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Kein Weg am Ausbaubeitrag vorbei

Straßenausbaubeiträge führen im Einzelfall zu einer enorm hohen finanziellen Belastung.

Das Oberverwaltungsgericht Schleswig Holstein hat vergangene Woche eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig bestätigt, das einen Zahlungsbescheid über knapp 190.000 Euro an den Anlieger einer Straße als rechtmäßig erachtete (Beschluss vom 27.10.2021, Az. 2 LA 216/17). In dieser Höhe hatte die Stadt Lütjenburg im Landkreis Plön einen Landwirt zur finanziellen Beteiligung am Ausbau eines einstigen Feldwegs im Außenbereich herangezogen. Wie aus einer Pressemitteilung des OVG hervorgeht, fiel der Betrag unter anderem deshalb so hoch aus, weil die Straße an sechs landwirtschaftlich genutzten Grundstücken vorbeiführt, die dem Bauern gehören.

Umgesetzt hat die Gemeinde den Ausbau der Straße bereits 2011. Ursprünglich hatte die Kommune geplant, mit Hilfe von Landesmitteln aus einer sanierungsbedürftigen Scheune, die die Stadt in den 90er-Jahren gekauft und die sich neben einem Eiszeitmuseum und einigen ehemaligen Landarbeiterwohnungen am Ende des Weges befindet, ein Erlebnismuseum zu schaffen. Zuvor jedoch sollte die Zuwegung für die zu erwarteten Besucherbusse und deren Begegnungsverkehr ausgebaut werden. Um dafür Fördergeld zu erhalten, widmete die Stadt den knapp einen Kilometer langen Feldweg vor Beginn der Maßnahme in eine Anliegerstraße um.

Erdrückende Wirkung

2014 gab die Stadt ihre Planung für das Erlebnismuseum aus Kostengründen auf. Wie aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig hervorgeht, gestaltete sich die Realisierung des Projekts schwierig, nachdem sich der Kläger weigerte, der Stadt Land zur Verbreiterung der Straße zu verkaufen und eine Fläche für den Bau eines Parkplatzes zu verpachten.

Gebaut wurde die Asphaltstraße dennoch, allerdings in einer kleineren Variante, die den Gegenverkehr von zwei Personenkraftwagen oder eines Personenkraftwagens mit einem landwirtschaftlichen Nutzfahrzeug wie Trecker oder Mähdrescher ermöglicht, auf einem Teilstück inklusive Straßenlaternen. Die Baukosten betrugen rund 615.000 Euro. Drei Viertel davon legte die Gemeinde auf die sechs Anlieger um, von denen etwas weniger als die Hälfte, nämlich 217.000 Euro auf den Landwirt entfielen.

Dieser sah sich in seiner Existenz gefährdet und klagte gegen den Bescheid. Er machte vor Gericht geltend, die Straße sei allein aus touristischen Gründen ausgebaut worden. Seinem Beitrag an den Baukosten stehe zudem kein entsprechender Vorteil für die landwirtschaftliche Nutzung seiner Grundstücke gegenüber.

Außerdem sei die Höhe des verlangten Beitrags für ihn existenzvernichtend, was auch seinen Sohn betreffe, der den landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen wolle. Die Stadt hingegen argumentierte, die Straße sei wegen des „holprigen“ Zustands des ehemaligen Feldwegs ausgebaut worden. Zudem habe sie den geplanten Ausbau nach der Aufgabe des Erlebniszentrums entsprechend reduziert.

Bescheid ist rechtens

Das Verwaltungsgericht Schleswig (Urteil vom 22.09.2017, Az. 9 A 206/14) zog von der Rechnung zwar die Kosten für Laternen und Stromkabel ab, sah die Zahlungsaufforderung ansonsten aber als rechtlich nicht zu beanstanden an. Der Ausbau sei für den Landwirt auch vorteilhaft, da der verschlissene Weg durch eine neue Straße ersetzt und dadurch die Zugänglichkeit seiner Grundstücke erleichtert worden sei. Die Erneuerung des Weges sei daher auch beitragsfähig.

