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Zoonosen – Die Rolle der Landwirtschaft

Nutztiere können bei der Entstehung von Zoonosen eine Rolle spielen. Die strenge Biosicherheit in modernen Ställen macht die Entstehung und Verbreitung von Zoonosen aber unwahrscheinlich.

Die Coronakrise zeigt, welche massiven Auswirkungen neuartige Krankheitserreger haben können. Bei vielen neu auftretenden Krankheiten handelt es sich wie bei COVID-19 um Zoonosen – Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragbar sind.

Rund zwei Drittel aller Erreger, die Erkrankungen beim Menschen hervorrufen, sind Zoonose-Erreger. Bei den neu auftauchenden Infektionskrankheiten („emerging infectious diseases“) sind es sogar drei Viertel. Beispiele für Zoonosen sind Tollwut, Salmonellose, HIV/AIDS oder Ebola. Sie kommen weltweit und bei den unterschiedlichsten Tierarten vor. Mögliche Erreger sind Viren, Bakterien, Pilze oder Parasiten.

Wenn Erreger von Tieren auf Menschen überspringen, führt das nicht immer zu schweren Verläufen oder dazu, dass die Krankheiten sich schnell von Mensch zu Mensch übertragen und weltweit ausbreiten wie im Fall von COVID-19. Die Entstehung und Ausbreitung von Zoonosen ist ein komplexer Vorgang. Um ihn zu verstehen, muss man das Zusammenspiel von Mensch, Tier und Umwelt berücksichtigen. Der Gesundheitssektor allein kann Zoonosen daher nicht eindämmen.

Gemeinsame Gesundheit

Das One-Health-Konzept (übersetzt „eine Gesundheit“) beruht darauf, dass sich Disziplinen aus den verschiedensten Bereichen vernetzen und zusammenarbeiten, um die gemeinsame Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt zu schützen. In diesem Geflecht spielt auch die Erzeugung von Lebensmitteln tierischer Herkunft eine Rolle.

So können Nutztiere an der Entstehung von Zoonosen beteiligt sein. Für die Verbreitung von COVID-19 sind sie nicht relevant, aber generell können auch sie Erreger auf den Menschen übertragen. Schweine stellen dabei eine besondere Gefahrenquelle dar, besonders im Hinblick auf Influenzaviren.

Dr. Annika Graaf und Prof. Timm Harder erklären in einer Veröffentlichung des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI), warum Schweine in der Virologie den Beinamen „mixing vessels“ (Mischgefäße) tragen: Jedes Virus hat ein bestimmtes Spektrum an Wirtsorganismen, die es infizieren kann, abhängig von deren Zellausstattung und Immunabwehr, den Viruseigenschaften und Umweltfaktoren. Schweine sind aber auch für Influenzaviren von Menschen und Vögeln empfänglich und eignen sich daher bestens, um Viren von Mensch, Schwein und Vogel zu vermehren und sie neu zu sortieren.

Ist eine Wirtszelle zur gleichen Zeit mit zwei verschiedenen Viren infiziert, vermischt sich das genetische Material der Elternviren und es kann aus einer Vielzahl neuer Kombinationsmöglichkeiten ein neues Virus entstehen. Dieses unterscheidet sich von den Elternviren und kann unvorhersehbare Eigenschaften haben wie die Fähigkeit, die Artenbarriere zu durchbrechen und Menschen zu infizieren. Eine mögliche Folge ist eine globale Pandemie wie im Jahr 2009 mit der Schweinegrippe.

Neue Viren entstehen

Im Sommer veröffentlichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachmagazin PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America) eine Studie zu einem neuen Virus-Genotyp, der dem „Schweine-grippe-Virus“ H1N1 von 2009 ähnelt und seit 2016 in chinesischen Schweinebeständen vorkommt. Sie konnten es auch bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern chinesischer Schweinefarmen nachweisen. Daraus schließen sie, dass es auf den Menschen übertragbar ist und eine Pandemie auslösen könnte.

Eine aktuelle Studie des FLI bestätigt die Bedeutung von Schweinebetrieben als Speicher für eine zunehmende Anzahl von Influenzaviren, die teils auf Menschen übertragbar sind. Das Institut untersuchte 18.000 Proben aus fast 2.500 Schweinebetrieben mit Atemwegserkrankungen bei Tieren in Deutschland und 16 weiteren EU-Ländern.

Schweine als Speicher

In mehr als der Hälfte der Betriebe wiesen die Wissenschaftler ganzjährig Influenzaviren nach. Sie beobachteten, dass aus den vier dominierenden Viruslinien zunehmend neue Varianten entstehen, wobei einige bereits eine Resistenz gegen einen wichtigen Bestandteil der menschlichen Virenabwehr entwickelt haben.

