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Hungern Kälber bei restriktiver Tränke?

In den ersten Lebenswochen können Kälber Grund- und Kraftfutter nicht ausreichend verdauen und müssen ihren Energie- und Nährstoffbedarf über Milch decken. Eine bedarfsgerechte Versorgung ist am besten mit einer ad libitum-Tränke möglich.

Die Empfehlung, Kälber in den ersten Lebenswochen nicht mehr restriktiv, sondern ad libitum mit Milch zu versorgen, hat mehrere Gründe:

  • Kälber, die in den ersten Lebenswochen ad libitum mit Milch versorgt werden, haben ein besseres Gesundheitspotenzial als Kälber, die nur zweimal am Tag eine begrenzte Menge Milch erhalten.
  • Sie zeigen in ihrem späteren Leben eine bessere Leistungsbereitschaft in Form von höheren Zunahmen oder einer höheren Milchleistung.
  • Je geringer die angebotene Milchmenge pro Tag ist, desto stärker hungern restriktiv getränkte Kälber in den ersten Lebenswochen.

Die herkömmliche Lehrmeinung war, dass es möglich ist, Kälber wegen des Milchentzugs von Beginn ihres Lebens an zur Kraft- und Grundfutteraufnahme zu animieren und entsprechend restriktiv zu tränken. Diese Aussage müssen wir aber mit unserem heutigen Wissen revidieren. Je jünger ein Kalb ist, desto weniger ist es in der Lage, Grund- und Kraftfutter aufzunehmen und entsprechend für den Stoffwechsel zu nutzen.

Energie und Nährstoffe aus der Milchtränke

Untersuchungen im Lehr- und Versuchsgut Futterkamp haben gezeigt, dass Kälber im Alter von drei Wochen selbst bei minimaler Energiebereitstellung über die Milch (11 MJ ME pro Tag, das sind 720 g Milchaustauscher/sechs Liter mit 120 g) nur etwa 100 g Kälberaufzuchtfutter pro Tag zusätzlich aufnahmen. Der Energiebedarf ist weitaus höher. Zum Vergleich: Schon der Erhaltungsbedarf eines 50 kg schweren Kalbes liegt bei 10 MJ ME (Tabelle). Mit vier Wochen betrug die Kraftfutteraufnahme 200 g, mit sechs Wochen 500 g und mit zehn Wochen 1,5 kg (Grafik). In diesem Alter trägt auch die zusätzliche Aufnahme von Grundfutter zur Energieversorgung bei. Die Zunahmen lagen in den ersten acht Wochen dementsprechend bei nur etwa 400 g. Erst danach kam es zu leichten Steigerungen.

Mit zehn Wochen können Kälber etwa 2,8 kg Trockenmasse aufnehmen, auch über eine Ration aus Kraft- und Grundfutter. Bei einer Energiekonzentration von 11 MJ ME sind etwa 800 g tägliche Zunahmen möglich. Daran sollte sich die Energie- und Nährstoffbereitstellung orientieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kälber die Fähigkeit, Grund- und Kraftfutter in ausreichender Menge aufzunehmen und zu verdauen, erst nach mehreren Wochen entwickeln.

In den ersten drei Lebenswochen, in denen eine Kraftfutteraufnahme kaum messbar ist, müssen sie daher Energie und Nährstoffe komplett über die Milchtränke erhalten. Das lässt sich am besten mit einer ad libitum-Milchtränke erreichen. Die Kälber nehmen in diesem Fall etwa zehn Liter pro Tag auf – anfangs etwas weniger, später etwas mehr. Die Schwankungen von Tag zu Tag und auch die Unterschiede zwischen einzelnen Tieren können dabei sehr groß sein.

Langsam und nicht zu früh abtränken

Im Anschluss an die ad libitum-Tränke sollte die Milch langsam, linear bis frühestens zur zehnten Lebenswoche von zehn auf zwei oder null Liter reduziert werden. Erhalten die Kälber in der Abtränkphase weniger Milch oder werden sie in kürzerer Zeit abgetränkt, können sie ihren Energie- und Nährstoffbedarf nicht mehr komplett decken.

Geringere Milchmengen in den ersten Lebenswochen oder ein zu frühes oder zu schnelles Abtränken beeinträchtigen die natürliche Körperentwicklung und die Funktion des Immunsystems. Die Tiere befinden sich in einem Hungerzustand, den sie über feste Futtermittel nicht ausreichend kompensieren können. Diesen Zustand verbietet auch das Tierschutzgesetz: „Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren.“

Lässt sich Hunger bei Kälbern nachweisen?