Die von dem Kläger vor Gericht vorgebrachte Existenzgefährdung verpflichte das beitragserhebende Amt nicht dazu, diesen Umstand bereits im Heranziehungsverfahren zu berücksichtigen. Was diese erdrückende Wirkung der Beitragsfestsetzung bzw. von ihm als unangemessen empfundene Höhe betrifft, so verwies des OVG den Landwirt auf ein mögliches Erlassverfahren.

Übrig von der vormaligen Forderung blieben knapp 190.000 Euro plus Rechtsanwalts- und Gerichtkosten in fünfstelliger Höhe, die sich für den nicht rechtsschutzversicherten Landwirt nun noch einmal um die Kosten für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht erhöhen dürften.

Um seine Verbindlichkeiten aus dem Beitragsbescheid überhaupt begleichen zu können, hat der Landwirt Medienberichten zufolge bereits vor Jahren einen Kredit aufgenommen. In Schleswig-Holstein wurde die Pflicht zur Erhebung der Ausbaubeiträge übrigens Ende 2017 abgeschafft. Seitdem steht es den Kommunen frei, über die Erhebung selbst zu entscheiden.

Lage in Niedersachsen

Der Fall aus Schleswig-Holstein wirft die Frage nach der Rechtslage in Niedersachsen auf: Hier können die Städte und Gemeinden selbst entscheiden, ob sie überhaupt Straßenausbaubeiträge erheben. In § 6 Absatz 1 des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes (NKAG) heißt es: „Die Kommunen können zur Deckung ihres Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben.“

Laut einer 2020 vom Niedersächsischen Bündnis gegen Straßenausbaubeiträge (NBgS) durchgeführten Befragung sämtlicher niedersächsischer Kommunen verzichten inzwischen 43 Prozent auf die Beiträge, das sind 407 der befragten 942 Gemeinden.

Reform statt Abschaffung

Da es sich finanziell klamme Gemeinde aber gar nicht leisten können, freiwillig auf die Ausbaubeiträge zu verzichten, erlaubt das NKAG seit einer kleinen Reform im Oktober 2019 in § 6b NKAG Beitragserleichterungen für die betroffenen Grundstückseigentümer, dazu gehören beispielsweise Sonderregelungen für Eckgrundstücke.

Seitdem können die Kommunen beschließen, nur einen reduzierten Anteil des beitragsfähigen Gesamtausbauaufwands auf die Anlieger umzulegen. Vorher galt bei der Bemessung der Anlieger- und Gemeindeanteile ausschließlich das sogenannte Vorteilsprinzip, wodurch der Anliegeranteil zum Beispiel bei Anliegerstraßen auf 50 bis 75 Prozent der ermittelten Herstellungskosten festgelegt wurde.

Nach einer Untersuchung des Bundes der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen, die Angaben aus 250 der 535 beitragserhebenden niedersächsischen Gemeinden erhoben hat, macht nur etwa jede 14. Kommune von den Erleichternungen der Gesetzesnovelle Gebrauch.

Außerdem dürfen seitdem Förderzuschüsse, die eine Kommune von Dritten erhält, also etwa vom Land, jetzt von dem Gesamtaufwand abgezogen werden, der im Anschluss auf die Gemeinde und Anlieger umgelegt wird – diese Möglichkeit wendet laut BdSt etwas mehr als jede neunte beitragserhebende Kommune an.

Bevor diese 2019er Reform ins Gesetz gegossen wurde, hatte die FDP-Fraktion im Landtag 2018 eine gänzliche Abschaffung der Straßenausbaubeiträge gefordert, ebenso wie ein Bündnis verschiedener Verbände – darunter auch das Landvolk Niedersachsen. Zwar hatte das Land Niedersachsen – wie oben beschrieben – Erleichterungen geschaffen. Ansonsten besteht die Rechtslage bis heute fort.

Laut § 6c NKAG sind aber auch wiederkehrende Beiträge erlaubt, um die Belastung für die Grundstückseigentümer zeitlich zu strecken, auf mehrere Schultern zu verteilen und die finanzielle Belastung für die Eigentümer leichter tragbar zu machen.

