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FAMILIE

Mit Fingerspitzengefühl

Es lohnt sich, wieder einmal mit viel Muße den Körper des Partners zu erkunden. Dabei darf man miteinander reden und sich selbst und den Partner fragen: Was fühlt sich gut an? Was wünschst du dir von mir?

Viele Menschen, die eine langjährige Beziehung haben, erleben Folgendes: Der Sex wird immer weniger, hört vielleicht ganz auf. Wie kommt es dazu?

Die Gründe sind vielfältig. Ich formuliere es mal grundsätzlich: Eine Beziehung steht auf zwei Säulen. Sexualität auf der einen Seite, auf der anderen Seite Liebe und Zärtlichkeit. Meistens investieren Menschen am Anfang einer Beziehung viel in die Säule der Sexualität. Irgendwann überwiegt die Säule der Liebe und Zärtlichkeit und es entwickeln sich Routinen in der Beziehung. Das ist normal, das Blöde daran ist, dass die Sexualität sich etwas anderes wünscht als die Liebe. Die Sexualität wünscht sich das Geheimnisvolle, Neue und Aufregende. Ihre größten Feinde sind Schweigen und Routine.

Können Sie ein konkretes Beispiel geben?

Viele Männer wundern sich, dass ihre Frauen mit der Zeit keine Lust mehr auf Sex haben. Das liegt aber nicht daran, dass die Frauen weniger lustvoll sind. Im Gegenteil: Frauen und Männer haben gleich viel Lust. In ihrer Sexualität sind Frauen aber anspruchsvoller und kreativer. Sie wünschen sich neuen, aufregenden Sex und nicht immer nur das vorhersehbare Schema F. Bei Männern kommt es immer wieder vor, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlen und deshalb Probleme mit ihrer Erektion haben. Das ist für Männer sehr schwierig, weil sie sich dann nicht mehr männlich fühlen. Viele fürchten, sich zu blamieren. Sie entscheiden sich dafür, keinen Sex mehr mit ihrer Partnerin zu haben und verzichten zudem oft auf kleine wunderbare Alltagssexualitäten – denn die könnten ja eine sexuelle Handlung nach sich ziehen. Da ist der Klick auf eine Pornoseite weniger beängstigend.

Gibt es Zahlen oder Statistiken darüber, wie viel Sex in Partnerschaften „normal“ ist?

Ich bin kein Freund von Statistiken, denn dabei wird meist nur abgefragt, wie häufig Paare Sex haben. Das Problem ist, dass die Menschen sich danach orientieren und denken: „Meine Ehe ist okay, wenn ich zweimal in der Woche Sex habe, das passt zur Statistik.“ Viel wichtiger sind nach meiner Ansicht die Fragen: Wie hast du dich dabei gefühlt? Hat es dir Spaß gemacht? Hast du dich deinem Partner nah gefühlt? Konntest du zum Orgasmus kommen? Leider gibt es immer noch große Unterschiede, wie häufig Männer und Frauen einen Orgasmus haben. Männer kommen fast immer, Frauen viel seltener. Man muss sich schon mal fragen: Wäre es umgekehrt – wie viel Lust hätten Männer dann noch auf Sex?

Zur Gesprächspartnerin

Jana Welch
ist Sexologin und arbeitet in Hamburg

Jana Welch

Das bedeutet, dass der Sex, der am Anfang einer Beziehung intuitiv und ohne viel Mühe funktioniert, plötzlich mehr Aufmerksamkeit braucht?

Ganz genau. Es geht ab einem bestimmten Punkt darum, aktiv Zeit in den Sex zu investieren, sich damit zu beschäftigen. Sie können sich das vorstellen wie ein neues Projekt, den Kauf eines Traktors oder den Stallbau. Es ist sehr wichtig, mal darüber nachzudenken: Was bedeutet denn Sex, wie passiert er? Für viele Menschen ist Sex gleichbedeutend mit Penetration. Für mich ist Sexualität eine intime Begegnung. Durch das Nachdenken eröffnen sich neue Möglichkeiten: Vielleicht verzichten Paare auf Penetration, aber das bedeutet nicht, dass sie gleichzeitig auf Intimität verzichten müssen. Man darf sich also immer fragen: Wie könnte eine intime Begegnung aussehen, dass ich wieder Lust auf sie habe?

