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Thema der Woche 

Artenschutz - Zwei Seiten einer Medaille

Auf Grünlandflächen innerhalb der Gänsekulissen können nun auch Rastspitzen ausgeglichen werden.

Zugegeben, der Wolf hat den Wildgänsen in der Berichterstattung längst den Rang abgelaufen. Doch gerade am Beispiel der nordischen Gastvögel zeigt sich, was eine konsequente Unterschutzstellung über Jahrzehnte an Positivem, aber auch Negativem zur Folge hat. Während die Landwirte vom Land einen Managementplan zur Eindämmung der Wildgänse fordern, ist das Land bemüht, für Gänsefraßschäden einen Ausgleich zu zahlen. Die Zahlungen für Gänsefraßschäden nehmen kontinuierlich zu, wie aus den Antworten des NLWKN auf unsere Fragen hervorgeht.

Gänse und Mäuse

Auch in der vergangenen Saison haben rastende Gänse an den niedersächsischen Küsten Ertragsminderungen auf landwirtschaftlichen Flächen verursacht, schreibt Bettina Dörr, Pressesprecherin des NLWKN in Hannover. Da im Herbst 2019 auch in einigen Vogelschutzgebieten Niedersachsens die Vegetation auf Grünland durch das massive Auftreten von Mäusen sehr stark dezimiert wurde (wir berichteten), stellte sich die Frage, wo die geschützten Wildgänse im Winter 2019/2020 noch geeignete Rast- und Überwinterungsgebiete finden. Die Beeinträchtigung der Grünlandnarbe durch die Mäuse hatte vor allen Dingen im Rheiderland in Ostfriesland deutliche Auswirkungen auf die Bestandszahlen von rastenden Weißwangen- (Nonnengans) und Blässgänsen, so Dörr weiter.

In der ersten Novemberhälfte konnten zwar etwa 74.000 rastende Weißwangengänse und 32.000 Blässgänse erfasst werden, aber der Großteil verließ das Gebiet wieder relativ schnell. Erst ab Februar 2020 zeigten sich die Bestände vergleichbar wie im Vorjahr. Auch der Abzug Anfang Mai erfolgte im Rheiderland und in einigen anderen Vogelschutzgebieten zeitiger als in den Vorjahren.

In anderen Gebieten waren die Bestände der Weißwangengänse stabil bis zunehmend. In der Wesermarsch hat die Weißwangengans trotz der mäusebedingten Grünlandschäden im Vogelschutzgebiet Butjadingen weiterhin zunehmende Rastbestände gezeigt, so die Pressesprecherin. Dort ist festzustellen, dass die Zunahme an Weißwangengänsen mit einer Abnahme rastender Blässgänse einhergeht.

Auch aus anderen Regionen sind über längere Zeiträume Verschiebungen innerhalb des Rastgeschehens belegt. Landesweit ist von einem komplexen und in seiner Entwicklung kaum vorhersehbaren Zug- und Rastgeschehen der Weißwangengans, aber auch anderer nordischer Gänsearten auszugehen.

Die Fachbehörde für Naturschutz schätzt den derzeitigen maximalen Rastbestand an Weißwangengänsen in Niedersachsen auf etwa 250.000 Individuen. In der außergewöhnlichen Rastperiode 2019/2020, in der in einigen Gebieten die Grasnarbe durch Mäuse bereits stark geschädigt war, trafen die rastenden Gänse manche Betriebe besonders schwer, indem sie die letzten grünen Bereiche und Neuansaaten zur Rast nutzten, so Dörr weiter.

Rastspitzen im Test

Im Rheiderland und in der Wesermarsch konnte einem Teil der betroffenen Betriebe eine finanzielle Unterstützung im Rahmen des Praxistests für das Rastspitzenmodell auf Grünland angeboten werden. Landwirte aus den EU-Vogelschutzgebieten V06 „Rheiderland“, V64 „Marschen am Jadebusen“, V 65 „Butjadingen“ und V 11 „Hunteniederung“ konnten Grünlandflächen innerhalb der Förderkulisse der Agrarumweltmaßnahmen, die besonders stark von der Gänserast betroffen waren, melden. Hiervon machten insgesamt 26 Betriebe Gebrauch, gibt die NLWKN-Pressesprechering aktuellste Zahlen bekannt.