Es gibt mehrere metabolische Stoffwechselparameter, anhand derer sich ein Hungerzustand nachweisen lässt. Einige dieser Parameter wurden auch bei Kälbern untersucht. Unterernährung kann negative Auswirkungen auf die Abwehrkräfte und die Organentwicklung haben und zu langfristigen Entwicklungsstörungen führen. Neben Bewegung und Wachstum verbraucht auch die Arbeit des Immunsystems Energie. Die negativen Folgen eines Mangels reichen oft bis in das Erwachsenenalter. In einer Studie aus dem Jahr 2017 stellten Forscherinnen und Forscher bei restriktiv getränkten Kälbern im Vergleich zu ad libitum getränkten Tieren einen signifikanten negativen Effekt auf das Immunsystem in der Dünndarmschleimhaut fest.

Auch bei Untersuchungen in Futterkamp im Jahr 2012 wurden bei männlichen Kälbern, die in den ersten drei Lebenswochen restriktiv getränkt wurden, signifikant niedrigere Insulin- und Glukosewerte nachgewiesen als bei einer ad libitum versorgten Gruppe.

Die ad libitum getränkten Kälber hatten genau wie die restriktiv getränkten Kälber Kraftfutter ad libitum zur Verfügung, fraßen aber nur minimale Mengen, die die Energie- und Nährstoffdefizite nicht ausgleichen konnten. Den Entwicklungsrückstand holten die restriktiv getränkten Kälber bis zum Ende der Mast nicht auf.

Bei der Schlachtung wurden Proben der Bauchspeicheldrüsen entnommen, um mögliche Unterschiede bei der Entwicklung der insulinproduzierenden ß-Zellen festzustellen. Die Forscher stellten signifikante Unterschiede in der Zahl und Größe dieser Zellen fest: Die als Kalb ad libitum getränkten Tiere besaßen signifikant mehr und größere ß-Zellen als die restriktiv getränkten Kälber. Weitere Unterschiede in Tränke und Fütterung gab es nicht. Auch eine weitere Studie aus dem Jahr 2017 wies signifikant höhere Insulinwerte bei ad libitum im Vergleich zu restriktiv getränkten Kälbern nach.

Ist denn eine ad libitum-Tränke teurer?

Wir betrachten zunächst einmal nur den ersten Gewichtsabschnitt von einem Geburtsgewicht von 40 kg bis zu einem Gewicht von 100 kg und kalkulieren auf Basis der Energiebedarfsnormen der GfE die Futterkosten:

  • In der ersten Lebenswoche werden keine Kosten für die Milchtränke angesetzt, da davon auszugehen ist, dass in beiden Gruppen ausreichend Biestmilch zur Verfügung steht.
  • Für die zweite und dritte Woche gehen wir von einer Tagesmenge von sechs Litern Vollmilch bei restriktiv getränkten Kälbern und zehn Litern in der ad libitum-Variante aus. Die täglichen Zunahmen würden in diesem Abschnitt bei 500 g beziehungsweise 1.000 g liegen, in der anschließenden Abtränkperiode bei 800 g beziehungsweise 900 g.
  • Wird der Liter Milch mit 35 Cent angesetzt, entstehen Tränkekosten von 90 Euro beziehungsweise 140 Euro pro Tier. Steht zusätzliche nicht ablieferungsfähige, aber zum Vertränken geeignete Milch zur Verfügung, lassen sich diese Kosten senken.
  • Die Kraftfutterkosten lägen bei restriktiver Tränke bei zirka 40 Euro, bei ad libitum-Tränke bei etwa 20 Euro.

Damit ergibt sich bei den Futterkosten insgesamt eine Differenz von 30 Euro zugunsten der restriktiven Tränke. Allerdings erreichen die ad-libitum getränkten Kälber das Gewicht von 100 kg nach 66, die restriktiv getränkten Kälber erst nach 83 Tagen. Diese Differenz von 17 Tagen erhöht die Haltungskosten für die restriktiv getränkten Kälber entsprechend.

Dazu kommt eine bessere Vitalität der ad libitum getränkten Kälber. In der Milchviehherde in Futterkamp haben Messungen der Futteraufnahme und der 305-Tage-Leistung bei 114 Erst- und Zweitlaktationen eine um 1,7 kg höhere Futteraufnahme und eine um 405 Liter höhere Milchleistung für die in den ersten Lebenswochen ad libitum getränkten Tiere ergeben.

Fazit

  • Die Umstellung des Verdauungssystems eines Kalbes von monogastrischer Ernährung mit Milch zum Wiederkäuer dauert mindestens zehn Wochen.
  • In den ersten Lebenswochen gibt es keine Alternative zu einer bedarfsdeckenden Versorgung mit Milch.
  • Am einfachsten ist diese mit einer ad libitum-Tränke zu erreichen.
  • Die Aufnahme fester Futtermittel ist in diesem Zeitraum minimal.
  • Stoffwechselparameter von restriktiv getränkten Kälbern zeigen einen Hungerzustand mit negativen Folgen für Gesundheit und Entwicklung an.
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