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FAMILIE

Ermahnungen aus dem Hinterkopf

Ich hätte den Landfrauen gegenüber ein schlechtes Gewissen, wenn ich den Vorsitz abgeben würde.

Gründe, ein schlechtes Gewissen zu haben, gibt es viele. Hier soll es um die vielen kleinen Gründe dafür gehen: zu viel Kuchen gegessen, zu viel geraucht, zu viel getrunken. Der Hund war noch nicht draußen, schon wieder. Wir haben den Müll nicht sorgfältig getrennt, die Frist für die Steuererklärung ist verstrichen.

Wir haben ein schlechtes Gewissen, weil es im Laufe der Evolution gut für das Überleben der Spezies Mensch war: zum Beispiel, wenn man etwas getan hat oder tun wollte, was für einen selbst und das Zusammenleben der Sippe schlecht war. Daraus entstanden Regeln fürs soziale Miteinander und wenn wir dagegen verstoßen, fühlen wir uns meist schlecht. Diese Regeln sind keine angeborenen Instinkte, sondern erlernt; und je nach Kultur und Zeitgeist auch immer mal andere. Eine Handvoll gesammelte Nüsse und Früchte selbst aufzuessen, war keine schlechte Tat, wenn man allein unterwegs war. Ging es aber darum, Essen für die Sippe zu suchen, dann schon. Oder Thema Steuer: Die versäumte Frist ist nicht der Grund fürs schlechte Gewissen. Sondern unser Wissen, dass man als anständiger Mensch keine Fristen versäumt und pünktlich Steuern zahlt. Denn die meisten von uns möchten gerne anständige Menschen sein.

Auch der Körper reagiert aufs schlechte Gewissen: Manchmal fühlt es sich an wie eine innere Stimme, mal ist es eine Spannung oder Unruhe in der Bauchgegend. Das ist nicht eingebildet, sondern eine Folge von Stresshormonen, die der Körper freisetzt. Wie stark die Symptome sind, hängt von der Schwere der schlechten Tat ab. Und von der Person und deren Wertesystem. Das prüft, ob Gesagtes, Handlungen oder Entscheidungen für gut empfunden werden oder nicht.

Werte hinterfragen

Wenn für Schuldgefühle sehr empfängliche Menschen auf Menschen treffen, die versiert darin sind, ein schlechtes Gewissen zu erzeugen, um damit Einfluss zu nehmen, kann das für die Empfindsamen sehr anstrengend bis gefährlich werden. Im Arbeitsleben oder in der Partnerschaft kann man oft nicht so einfach weghören. Was man tun kann: Gezielt das eigene Wertesystem hinterfragen.

Ein „anständiger“ Mensch zu sein, ist ein guter Wert. Dass man nur dann ein anständiger Mensch ist, wenn man anderen jeden Wunsch erfüllt, ist falsch und anerzogen. Man ist auch dann ein anständiger Mensch, wenn man den Urlaub nicht mit der Kollegin tauscht. Und dann auch die Schwiegereltern nicht mit in den Urlaub nimmt. Sondern wie gebucht und geplant verreist, nur mit dem eigenen Partner oder der Partnerin.

Die Entscheidung rational zu fällen und nicht aus Schuldgefühlen heraus, ist die eine Herausforderung. Ebenfalls schwierig ist für viele, das nagende schlechte Gewissen abzustellen, also die körperliche Reaktion. Kalendersprüche helfen nicht, im Gegenteil. „Aufs Bauchgefühl zu hören“ ist der falsche Weg. Der Bauch will ja nur seine Ruhe, und wenn die Schwiegereltern mitkommen, um des Friedens Willen, hätte er sie auch, das löst aber nicht das Problem.

Besser sind Entspannungsübungen oder Bewegung, wenn der innere Stress kommt. Oder ein positives Gegengefühl. Stellen Sie sich den gemütlichen Anblick ihrer Katze auf der Fensterbank in der Sonne vor. So wollen Sie sich auch fühlen. Es geht nicht darum, sich falsche Entscheidungen schön zu denken. Sondern darum, richtige Entscheidungen besser aushalten zu können. Besonders, wenn uns andere deswegen ein schlechtes Gewissen machen.

Situationsabhängig

Auch vor sich selber kann man ein schlechtes Gewissen haben. Zum Beispiel wegen jeder Zigarette, die man eigentlich nicht mehr rauchen wollte. Oder sollte. Oder weil man noch keinen Sport gemacht hat, heute, diese Woche, diesen Monat oder weil man im neuen Job schon wieder unglücklich ist, oder mit dem neuen Partner oder der neuen Partnerin.

In all diesen Fällen geht es nicht darum, das schlechte Gewissen zum Schweigen zu bringen. Sondern darauf zu hören. Das ist immer dann der Fall, wenn man die Frage „Wenn sie erfahren, dass Sie bald sterben, würden sie es bedauern, den Zeichen des schlechten Gewissens nicht gefolgt zu sein?“ eindeutig mit Ja beantworten kann. Tatsächlich braucht man dann oft Zeit und auch Unterstützung, ob von Freunden, einem Coach oder vom Arzt, um wirklich etwas zu verändern. Aber das kann – nachdem man nicht mehr raucht – doppelt und dreifach Lebensqualität bringen. Denn der innere Stress bei jeder Zigarette durch das schlechte Gewissen macht das Rauchen zusätzlich ungesund.

