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Der alltägliche kleine Grenzverkehr

Die Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden läuft durch ihren Garten: Für die Milchviehhalter Berend (l.) und Dennis Welleweerd ist der tägliche Grenzübertritt nichts Besonderes.

Wat kost de Biggen (was kosten die Ferkel)? Das war vor 40 Jahren die erste Frage, wenn Landwirte in der Grafschaft Bentheim auf einen Berater, Händler oder Berufskollegen trafen. Der Standardbetrieb hatte damals Milchkühe und Sauen, erklärt Karl-Heinz Lordieck, Außenstellenbeauftragter der LWK-Außenstelle Grafschaft Bentheim, die zur Bezirksstelle Emsland gehört. Einige Betriebe stiegen auch in die Geflügelmast ein – es gab zwei Geflügelschlachtereien in der Region und entsprechende Abnehmer in den benachbarten Niederlanden.

Überhaupt hat die Grenznähe bis heute einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Landwirtschaft in dieser Region. Viele Impulse für die Weiterentwicklung und Modernisierung der Tierhaltung holten sich die Grafschafter Landwirte aus den Niederlanden, berichtet Lordieck. Ein besonderer, aber andererseits für die Gegend auch typischer Betrieb ist der Milchviehbetrieb der Vater-Sohn-GbR Berend und Dennis Welleweerd aus Wielen. Die Grafschaft Bentheim grenzt im Westen an die Niederlande, Wielen ist der westlichste Ort des niedersächsischen Festlandes. Bei Familie Welleweerd verläuft die Staatsgrenze direkt über ihren Hof. Was in anderen Ländern dieser Welt teilweise unmöglich erscheint, ist hier Alltag: Der tägliche Grenzübertritt und die guten Kontakte zu den Nachbarn jenseits der Grenze.

Eine Besonderheit auf dem Betrieb Welleweerd ist, dass 60 Prozent ihrer Flächen in den Niederlanden liegen. Insofern müssen Berend und Dennis Welleweerd mit den Gesetzen und Verordnungen beiderseits der Grenze vertraut sein, zweimal einen Flächenantrag stellen und die unterschiedlichen Greening-Maßnahmen und Sperrzeiten für Gülleausbringung beachten. Oftmals sind die Gesetze in den Niederlanden noch schärfer. Aber es gibt auch Vorteile: „Wir haben in Deutschland nur so wenig Fläche, dass wir nicht unbedingt eine dritte Frucht anbauen müssten.“ Trotzdem achten Welleweerds auf die Fruchtfolge und fügen Ackergras ein. Zudem tauschen sie regelmäßig bis zu 15 ha mit einem holländischen Kartoffelbauern.

Mehr Spezialisierung

Die landwirtschaftlichen Betriebe in der Grafschaft haben sich, wie auch in anderen Regionen, mit der Zeit stark spezialisiert, sagt Lordieck. Entweder auf Sauen oder Milchvieh, und seit ein paar Jahren auch auf die Legehennenhaltung. Letztere erlebt nach Abschaffung der Käfighaltung und aufgrund interessanter Verträge einen ziemlichen Boom. Neben der Tierhaltung spielt der Kartoffelanbau eine wichtige Rolle. Auch hier gab es viele Veränderungen. Wurden früher fast nur Stärkekartoffeln angebaut, ist heute der Bereich Food–Kartoffeln für die Lebensmittelindustrie dazugekommen.

Welleweerds haben sich für die Milchviehhaltung entschieden. 1983 wurde der erste Laufstall für 60 Kühe gebaut, 1994 auf 80 Plätze erweitert und sie sind stetig am Ball geblieben. 2001 gingen die Sauen aus arbeitswirtschaftlichen Gründen vom Hof. Die Tierzahl ist langsam gestiegen, 2006 wurde nochmals erweitert. 2017 wurden zwei Laufställe für die Jungviehaufzucht vom Nachbarn gepachtet. Mittlerweile halten sie 110 Kühe mit einer durchschnittlichen Milchleistung von 10.500 kg.