Insgesamt wurden 196 Flächen mit insgesamt 660 Hektar innerhalb der möglichen Förderkulisse gemeldet und besichtigt. 93 Flächenmeldungen kamen aus dem Rheiderland, 103 aus der Wesermarsch. Es wurden sowohl Fraßschäden auf Neuansaaten als auch auf Altnarben gemeldet. Auf 143 Flächen mit insgesamt knapp 416 Hektar (63 % der gemeldeten Fläche) wurden Ertragsverluste durch Rastspitzen festgestellt. Für Flächen mit einem Totalausfall des ersten Schnitts wurden 2020 bis zu 436 Euro pro Hektar ausgezahlt. 24 Betrieben konnte eine Auszahlung angeboten werden. Die Beträge lagen zwischen 80 und 11.312 Euro. Insgesamt wurden im Herbst 2020 knapp über 100.000 Euro für den anteiligen Ausgleich von Rastspitzen auf Grünlandflächen ausgezahlt.

Mit diesen Zahlungen werden Betriebe, die teilweise sehr schwere Ertragseinbußen beim ersten Schnitt hinnehmen müssen, erreicht. Die Resonanz sei durchweg positiv, auch wenn in der Pilotphase noch nicht alle betroffenen Betriebe erreicht wurden, stellt Dörr abschließend fest.

Geschädigte Flächen melden

Die Fortsetzung des Praxistests für die Rastperiode 2020/2021 läuft bereits wieder an. Während des Praxistauglichkeitstests können Landwirte aus den oben genannten Vogelschutzgebieten Flächen, die innerhalb der Förderkulisse der Agrarumweltmaßnahmen zum Schutz nordischer Gastvögel (NG 3 und NG 4) liegen und durch überdurchschnittliche Rastereignisse von arktischen Gänsen betroffen sind, per E-mail oder Fax an die Landwirtschaftskammer Niedersachsen in Aurich, Mona Garlichs (mona.garlichs@lwk-niedersachsen.de, Telefon: 04941/921-148, Telefax: 04941/921-151) melden. Für Altnarben reicht eine Meldung bis Ende April, vorausgesetzt, die Flächen wurden bis zur Besichtigung noch nicht beweidet. Neuansaaten sollen bereits im Herbst bis maximal zwei Wochen nach dem ersten Rastereignis gemeldet werden. Bei Neuansaaten folgt eine zeitnahe Besichtigung der Flächen im Herbst, um festzustellen, ob neben den Gänsen auch andere Ursachen für einen verminderten Aufwuchs vorliegen. Bei Nachmeldung weiterer Rastereignisse bis Ende April wird die Fläche vor dem ersten Schnitt wieder besichtigt.

NLWKN

Und so wird bei der Feststellung der Schäden vorgegangen: Um den Ertragsverlust im Grünland festzustellen, werden Altnarben und Neuansaaten kurz vor dem ersten Schnitt besichtigt. Dabei wird die Wuchshöhe in den Arealen, die von Gänsen befressen bzw. nicht befressen wurden, vermessen. Die so ermittelten Ertragsverluste werden mit Erträgen aus der Grünlandreifeprüfung verglichen. Honoriert werden die Ertragsverluste über eine Kostenaufstellung für Ersatzfuttermittel. Vor der Auszahlung werden über den NLWKN noch Daten zur Umsatzsteuerveranlagung und weitere De-Minimis-Leistungen abgefragt. Erst nach Eingang der benötigten Angaben kann es zu einer anteiligen Auszahlung des Ertragsverlustes kommen, beschreibt Dörr das Verfahren.

Ausgleich auch für Flächen, die außerhalb der Kulisse liegen

Landvolk Ostfriesland   Die Scharen von Nonnen- und Blässgänsen hinterlassen kahlgefressene und verkotete Weiden und Getreideschläge. Es kommt hinzu, dass befallene Flächen, die nicht in der sogenannten Gänsekulisse liegen, vom Land keine Ausgleichszahlung erhalten. „Die Landwirte bleiben auf den wirtschaftlichen Schäden sitzen“, stellt Rudolf Bleeker, Geschäftsführer des Kreislandvolks in Leer, fest. Vor zwanzig Jahren wurden die Wildgänse von der EU unter Schutz gestellt, was angesichts der damals niedrigen Populationszahlen laut Bleeker noch nachvollziehbar war. Doch heute hat sich die Anzahl der nordischen Rastvögel auf etwa 1 Mio. erhöht, wie das Landvolk Mitte 2020 meldete. Vor diesem Hintergrund könne man die Population dieser Gänse nicht mehr als gefährdet bezeichnen, erklärt Bleeker weiter. Doch den international festgelegten hohen Schutzstatus der Gänse wird so schnell kein Politiker anrühren. Ein Vergrämen der Gänse zum Schutz des Pflanzenaufwuchses ist weitestgehend verboten und laut Bleeker auch wenig erfolgreich. Es kommt hinzu, dass sich Gänse nicht an Gänsekulissen halten und logischerweise immer dorthin fliegen, wo das Nahrungsangebot am besten ist. Gerade die beiden Trockenjahre 2018 und 2019, gekoppelt mit der Mäuseplage in 2019, haben gezeigt, dass die Gänse dann nach Westen und Osten abgewandert sind. Bleeker: „Wenn der NLWKN feststellt, dass die Gänsezahlen nicht weiter gestiegen sind, ist das nicht richtig.“ Denn was außerhalb der Gänsekulisse stattfindet, werde damit nicht erfasst.