Im Dezember 2020 hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg dazu klargestellt, dass solche wiederkehrende Straßenausbaubeiträge in Niedersachsen im Prinzip verfassungsgemäß sind. In dem entschiedenen Fall ging es um die Satzung der Stadt Springe über die Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen für straßenbauliche Maßnahmen, auch ein Nebeneinander von einmaligen und wiederkehrenden Beiträgen in derselben Kommune sei rechtlich möglich. Das Gericht hatte die Satzung aber aus anderen Gründen für unwirksam erklärt, denn es mangelte an der rechtsverbindlichen Festlegung der Abrechnungseinheiten und die Kommune hatte die Höhe des Investitionsanteils, den sie tragen sollte in einer Abrechnungseinheit ungenügend begründet. (Urteil vom 16.12.2020, Aktenzeichen: 9 KN 160/18.)

Neue Forderung des BdSt

Der Bund der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen (BdSt) hat im April dieses Jahres erneut eine Abschaffung der Straßenbaubeiträge gefordert. Medienberichten zufolge hat die FDP im Niedersächsischen Landtag die Forderung aufgegriffen und ebenfalls die Abschaffung verlangt. Sie sieht zusätzliche Landesmittel für die Kommunen in Höhe von 50 Mio. € als Mittel der Wahl. Regionalpolitiker der Partei hatten die Abschaffung der Beiträge zudem zum Thema der vergangenen Kommunalwahlen gemacht, zum Beispiel in Belm im Landkreis Osnabrück. Das Thema dürfte Politik und Verbände auch in Zukunft beschäftigen.

Ausbaubeiträge: „Ein bisschen Schwund ist immer“

Dass es bei Straßenausbaubeiträgen nicht auf eine Einzelfallgerechtigkeit ankommt, hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig – und das ist auch ständige Rechtsprechung – in seinem Beschluss deutlich formuliert: „Der (...) gewählte Verteilungsmaßstab verlangt keine Gerechtigkeit im Einzelfall, sondern (...) ein Abstellen auf Regelfälle eines Sachverhaltes und deren gleichartige Behandlung als sogenannte typische Fälle“, heißt es dort im feinsten Verwaltungsdeutsch. Frei übersetzt: Ein bisschen Schwund ist immer; ein bisschen Ungerechtigkeit ist okay. Blöd nur, wenn damit die finanzielle Leistungsfähigkeit dieser Einzelfälle in erdrückender Weise strapaziert wird, selbst wenn der jeweilige Verteilungsmaßstab im Großen und Ganzen zu gerechten Ergebnissen führt. Und das ist ganz und gar nicht in Ordnung.

 Denn ob die Betroffenen überhaupt in der Lage sind, den geforderten Beitrag zu zahlen, spielt bei der Umlage der Kosten keine Rolle. Wer es, nur mal als Beispiel, trotz der heutigen Immobilienpreise gerade so in ein Eigenheim geschafft hat, den macht solch eine zusätzliche Belastung den Garaus. Eine Stundung oder gar ein Erlass sind zwar möglich. Ihrer Anwendung sind aber sehr enge Grenzen gesetzt. Die Auswertung des Bundes der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen zeigt zudem, dass die 2019 im Niedersächsischen Kommunalabgabengesetz geschaffenen Möglichkeiten, Grundstückseigentümer bei Straßenausbaubeiträge zu entlasten, oft gar nicht angewandt werden. Manche Gemeinde kann sich einen Verzicht darauf auch gar nicht leisten, nicht mal teilweise. Für Sie als Bürger hängt es also vom Zufall ab, ob Sie in einer Kommune leben, die sich die Abschaffung oder wenigstens gewisse Erleichterungen bei der Belastung finanziell leisten kann, oder ob Sie gegebenenfalls wegen einer knappen Haushaltkasse Anliegerbeiträge zahlen müssen.

Ausbaubeiträge sind und bleiben also ungerecht. Der Wille, sie abzuschaffen, ist hier und dort vorhanden, allerdings fehlt es ihm an politischer Durchschlagskraft.

Cornelia Krieg

Cornelia Krieg

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