Logo LAND & FORST digitalmagazin

Artikel wird geladen

DORFLEBEN

Von Hamburg in den „Jabel der Welt“

Ihr fehlt nichts! Tine Wittler fühlt sich im niedersächsischen Jabel mehr als wohl.

Frau Wittler, „Suche Heimat, biete Bier“ ist Ihr erstes rein autobiografisches Werk. Wie kommt’s?

Das ist nicht ganz richtig. Auch mein Buch „Wer schön sein will, muss reisen“ aus dem Jahr 2012 ist ja sehr autobiografisch geprägt – hat aber einen sehr viel ernsteren Duktus als jenes, das ich jetzt vorgelegt habe. In „Suche Heimat, biete Bier“ gibt es viel zu lachen, und das brauchen wir in diesen Zeiten auch, glaube ich.

Sie leben seit drei Jahren im Wendland. Was macht für Sie den Reiz des Landlebens aus?

Diese ganz besondere Mischung aus Ruhe und Intensität. Ich habe hier ausreichend Rückzugsmöglichkeiten, um kreativ zu sein und Inspiration aus der Umgebung zu schöpfen. Und gleichzeitig immer die Chance auf ganz individuelle, innige Begegnungen mit Menschen, die nicht so sehr dem Diktat der Hektik unterliegen, wie es in der Stadt zeitweilig zu spüren ist.

Ihr Umzug von der Metropole Hamburg aufs Land war eine wohlüberlegte Entscheidung, wie Sie in Ihrem Buch schreiben. Vermissen Sie wirklich gar nichts?

Ja, genau so ist es. Krass, oder? Das liegt aber auch daran, dass ich ja 25 Jahre lang in Hamburg das Stadtleben auch wirklich genossen und voll mitgenommen habe. Nun aber habe ich schlicht keine Angst mehr, etwas zu verpassen. Und andere Prioritäten.

Gerade als Gastronomin ist man doch in Hamburg sicher besser bedient als in einem 60-Seelen-Dorf?

Wäre die Gastronomie mein einziger Tätigkeitsbereich, könnte das stimmen. Aber ich bin ja nicht in allererster Linie reine Gastronomin, sondern Künstlerin und Kulturschaffende mit einem „Gastgeber-Gen“, das von Herzen kommt. Die Bereiche „Kleinkunst“ und „Kneipe“ miteinander zu verbinden, erfordert ein besonderes Konzept, das ich hier umsetzen kann.

Größer könnte der Kontrast kaum sein: Von der Metropole Hamburg ist Tine Wittler in das 60-Seelen-Dorf Jabel gezogen.

Warum betreiben Sie, die als Autorin und Künstlerin – normalerweise – viel unterwegs ist, auch noch eine Kneipe? Was reizt Sie am Beruf einer Wirtin?

Tja, wer das „Gastgeber-Gen“ hat, den lässt das nicht los. Mich jedenfalls nicht. Ich liebe es einfach, Menschen zusammenzubringen, und habe ja schon in Hamburg 15 Jahre lang meine „parallelwelt KULTURBAR“ betrieben. Dort war das Unternehmen größer, hatte mehrere Festangestellte und zahlreiche Aushilfen. Hier ist alles ein paar Nummern kleiner, dadurch aber auch freier – und natürlich manchmal improvisierter. Und ich genieße das sehr! Es muss nicht immer Perfektion sein. Die Herzlichkeit ist das, was zählt. Davon gebe ich viel – und bekomme sie hundertfach zurück: von Kneipengästen, dem Kulturpublikum und den gastierenden Künstlern. Das ist wunderbar.

Die Corona-Krise ist auch in „Suche Heimat – Biete Bier“ Thema. Wie schlimm ist die Pandemie für Sie als Gastronomin und freie Künstlerin?

Grundsätzlich desaströs – wie für alle Kolleginnen und Kollegen aus beiden Bereichen. Es heißt jetzt schlicht: kämpfen, kämpfen, kämpfen. Durchhalten. Sich täglich neu motivieren, wie auch immer. Und sich Neuem nicht verschließen. Derzeit bauen wir „Wittlerins Wohnzimmer“ zu einer hybriden Bühne um, damit wir Shows streamen können. Die Premiere war Anfang April, da performten mein Pianist und ich mein Chansonprogramm „LOKALRUNDE“ und präsentieren es in ganz neuer Form.