Doch die Futtersituation hat sich witterungsbedingt in 2020 in den Gänsekulissen wieder erholt und damit sind auch die Gänse zurück. Gerade in diesem Winter bangen Landwirte vor allem um ihre Grünlandneuansaaten, die infolge der massiven Trocken- und Mäuseschäden im letzten Frühjahr großflächig vorgenommen werden mussten. „Die jungen Grasnarben konnten sich noch gar nicht richtig etablieren“, so Bleeker. Auch die Winterungen im Ackerbau haben von den guten Witterungsbedingungen profitiert und bieten den Wildvögeln eine gute Nahrungsgrundlage.

Während die Gänse nicht lange auf sich warten lassen, müssen die betroffenen Landwirte bei den Ausgleichszahlungen schon Geduld beweisen. Dies gilt vor allem für den Ausgleich von Rastspitzen auf Grünlandflächen. Während sie auf Ackerflächen seit Jahren gezahlt werden, wurde für Grünland von 2015 bis 2018 ein solches Rastspitzenmodell erst entwickelt und im März 2019 in Jemgum vorgestellt. Was aber genau an Ausgleich für Rastspitzen auf Grünland gezahlt werden muss, wurde 2020 in einem Pilotprojekt ermittelt (siehe Beitrag unten). Wie die Erhebungen im Rahmen des Rastspitzenmodells für Grünland der Landwirtschaftskammer in Aurich ergeben hatten, können Gänse im Durchschnitt über 50 % des ersten Grasschnittes vernichten. Warten müssen auch die Landwirte, die seit Jahren Schadensersatz für die jahrzehntelangen Gänseschäden beantragt haben.

Bei allen Bemühungen des Landes für einen Ausgleich von Gänseschäden, fordern die Landwirte weiterhin einen echten Ausgleich für tatsächlich entstandene Schäden anstelle von errechneten Durchschnittswerten. Ein Ausgleich müsse auch für Flächen außerhalb der Gänsekulissen gezahlt werden. „Auch der Selbstbehalt beim Rastspitzenmodell für Ackerflächen ist zu hoch“, fügt Bleeker hinzu. Ganz wichtig ist den Landwirten aber ein Managementplan, um die Gänsezahlen zu begrenzen.

Edith Kahnt-Ralle

Rudolf Bleeker

2021 insgesamt 8,1 Mio. Euro

Ausgleich   In den Vogelschutzgebieten entlang der niedersächsischen Küste kommt das Land seiner Verpflichtung aus der EU-Vogelschutzrichtlinie nach, rastende Bestände von Weißwangen- (Nonnengans) und Blässgänsen in einigen Regionen unter Schutz zu stellen. Die Gänse verursachen Schäden an Ackerkulturen und Grünland. Daher bietet das Land in ausgewählten Gebieten mit hohen Rastbeständen innerhalb der EU-Vogelschutzgebiete Ausgleichszahlungen für störungsfreie Rast- und Nahrungsflächen im Rahmen der Agrarumweltmaßnahmen an. Hierfür wurden bisher knapp 7 Mio. Euro pro Jahr ausgezahlt, um durchschnittliche Schäden durch Gänse ausgleichen zu können. Im Jahr 2021 sind 8,1 Mio. Euro eingeplant. Häufig konzentrieren sich die Gänse aber auf bestimmte Flächen. Durch diese Rastspitzen kommt es zu überdurchschnittlichen Ertragseinbußen bzw. Totalausfällen. Daher bietet das Land seit Jahren zusätzliche anteilige Ausgleichszahlungen im Rahmen der Billigkeitsrichtlinie für nordische Gastvögel auf Acker an. Auf Grünland wurde nun im zweiten Jahr ein ähnliches Honorierungsmodell getestet.

NLWKN/Kt

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