte Fragen zur Gehölzauswahl, zum Pflanzen und Pflegen der Obstbäume und zu den Fördermöglichkeiten beantworten und stellte einen detaillierten Plan auf. Den Anstoß für das Projekt gaben die Biodiversitätsberaterinnen der Bezirksstelle Braunschweig. Martina Diehl erklärte bei der Erstberatung: „Extensiv bewirtschaftete Streuobstwiesen zählen in Mitteleuropa zu den artenreichsten und wertvollsten Lebensräumen. Da sie verschiedene ‚Stockwerke‘ – also den Wiesenboden, die Baumstämme und die Baumkronen – haben, können sie bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten beheimaten. Darunter sind viele gefährdete oder vom Aussterben bedrohte Arten, die dort einen Unterschlupf und eine Nahrungsquelle finden.“

Passende Fläche finden

Als geeignete Fläche befand Landwirt Philipp von Kaufmann ein Keilstück am Hang des Ortsrandes, das im Gegensatz zu den ertragreichen Lößbörden mit schweren fruchtbaren Böden, eine mittlere Bonität aufweist. Es ist knapp einen Hektar groß, Betriebsleiter von Kaufmann beabsichtigt erst einmal ein Viertel davon als Obstwiese anzulegen. Auf den ersten Blick stellt sich der Bereich als extensiv bewirtschaftete Grünlandfläche dar, es handelt sich aber prämienrechtlich um eine schon seit mehreren Jahren aus der Produktion genommene Ackerfläche, die bisher im Rahmen des Greening als ökologische Vorrangfläche (ÖVF) bereitgestellt wurde. „Da der Betrieb über mehr als fünf Prozent ÖVF verfügt, kann das Teilstück ohne Prämien einbußen als ÖVF abgemeldet werden. Allerdings müssen wir zu Beginn der Umnutzung informiert werden. Beim nächsten Antrag auf Betriebsprämie ist die Fläche dann mit dem Nutzungscode 480 ‚Streuobstwiese mit Grünlandnutzung‘ zu beantragen“, erklärt Herbert Saal, Leiter der Bewilligungsstelle Braunschweig.

Landwirt Philipp von Kaufmann stimmte im Vorfeld sein Vorhaben mit der Domänenverwaltung ab und erfuhr von der Kammer, welche Fördergelder es gibt und welche rechtlichen Konsequenzen mit der Inanspruchnahme verbunden sind. Die Überlegung, das Keilstück als Kompensationsfläche für Streuobst der Gemeinde zur Verfügung zu stellen oder Ökopunkte an den Landkreis zu vermarkten, kam nicht infrage. Zwar wäre die Fläche im Eigentum der Domäne geblieben, würde aber grundbuchlich dauerhaft mit dem Eintrag „Kompensationsfläche Streuobstwiese“ belastet werden.

Letztendlich fiel die Entscheidung auf das sogenannte „Braunschweiger Modell“, eine Form der aktiven Landschaftsentwicklung des Landkreises Wolfenbüttel, von dem der Betrieb die Gehölze kostenfrei beziehen konnte. Im Gegenzug verpflichtet sich der Landwirt, die Bäume zu pflanzen, zu pflegen und zu erhalten. Aufwendungen für Anbindepfähle und Verbissschutz erstattet der Landkreis zu 30 Prozent. Das Grundbuch bleibt unberührt. Alternativ bieten auch die Stiftung Kulturlandpflege, der Landschaftspflegeverband Wolfenbüttel oder z.B. der BUND fachliche und/oder finanzielle Hilfe an.

Auch die aktuellen Regelungen des Niedersächsischen Weges muss Landwirt von Kaufmann bedenken: In der bundesweit einmaligen Allianz aus Landesregierung, Landwirtschaft sowie Natur- und Umweltverbänden geht es um Maßnahmen für Natur-, Arten- und Gewässerschutz. Erhöhte Biodiversität und ökologische Landwirtschaft stehen im Focus. Streuobstwiesen allerdings ab einer Größe von 2.500 m² bestanden mit Obstbäumen über 1,60 m Stammhöhe werden als Biotop deklariert. Von Kaufmann als Pächter des Landes Niedersachsen hätte infolge einen daraus resultierenden Wertverlust des zuvor als Acker geführten Standortes zu verantworten.

Robuste alte Sorten

Die zuständige „Untere Naturschutzbehörde“ eines Landkreises bemisst die Streuobstwiese nach den individuellen Gegebenheiten vor Ort und hat dabei durchaus einen gewissen Beurteilungsspielraum. In diesem Sinne und mit Zustimmung des Landwirtschaftsministeriums erklärte sich die Domänenverwaltung Braunschweig aber mit der Umnutzung einverstanden, obgleich im vorliegenden Fall die Grenze von 2.500 m² unter Umständen überschritten wird. Das Land erfüllt somit seine Vorbildfunktion, die auch erlassgebunden ist.