Und wenn man davon keine genaue Vorstellung hat?

Es gibt viel Unwissenheit darüber, wie Sex funktionieren kann. Viele Menschen glauben, sehr genau darüber Bescheid zu wissen. Für sie muss Sex immer nach einem bestimmten, oft alten und langweiligen Muster funktionieren. Davon darf man sich lösen. Für guten Sex ist es sehr wichtig, in eine leichtfüßige Interaktion zu kommen, bei der nicht von Anfang an klar ist, wie es weitergeht und endet. Das gilt es aber für die meisten Menschen zu lernen. Guter Sex, intime Begegnungen brauchen Zeit und Kreativität.

Nach einem langen Arbeitstag bleibt aber oft keine Zeit mehr für Sex, oder?

Die Zeit für eine erfüllte, kreative Sexualität muss man sich nehmen. Für viele Paare ist Sexualität auch deshalb so anstrengend, weil sie denken, sie müssten immer das ganze Programm abspulen. Vielleicht würde es sich, vor allem nach einem anstrengenden Arbeitstag, schön anfühlen, einfach nur nackt beieinander zu liegen. Man kann sich auch fragen: Wenn ich zumindest fünf Minuten Sinnlichkeit in meinem Tag einbauen würde – wie würden die aussehen? Zu sagen, man hat keine Zeit, weil man die Kühe versorgen oder die Wäsche waschen muss, kann eine Vermeidungsstrategie sein, weil der Sex langweilig geworden ist.

In der Landwirtschaft arbeiten Paare oft zusammen und sehen sich auch untertags viel. Wie wirkt sich das auf die Sexualität aus?

Eine blühende Sexualität braucht Zeit füreinander und gleichzeitig Abstand zueinander. Wenn ich meinen Partner, meine Partnerin den ganzen Tag in Arbeitsklamotten sehe, nehme ich den anderen häufig nicht mehr als sexuelles Wesen wahr, sondern als Arbeitstier. Besonders Frauen, aber auch Männer, wollen sich gesehen und begehrt fühlen. Ist das nicht der Fall, schwindet die Lust. Ich empfehle, mehr kleine Alltagssexualitäten zu leben. Also, dass man zum Beispiel intensive Blicke tauscht, sich einen Zungenkuss gibt oder sich intim umarmt. Man gibt dadurch seinem Partner das Gefühl, dass man ihn als sexuelles Wesen wahrnimmt.

Hat es einen Einfluss auf die Sexualität, wenn man Kinder bekommt?

Natürlich! Nach der Schwangerschaft passieren bei Frauen sehr viele Veränderungen, sowohl körperlich als auch psychisch und hormonell. Das sorgt dafür, dass Frauen gerade in der Zeit nach der Geburt weniger Lust haben, besonders wenn sie stillen. Ihr Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Nähe lagern viele Mütter zu den Kindern aus. Es ist auch wichtig, dass man den Moment nicht verpasst, aus der Mutti-Rolle wieder in die Rolle der sexuellen Frau zu schlüpfen. Sonst schnappt die Mutti- bzw. die Vati-Falle zu und man empfindet den Partner kaum noch sexuell begehrenswert.

Haben Sie für diese Situation einen Rat?

Als Paar sollte man sich fragen: Auch wenn die Lust auf sexuelle Penetration gerade nicht so vorhanden ist, welche Art von Intimität möchten wir trotzdem leben? Was würde uns als Paar alternativ Spaß machen? Viele Frauen – aber auch Männer – vermeiden aber jegliche Art von sexueller Aktion, weil sie Angst haben, dass immer das ganze Programm abgespult werden muss. Man könnte sich auch nach der Schwangerschaft leidenschaftlich mit der Zunge küssen. Viele Frauen unterlassen das, weil sie Angst haben, dass der Mann davon eine Erektion bekommt. Ganz wichtig: Sowohl Männer als auch Frauen glauben, dass eine Erektion irgendwo hin muss. Das muss sie aber nicht!

Wo entstehen Probleme, wenn ein Paar keinen Sex mehr hat?