Es gibt aber auch Lebensthemen, die machen ein schlechtes Gewissen, egal für welche Variante man sich entscheidet. Da ist zum Beispiel jemand Vorsitzende im Landfrauenverein. Diese Frau, nennen wir sie Gisela Fathmann, ist Ende 50 und macht den Posten seit mehr als zehn Jahren. Viele Stunden in der Woche verbringt sie mit Vereinsformalitäten, Pressearbeit und der Organisation von Veranstaltungen, von Verträgen für die Referenten bis zum Kuchenbacken für den Basar – und das mit großer Freude. Sie ist Typ Macherin.

Inzwischen ist das zweite Enkelkind unterwegs, ein neuer Hund ist im Haus. Gisela Fathmann möchte mehr Zeit für sich und die Familie – und will deswegen den Vorsitz abgeben. Aber sie hat ein fürchterlich schlechtes Gewissen dabei. Vor den Vereinsformalitäten und den Regularien haben viele eine Scheu. Soll sie das einer anderen Landfrau zumuten, während es ihr leicht von der Hand geht? Also weitermachen?

Was ist dann mit den Enkeln, dem Hund, der Familie? Hier steht schlechtes Gewissen gegen schlechtes Gewissen. Der Verstand kann das nicht lösen und die Gedankenschleifen können so anstrengend werden, dass man am liebsten alles hinwerfen und auswandern würde. Die Gewissensforscherin Maja Storch kennt solche Konflikte, aus ihrer Arbeit, aber auch aus dem Privatleben.

Storch hat ein kleines Hilfsprogramm entwickelt, das sie „Affektbilanz“ nennt. Klingt kompliziert, aber außer fünf Minuten Zeit braucht es nur einen Zettel und einen Stift dafür. Man schreibt die beiden Konfliktthemen nebeneinander: Vorsitz abgeben, Vorsitz weitermachen. Unter jeden der beiden Punkte zeichnet man zwei Balken für eine Skala, die unten mit „0“ beginnt und oben mit „100“ endet. Einmal für die Stärke des schlechten Gewissens bei „Ja“, einmal bei „Nein“. Diese Stärke trägt man ohne langes Nachdenken ein.

Der Kompromiss

Am Ende klärt sich oft, was gar nicht geht: Gisela Fathmann will aber auf jeden Fall mehr Zeit für die Familie haben, auch wenn sie gern weitermachen würde. Die Lösung ist ein Kompromiss: Sie bleibt die offizielle Vorsitzende, ist für Formalien und Unterschriften zuständig und dafür, vor der Zeitungskamera Hände zu schütteln. Damit ist das Hauptproblem gelöst; mit Alltagsangelegenheiten und Veranstaltungsorganisation kommen die anderen im Vorstand gut zurecht. Hier wird sich Gisela Fathmann heraushalten. Sie trägt sich nicht mehr in Listen ein und wird vor allem nicht über Nacht noch vier Kuchen backen, wenn die noch fehlen sollten. Sondern kommt vorbei, um offiziell das Buffett zu eröffnen. Für diesen Kompromiss kann man dann auch noch mal die Skala aufmalen und stellt oft fest: So passt es ganz gut.

Sofort reagieren

Und dann gibt es noch die „schlechten Gewissen“, gegen die man keinen Ausflug ins Unterbewusste und zu den eigenen Werten braucht. Wer Omas Geburtstag vergessen, noch nicht mit dem Hund draußen war, sich noch keinen neuen Zahnarzt gesucht hat, seit der alte vor drei Jahren in den Ruhestand gegangen ist – dann ist eindeutig klar, was zu tun ist. Sich bei der Oma entschuldigen, sofort. Die Jacke schnappen und raus mit dem Hund. Und Zahnärzte googeln und einen Kontrolltermin vereinbaren. Hier arbeitet das schlechte Gewissen auf seine evolutionär sinnvollste Weise. Es warnt, weil etwas schief läuft. Wurde das gerade gerückt, ist alles wieder gut.

  • Buchtipp: Das schlechte Gewissen - Quälgeist oder Ressource?, Maja Storch/Gerhard Roth, Hogrefe, 135 S. 19,95 €, ISBN: 9783456861340

Man kann lernen, auch mal „Nein“ zu sagen

Manchmal treibt einen das (schlechte) Gewissen in den vorauseilenden Gehorsam: Plötzlich hört man sich selbst sagen „klar, kann ich das machen“, obwohl man es eigentlich gar nicht will.

Die gute Nachricht: „Nein“ zu sagen kann man lernen. Das (schlechte) Gewissen ist unser Helfer, aber nicht unser Boss. Es darf uns kritisieren, aber nicht fertig machen. Wir erkennen an, dass es uns beschützt, uns warnt und Probleme aufzeigt. Wer zu dem Schluss kommt, zu Unrecht ein schlechtes Gewissen zu haben, weil andere immer wieder Dinge von ihm fordern, die man selbst nicht tun möchte, sollte unbedingt üben, „Nein“ zu sagen.

„Nein“ zu sagen bedeutet nämlich auch, sich selbst zu respektieren. Ganz wichtig: Nicht jedes „Nein“ muss begründet werden. Ich darf es durchaus als „Privatsache“ betrachten. Und man sollte sich außerdem klar machen, dass es nicht grundsätzlich unhöflich ist, „Nein“ zu sagen. Leicht ist es nicht, aber es lohnt jeden Versuch. In der Regel braucht man drei Wiederholungen, bis es sich für dich gut anfühlt, und auch das Umfeld braucht mindestens drei Wiederholungen bis sie verstehen, dass es ernst gemeint ist.
ST

„Nein“ sagen bedeutet auch, sich selbst zu respektieren.

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