Vor Ort wirkt das Keilstück wie eine extensiv gepflegte Wiese, auf der sich Scharfgabe, Labkraut und Flockenblume wohlfühlen. Philipp von Kaufmann überlegt den Blütenreichtum noch zu steigern, indem er Ende des kommenden Sommers heimisches, kräuterreiches Saatgut, also Regiosaatgut, streifenweise auf der Wiese ausbringt. Auch plant er eine Wildbienennisthilfe zu bauen, die mit anderen Maßnahmen wie Lesestein- und Totholzhaufen sowie Reisigwällen die Natur aufwerten können. Eine blühende Hecke mit Überhältern, also hohen Bäumen, aber auch Liguster, Holunder und Co umschließt bereits die Fläche. Der Landwirt platzierte die Obstbäume mit einem ausreichenden Abstand von etwa 20 Meter zu den Gehölzen, denn bei Lichtmangel wachsen die Obstbäume einseitig und infolge dessen kippen sie zur schwereren Seite. Je größer die Reihenabstände, umso einfacher ist die Mahd mit Traktor und Mähwerk. Die Obstbäume untereinander haben einen Zwischenraum von 12 Metern.

Alte Streuobstwiesen sind ein Paradies für Menschen und TIere.

Bei der Obstbaumauswahl kamen robuste alte Sorten zum Zug. Die Wahl fiel ausschließlich auf Hochstämme mit starkwüchsigen sogenannten Sämlingsunterlagen, da nur diese sich gegen die Nährstoff-Konkurrenz der Grasnarbe behaupten können und die für großkronige Bäume nötige Standfestigkeit aufweisen. Und noch etwas berücksichtigt der Pflanzplan: Die meisten Apfel- und Birnbäume brauchen für die Befruchtung Blütenstaub von einer anderen Sorte. Pflaumen hingegen sind selbstfruchtend und kommen deshalb ohne Partner zurecht.

Philipp von Kaufmann bleibt dabei: „Mein Anliegen ist es, etwas für die Natur zu tun, mit der Obstwiese das Dorfbild zu verschönern und in gewisser Weise auch einen Erholungsraum für die Schladener Bürger zu schaffen.“ Der Landwirt schlägt durch sein Projekt mehrere Fliegen mit einer Klappe: Neben der Ernte wohlschmeckender Früchte schafft er Lebensräume für viele Arten und zeigt auf, dass Landwirtschaft und Naturschutz sehr wohl zusammengehen können.

30. April: Erster internationaler „Tag der Streuobstwiesen“

Der Streuobstanbau ist im bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Mit dem ersten „Tag der Streuobstwiesen“ am Freitag 30. April 2021 feiern Streuobstakteurinnen und -akteure diese Auszeichnung – und mit ihnen ganz Europa. Länderübergreifend machen Streuobstakteure auf die Streuobstwiesen in ihren Regionen aufmerksam. Der Verein Hochstamm Deutschland e.V. ruft im ersten Jahr bundesweit zu (coronakonformen) Aktionen auf und sammelt diese auf seiner Homepage. In den sozialen Netzwerken können alle Aktionen unter dem Hashtag #streuobstistüberall markiert und verfolgt werden. 

Insektenschutz: Der „Niedersächsische Weg“ bleibt gültig

Das Insektenschutzgesetz sieht zahlreiche Neuerungen im Bundesnaturschutzgesetz vor. Der Gesetzentwurf beinhaltet u.a., dass Streuobstwiesen als Biotop gesetzlich geschützt werden sollen, sofern sie eine Mindestgröße von 1.500 m² haben. Hiermit sind extensiv genutzte Obstbaumbestände mit wenigstens 25 lebenden Bäumen gemeint, die überwiegend aus Hochstämmen mit einer Mindeststammhöhe von 160 cm bestehen. Dank einer Klausel sollen diese Vorgaben nicht in Niedersachsen gelten, sondern hier greifen die landesrechtlichen Regelungen, die mit dem „Niedersächsischen Weg“ festgeschrieben wurden und großzügiger gefasst sind. Hiermit soll der Sondersituation Rechnung getragen werden, dass vor Kurzem erst spezifische regionale Kompromisse in Niedersachsen ausgehandelt wurden. In Niedersachsen werden Streuobstwiesen ab einer Größe von 2.500 m² als Biotop rechtlich unter Schutz gestellt, sofern es sich – deckungsgleich mit der geplanten Bundesregelung - um hochstämmige Obstbäume mit mindestens 1,60 m Stammhöhe handelt.

Fricke

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