Immer neue Ideen

Um erfolgreich zu bleiben, muss man immer wieder neue Ideen entwicklen. Vor fünf Jahren hatte Dennis Welleweerd die Idee, mit 27 weiteren Betriebsleitern die Maschinengemeinschaft Niedergrafschaft zu gründen. Vorbild war die Maschinengemeinschaft Handrup im Emsland, der nördlich gelegenen Nachbarregion der Grafschaft. Viele Maschinen auf den landwirtschaftlichen Betrieben werden selten gebraucht, sind aber teuer in der Anschaffung.

Eine Investition rentiert sich oftmals erst nach Jahren oder Jahrzehnten. Eine gemeinschaftliche Nutzung spart Investitionskosten, erhöht die Schlagkraft und verbessert Wirtschaftlichkeit und Liquidität. „Bezahlt wird nur für die Nutzung, nicht aber für den Stillstand der Maschinen und Anlagen“, so der engagierte Junglandwirt. In der Regel werden die Maschinen, darunter Gülle- und Transportfässer, Miststreuer, Kurzscheibeneggen, Drillkombi, Mulcher und ein Dammformer, gekauft. Schlepper und Mähwerke laufen derzeit als Mietmaschinen, auch um das Risiko zu begrenzen. Die Reservierung erfolgt meist online. Zum Kundenkreis gehören inzwischen 200 Landwirte im Umkreis von 50 km, davon 20 aus den Niederlanden. Die Werbung läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda, Flyer, Facebook und eine WhatsApp-Gruppe mit über 200 Mitgliedern.

Die mächtige Sandsteinburg Bentheim ist die größte Höhenburganlage Niedersachsens und ein beliebtes Ziel für Tagestouren.

Das Prinzip der überbetrieblichen Zusammenarbeit hat ihren Ursprung in den Jagdgenossenschaften und ist weit verbreitet in der Region Grafschaft Bentheim. Abgerechnet wird in der Regel nach Stunden und Fläche, es gibt einen Neukunden- und Kombirabatt. Der Mietpreis für einen Schlepper mit 200 PS, Fronthydraulik und Frontzapfwelle liegt bei 24 €/Stunde, plus Mehrwertsteuer, plus Diesel. Bei der Preisgestaltung orientieren sie sich an den Mitwettbewerbern, es gibt keine Gewinnabsicht in der GmbH. Die Nachfrage bestimmt die Maschinenauswahl: Im Mittelpunkt steht die Technik rund um die Gülle, aber auch Spezialmaschinen sind rege gefragt. Bei der Anschaffung ist der fünfköpfige Vorstand innovativ und hat beispielsweise eine pneumatische Sämaschine gekauft. Damit haben sie in der Region ein Alleinstellungsmerkmal.

Geschick und Fähigkeit

„Die Landwirtschaft in der Grafschaft hat sich immer auf aktuelle Entwicklungen eingestellt“, erklärt Lordieck, „nicht nur in der Umstrukturierung ihrer Betriebe.“ Dennis Welleweer stimmt zu: „Das Wachstum der Betriebe sowie die angespannten Rahmenbedingungen erfordern nicht nur produktionstechnisches Geschick, sondern auch die Fähigkeit, den eigenen Betrieb oder Arbeitsbereich klar zu strukturieren, Menschen zu gewinnen und sich selbst dabei nicht zu vergessen.“

Seine neueste Idee, die er und eine befreundete Beraterin ins Leben gerufen haben, ist „Farmers Factory“, eine Online-Lernplattform von Landwirten und Coaches für Landwirte. Dazu der Initiator: „Wir möchten die Begeisterung der Landwirte für eine Person wecken, die im Betriebsalltag häufig zu kurz kommt: für sie selbst.“

Die neueste Idee von Dennis Welleweerd ist eine Online-Lernplattform für Landwirte: Die „Farmers Factory“.

Fortbildung ist das A und O, ist der Junglandwirt überzeugt. Themen rund um die Persönlichkeitsentwicklung sind das Steckenpferd von Welleweerd. Sein Ziel ist es, jeden Monat ein Buch über Unternehmertum, Management oder Persönlichkeitsentwicklung zu lesen. Er bevorzugt Hörbücher, auf dem Schlepper und im Melkstand: „Ich arbeite also und bilde mich gleichzeitig fort“. Jeden Tag plant er dafür mindestens eine Stunde ein: „Wenn man täglich an sich arbeitet und Neues ausprobiert, sind dem persönlichen und betrieblichen Erfolg keine Grenzen gesetzt. Ich hoffe, dass unsere Video-Trainings auch bei Berufskollegen diesen Effekt hervorrufen.“