„Der One Health-Gedanke ließe sich hier erfolgversprechend zum gegenseitigen Nutzen von Mensch und Tier umsetzen“, schließt Harder aus der Studie. Denn Kenntnisse zur Infektionslage, bessere Bekämpfungsstrategien und optimierte Impfstoffe für Schweine gegen Influenzaviren könnten das Tierwohl steigern und wirtschaftliche Einbußen reduzieren. Gleichzeitig ließe sich die Gefahr mindern, dass Menschen in Schweinebeständen mit potenziell zoonotischen Viren in Kontakt kommen.

Eine Form des Coronavirus beim Schwein sorgte im Oktober für mediale Aufmerksamkeit: Wissenschaftler der University of North Carolina at Chapel Hill beschäftigten sich in einem Beitrag im Magazin PNAS mit dem Swine Acute Diarrhoe Syndrome Coronavirus (SADS-CoV). Sie zeigten, dass auch dieses Virus, zumindest unter Laborbedingungen, menschliche Zellen befallen kann.

Der Veröffentlichung zufolge tritt es in chinesischen Schweinebeständen seit 2016 auf und löst schwere Brechdurchfälle aus mit einer Sterblichkeit von 90 Prozent bei Ferkeln. Auch dieses Virus stamme vermutlich ursprünglich aus Fledermäusen und scheine ein sehr breites Wirtsspektrum zu haben, sodass es als potenzielles Hochrisiko-Virus die globale Wirtschaft und Gesundheit gefährden könnte.

Nutztiere beobachten

Das Zusammenspiel von Pandemien und Nutztieren war auch ein Thema beim digitalen deutsch-brasilianischen Tierschutzkongress im November. Prof. Jörg Hartung von der Tierärztlichen Hochschule Hannover betonte die Bedeutung des One Health-Gedankens: „Mensch, Tier und Umwelt sitzen in einem Boot. Wer Menschen schützen will, muss auch Tiere und Umwelt schützen.“

Es sei wichtig, Virenreservoire für potenzielle Pandemien möglichst früh zu erkennen – bei Wildtieren, aber auch bei Nutztieren. Sie könnten als Frühwarnsysteme für Pandemien dienen. Deshalb ist es laut Hartung nötig, Gesundheit und Verhalten von Nutztieren kontinuierlich zu beobachten. Nur so ließen sich Abweichungen schnellstmöglich erkennen.

Biosicherheit schützt

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Biosicherheit. Das bestätigte Prof. Thomas Mettenleiter, Präsident des FLI, im Interview mit dem Fachmagazin agrarheute. „Wenn der Bestand biosicher gehalten wird, reduziert das die Gefahr drastisch, dass Infektionen von außen eindringen.“ Die Schweinehaltungshygieneverordnung und die Geflügelpestverordnung hält Mettenleiter für gute Werkzeuge, um eine grundlegende Biosicherheit zu gewährleisten.

„Wir haben viele Zoonosen getilgt oder zumindest unter Kontrolle. Die Problematik hat sich entschärft – vor allem da, wo Landwirtschaft qualitätsgesicherter und abgeschotteter geworden ist.“

Prof. Thomas Blaha

So hat sich die Problematik der Zoonosen in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt verbessert, erklärte Prof. Thomas Blaha, Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, kürzlich bei einem Online-Fachgespräch der Partei Bündnis 90/Die Grünen. „Wir haben viele Zoonosen getilgt oder zumindest unter Kontrolle. Die Problematik hat sich entschärft – vor allem da, wo Landwirtschaft qualitätsgesicherter und abgeschotteter geworden ist.“

Die Entstehung von Zoonosen sei in den heutigen modernen Produktionstypen unwahrscheinlich. Sie würden eher in traditionellen, nicht spezialisierten Tierhaltungen ohne Biosicherheit und mit vielen wechselnden Mensch-Tier-Kontakten entstehen.

Biosicherheit und Sachkunde sind laut Blaha in Hobbytierhaltungen ebenso gefordert wie in großen Einheiten, da die Maßnahmen nur greifen, wenn ausnahmslos alle Tierhalter sie einhalten. In Kombination mit den heutigen Methoden zur Früherkennung sieht er darin großes Potenzial, um weitere Zoonosen zu vermeiden.

Fazit

  • Rund zwei Drittel aller Erreger, die Krankheiten beim Menschen hervorrufen, sind Zoonose-Erreger, also von Tieren auf Menschen übertragbar.
  • Um Zoonosen zu bekämpfen, ist es wichtig, das enge Geflecht von Mensch, Tier und Umwelt zu berücksichtigen.
  • Nutztiere können an der Entstehung von Zoonosen beteiligt sein.
  • Biosicherheit, Sachkunde und die frühzeitige Erkennung von Krankheiten in Beständen reduzieren das Risiko für die Entstehung von Zoonosen in der Tierhaltung maßgeblich.
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