Obwohl Sie in dem Buch wiederholt betonen, wie kritisch Sie allem Digitalen gegenüber sind, planen Sie Streaming-Auftritte aus „Wittlerins Wohnzimmer“. Ausschließlich eine Reaktion auf die Corona-Krise oder auch Lust auf Neues?

Sowohl als auch. Ich habe selbst am lautesten „Nein!“ geschrien, als das mit den Streamings losging, da ich am liebsten ein analoger Mensch bin. Ich telefoniere mit einem Klapptelefon, das 20 Jahre alt ist, und schalte mein Smartphone nur an, wenn es gar nicht anders geht. Zunächst konnte ich mir nicht vorstellen, dass es funktioniert, Bühnenkunst digital zu präsentieren. Jetzt habe ich erkannt: Das kann eine neue Kunstform werden. Genau das ist nun die Herausforderung – und die einzige Chance für unsere kleine Spielstätte im Wendland zu überleben. Da muss man Befindlichkeiten eben hintenanstellen.

Sie sind als Moderatorin der RTL-Einrichtungsserie „Einsatz in 4 Wänden“ bekannt geworden. Wie kam es dazu?

Ach, ich will Sie nicht mit Geschichten langweilen, die mittlerweile 18 Jahre zurückliegen. Ich sag mal so: Das war eigentlich ein Nebenjob, der ein bisschen länger gedauert hat als geplant. Der letzte Drehtag ist 8 Jahre her, und das Thema spielt in meinem Leben nur noch eine sehr kleine Rolle. Das Schreiben, die Bühnenkunst und das Gastgebertum sind die Konstanten in meinem Schaffen.

Können Sie sich vorstellen, ins Fernsehen zurückzukehren?

Im Grunde tue ich das durch unsere Streaming-Bühne schon, denn auf dieser werde ich ja – wenn alles klappt – regelmäßig als Gastgeberin und auch als Künstlerin zu sehen sein. Falls Sie das gute alte lineare Fernsehen meinen: Ambitionen habe ich da nicht. Aber ich würde vielleicht darüber nachdenken, wenn es um eine Sendung ginge, in der meine Message als Botschafterin für die Kleinkunst die Welt erreichen könnte. Ich glaube aber leider nicht mehr dran, dass sich ein Sender da herantrauen würde. Das Fernsehgeschäft ist aktuell leider nicht sehr mutig – und um die Bühnenkunst, insbesondere die Kleinkunst in all ihren Facetten, in den Mittelpunkt zu stellen, würde es sehr viel Mut brauchen. Und Leidenschaft. Die Leidenschaft bringe ich mit. Aber den Mut würde es auch von anderen brauchen.

Glauben Sie, dass Sie im „Jabel der Welt“, wie Sie ihren neuen Wohnort nennen, eine Heimat fürs Leben gefunden haben?

Da rufe ich aus vollem Herzen „JA“! Obwohl ich erst seit etwas über drei Jahren hier bin, fühle ich mich voll und ganz angekommen. Und doch würde ich nie behaupten, dass das nun ganz bestimmt die letzte Station in meinem Leben ist. Veränderungen haben in meinem Leben immer eine große Rolle gespielt, als Künstlerin erfinde ich mich ständig neu. Wer weiß, was morgen oder übermorgen geschieht! Wichtig ist doch, dass für den Moment alles stimmt. Und das tut es.

Digitale Ausgabe LAND & FORST

Holen Sie sich noch mehr wertvolle Fachinfos.
Lesen Sie weiter in der digitalen LAND & FORST !

 Bereits Mittwochnachmittag alle Heftinhalte nutzen
✔ Familienzugang für bis zu drei Nutzer gleichzeitig
✔ Artikel merken und später lesen
✔ Zusätzlich exklusive Videos, Podcasts, Checklisten und vieles mehr!