„Die Landwirtschaft hat hier bei jungen Menschen, die vor der Berufsentscheidung stehen, einen hohen Stellenwert. Das spiegelt sich in den Ausbildungszahlen wieder“, berichtet Lordieck. In den vergangenen vier Jahren ist die Zahl der Auszubildenen von im Schnitt 20 auf über 30 gewachsen, von denen nur noch 30 bis 40 Prozent aus der Landwirtschaft kommen. Dies gibt Zuversicht, dass die Landwirtschaft auch in Zukunft ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der Grafschaft Bentheim bleiben wird.

Die Grafschaft Bentheim: Ein kurzer Überblick

Die Grafschaft Bentheim wurde schon im 11. Jahrhundert urkundlich erwähnt. Seitdem hat sich der Landkreis gemausert. Heute ist er landwirtschaftlich geprägt, hat sich aber gleichzeitig zu einem bedeutenden Logistikstandort in Niedersachsen entwickelt.

Die Grafschaft Bentheim grenzt im Westen an die Niederlande, im Süden ist die Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen. Im Norden finden sich große Moor- und Heidegebiete, im Süden erstreckt sich mit dem Bentheimer Berg ein Ausläufer des Teutoburger Waldes. Rund 138.000 Menschen leben hier.

Die Landwirtschaft hat einen hohen Stellenwert. 60 Prozent der Gesamtfläche des Landkreises von rund 981 qkm nehmen landwirtschaftliche Flächen ein, rund 15 Prozent sind mit Wald bewachsen. Laut GAP-Flächenantrag gibt es 17.000 ha Grünland, auf den Äckern wird überwiegend Futtermais und -getreide angebaut, an dritter Stelle mit im Schnitt knapp 8.000 ha stehen Kartoffeln. In der Grafschaft wirtschaften zurzeit noch knapp 1.000 landwirtschaftliche Betriebe, vor 20 Jahren waren es noch doppelt so viele. Ca. 370 Betriebe halten insgesamt 36.000 Milchkühe. Von den rund 250 Schweine haltenden Betrieben haben 160 Zuchtsauen. 173 Betriebe haben Geflügel, davon 128 Legehennen. Durch seine unmittelbare Nähe zu den Niederlanden, spielt die Region eine Rolle auf dem Europäischen Binnenmarkt.

In der Gemeinde Emlichheim ist die Emsland-Stärke GmbH ansässig, eine Tochter der Emsland Group und größter europäischer Stärkeproduzent. Im Hauptwerk Emlichheim werden jährlich über ein Million Tonnen Kartoffeln verarbeitet, angeliefert aus einem Umkreis von etwa 150 km.

Lange war die Kreisstadt Nordhorn für ihre blühende Textilindustrie bekannt. Doch der zunehmenden Globalisierung waren viele Betriebe nicht gewachsen. Das Ende war ein großer wirtschaftlicher Bruch. Heute ist die Stadt unter anderem durch ihren Gewerbe- und Industriepark (GIP) bekannt, der den Wegfall von Arbeitsplätzen abfedern sollte.

Auch der Naturschutz spielt in der ländlich geprägten Region eine Rolle. 4.000 ha stehen unter Naturschutz, 6.500 ha sind Landschaftsschutzgebiete. 1999 wurde die Naturschutzstiftung Grafschaft Bentheim gegründet mit dem Ziel der Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt. Ökologische Schwerpunkte sind der Biotopverbund an Vechte und Dinkel und der Wiesenvogelschutz.

Der Landkreis hat zudem für Touristen einiges zu bieten. Das Radwegesystem Grafschafter Fietsentour umfasst die 220 km lange Hauptroute und 25 Tagestouren. Die aus Sandstein erbaute Höhenburg Burg Bentheim ist ein beliebtes Touristenziel, ebenso wie die Wassermühle Lage. Wie die Region schon vor Jahrtausenden besiedelt war und welche urgeschichtliche Bedeutung sie hat, zeigt der Bronzezeithof in Uelsen.

Lordieck/red

Sie tragen die Herkunft im Namen: Die Bunten Bentheimer sind mittelrahmige, langgestreckte Landschweine mit Schlappohren – robust, weidetauglich und langlebig.

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