MEDIENTIPPS

Ein Ethnologe lernt sprechen

Hilke Lehmann

16. März 2022

Lesetipp Benjamin Merz ist ein Ethnologe, der sich in seinen Kreisen bereits einen Namen gemacht hat. Aufgewachsen ist er in Köln mit vier deutlich älteren Brüdern. Dass er mit ihnen keine idyllische Kindheit hatte, wird im Verlauf des Buches deutlich. Die Folge: Benjamin Merz erzählt niemandem von sich selbst – er kann sich anderen gegenüber nicht öffnen. Trotzdem ist er ein Meister darin, anderen ihre Geschichte zu entlocken.

Seine neuesten, sehr umfangreich angelegten Forschungen im sizilianischen Mandlica erarbeitet der Wissenschaflter unter dem Titel „Die Stadt der Dolci“. Und genau an diesem sonnendurchfluteten, zuweilen recht heißen, Ort überwindet er seine Hemmungen – auch dem weiblichen Geschlecht gegenüber. Es ergibt sich, was weder seine großen Brüder, noch er selbst zu hoffen gewagt hatte(n): Er lernt die Frau seine Lebens kennen: Paula. Ihre Liebe bewirkt, dass seine Blockade, über sich und die schrecklichen Erlebnisse mit den großen Brüdern zu sprechen, sich löst. Nichts zieht Benjamin mehr zurück nach Köln, er plant nun ein Leben mit Paula in Mandlica.

Ich mag Ortheils wunderbar ruhige und stringente Art des Erzählens. Die lichtdurchflutete Leichtigkeit des sizialianischen Lebens habe ich genossen – zum Seufzen schön! Es war beim Lesen jedes Mal wie eine unbeschwerte kleine Reise in den Süden.

Das Kind, das nicht fragte, Hanns-Josef Ortheil, btb, 432 S., 10 €, ISBN: 9783442739813

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