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Landwirtschaft ganz neu gedacht

Der Ernährungstrend hin zu mehr Gemüse und weniger Fleisch ist da - und er wird auch nicht wieder gehen.

Landwirte produzieren Lebensmittel – mit Fachwissen und in bester Qualität. Dennoch stehen sie ständig in der Kritik. Auflagen und Forderungen sorgen für massive Zukunftsängste. Wie können sich Landwirte auf die neuen Herausforderungen einstellen?

Alle bisherigen Geschäftsmodelle müssten auf den Prüfstand, sagte Prof. Ludwig Theuvsen, Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, in seinem Grußwort auf der Beraterhochschultagung in Isernhagen. Was sich früher bewährt habe, müsse neu überdacht werden. „Eine Zeit der Veränderung löst Ängste aus,“ bestätigte Theuvsen, „aber die Landwirtschaft kennt den Wandel und lebt von der Anpassung und neuen Ideen.“

Umdenken gefordert

Doch dass die Landwirtschaft sich immer angepasst habe, sah Prof. Nick Lin-Hi von der Universität Vechta etwas anders, und wollte mit seinem Vortrag die Zuhörer bewusst provozieren und zum Umdenken bewegen. Seiner Ansicht nach mache die Landwirtschafft alles wie immer – zwar besser und effizienter, aber sie arbeite immer nach dem gleichen Muster. Was jedoch kommen müsse, wäre ein komplettes Umdenken. Denn unser Ernährungssystem verursache schon jetzt ungefähr ein Drittel der menschengemachten Treibhausgase. Die weltweite Bevölkerung werde weiter zunehmen und in vierzig Jahren die zehn Milliarden-Marke überschritten haben. Steigt dann die Nachfrage nach tierischen Produkten steigen die Klimaprobleme. So wären die geforderten Klimaziele nicht erreichbar.

Lin-His Forderung: „Wir müssen das System nicht verbessern, sondern neu denken!“ Heißt, über Bioreaktoren künstliches Fleisch erzeugen. Seiner Ansicht nach hätte das neben dem Aspekt der Klimaneutralität weitere Vorteile: Bei gleichem Geschmack und gleicher Optik wäre die Nachhaltigkeit besser, es würde preisgünstiger werden, und einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck haben. Allerdings sah er Deutschland bei den Innovationen nicht sehr weit vorne: „Deutschland verpasst den Anschluß, hier sind bestenfalls die Investoren.“ Auch könne nicht jeder Landwirt in seinem leeren Schweinestall einen Bioreaktor stellen. Aber sie könnten sich als Lieferanten, zum Beispiel für Nährmedien, anbieten. „An der zellulären Landwirtschaft führt kein Weg vorbei“, versprach Lin-Hi.

Fleisch aus dem Labor ist für viele eine irritierende Vorstellung. Doch geht der Trend dahin? Zumindest geht er weg vom bisherigen hohem Fleischkonsum, ist sich Dr. Achim Spiller, Professor für „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ an der Universität Göttingen sicher. Es gibt Moden, die dauern nur ein paar Jahre, es gibt Trends, die zehn bis 20 Jahre anhalten und es gibt Megatrends. Diese sind das Ergebnis gesellschaftlicher Umbrüche, sie wirken sich auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft aus und sind langfristig, über 20 Jahre.

Das Letzteres auf den abnehmenden Fleischkonsum zutrifft, zeigte Spiller anhand einer kürzlich durchgeführten Jugendstudie. Befragt wurden junge Erwachsene zwischen 16 und 29 Jahren. Noch ernähren sich über 60 Prozent von ihnen klassisch, sind also Allesesser. Aber rund 24 Prozent bezeichnen sich als Flexitarier, gaben also an, ihren Fleischkonsum bewusst einzuschränken. Als Vegetarier/Veganer bezeichneten sich rund zwölf Prozent und damit doppelt so viele wie beim Rest der Bevölkerung. Damit sei das definitiv kein Modetrend mehr.

Weiter erklärte Spiller: Für 70 Prozent der Flexitarier sowie der Vegetarier/Veganer ist Klimaschutz ein Beweggrund für den Fleischverzicht. Für über 60 Prozent beider Gruppen ist Tierleid ein weiterer Grund. Auch gesellschaftlich habe sich einiges verändert. Wurden früher Vegetarier/Veganer belächelt und mussten ihre Ansicht verteidigen, hätte sich die Situation mittlerweile gedreht. Dazu käme, so Spiller, dass an den Universitäten ebenfalls ein Trend zu erkennen sei: Insbesondere bei den Studenten der Geisteswissenschaften sowie in den medizinernischen Berufen gäbe es einen sehr hohen Anteil Vegetarier/Veganer. Sie tragen ihre Meinung offensiv nach draußen und dürften, als spätere Multiplikatoren, einiges bewirken.

Alles ändert sich

Was bedeutet das nun für die Landwirte und deren Beratungsorganisationen? Für Spiller liegt die Tendenz auf der Hand: Wollen Landwirte bestehen, ist die Alternative ein Umschwenken zu mehr Obst-, Gemüse- und Leguminosenanbau. Auch der Beratung stünde eine Transformation bevor. Zu den bisherigen Arbeitsfelder kämen Themen wie Motivation, Innovationen, Umstellungskonzepte, Ausstiegsberatung, aber auch die psychologische Betreuung dazu.

Während die Produktion von Fleisch aus dem Reaktor im großen Stil noch einige Zeit dauern dürfte, steigt die Nachfrage nach Fleischersatzprodukten auf pflanzlicher Basis. Eine weitere Nahrungsquelle, allerdings auf Basis tierischer Produkte, stellte Dr. Nils Th. Grabowski von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover vor: die Insektenzucht. Rund 2,8 Milliarden Menschen weltweit konsumieren Insekten. Seiner Meinung nach könnten Insekten als Nahrungsquelle Probleme wie Klimawandel und Nachhaltigkeit lösen.

LWK-Präsident Gerhard Schwetje fasste in seinem Schlusswort zusammen: „Wir müssen unseren eigenen Weg gehen.“ Ihn beeindrucke die Leidenschaft der Unternehmer für ihre Produkte. Er war sich sicher, dass es funktioniere, neue Wege zu gehen.

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