Wenn beide Partner keinen Sex möchten, ist das völlig in Ordnung. Man muss sich auch den Kontext des Paares ansehen: Es kann sein, dass ein Partner gerade wirklich viel Arbeit, Sorgen oder gesundheitliche Probleme hat. Dann ist es normal, phasenweise weniger Sex zu haben. Das bedeutet auch nicht, dass eine Beziehung schlecht läuft. Problematisch wird es nur, wenn über einen längeren Zeitraum die Lust verloren geht. Meistens ist es so, dass ein Partner mehr Sex will als der andere. Das Problem ist dann nicht, dass der andere generell weniger Lust hat, sondern einfach nur keine Lust auf den Sex, der in der Beziehung stattfindet.

Wie geht man dann vor?

Man sollte in einen ehrlichen Austausch mit seinem Partner gehen und es nicht wegschweigen. Nicht über dieses Thema zu reden, vergiftet eine Beziehung. Man kann seinen Partner fragen: Ist es für dich okay, wie viel Sex wir haben, ist es dir zu wenig oder zu viel? Und man formuliert auch, wie man es selbst empfindet. Wenn es Unterschiede gibt, gilt es zu verhandeln. Es ist der größte Irrglaube, dass der Partner sowieso alles weiß und dass Gespräche nichts bringen.

Gespräche über dieses Thema sind für viele Menschen eine große Herausforderung! Was raten Sie hier?

Die meisten Menschen haben nicht gelernt, offen über Sexualität zu sprechen. Deshalb gehört viel Mut dazu. Hier tragen viele Menschen eine große Scham mit sich herum. Der erste Schritt wäre, sich dieser Scham bewusst zu werden. Wichtig finde ich auch, diese Scham nicht an seine Kinder weiterzugeben. Das fängt schon damit an, dass Kinder von ihren Eltern nicht die richtigen Bezeichnungen für ihre Genitalien lernen. Für Kinder sind das aber erst mal nur Körperteile ohne sexuellen Kontext.

Und was ist wichtig beim Gespräch innerhalb der Partnerschaft?

Hier sollte man langsam mit diesem Thema beginnen, sich und seinem Partner nicht zu viel zumuten und sich gezielt Zeit dafür nehmen. Ich empfehle zum Beispiel „Das indiskrete Fragebuch“, das hilft dabei, Fragen zu stellen. Wenn man über Sex redet, benutzt man eine achtsame, gewaltfreie Kommunikation. Wenn sich der Partner also öffnet, hört man interessiert zu, nimmt ihn ernst und verurteilt ihn nicht für das, was er gerade gesagt hat. Hat man Sex, kann man seinen Partner im Anschluss fragen: Was hat dir besonders gut gefallen heute? Wie hast du dich gefühlt? Und von sich selbst erzählen, was mir gefallen hat. Wenn man positiv kommuniziert, kann der andere daraus lernen und man bekommt auch selbst positives Feedback.

Wie spreche ich Dinge an, die ich mir anders wünsche, ohne meinen Partner dabei zu kränken?

Indem ich Ich-Botschaften formuliere und darin meine Gefühle ausdrücke, ohne den anderen anzuklagen. Die Frau könnte sagen: „Ich möchte gerne mal langsamen Sex ausprobieren. Schneller und harter Sex tut mir manchmal weh.“ Oder man könnte sagen: „Ich habe Lust, etwas an unserem Sex zu verändern, neue Dinge auszuprobieren. Du auch?“ Es ist wichtig, den Partner einzuladen, ob er mit auf diese Entdeckungsreise kommen will. Sexualität ist ein lebenslanger Lernprozess, eine Urkraft. Sie braucht Pflege und verändert sich über die Zeit.

Buchtipps

Guter Sex trotz Liebe

Das große Dilemma vieler Paare: Wir lieben uns, wir verstehen uns gut – aber wo ist die Erotik geblieben? Auch in einer langjährigen Partnerschaft können Begehren und Lust aktiv gestaltet werden. Aus seiner langjährigen Erfahrung als Paartherapeut gibt Ulrich Clement Anregungen, wie man den Teufelskreis der Unlust überlisten und eine neue aufregende Phase der Partnerschaft beginnen können.

  • Guter Sex trotz Liebe – Wege aus der verkehrsberuhigten Zone, Ulrich Clement, Ullstein-Verlag, 272 Seiten, 10 €, ISBN: 9783548375670

Das indiskrete Fragebuch

Über Sex wird viel geredet, noch mehr wird allerdings verschwiegen. Der Paartherapeut Ulrich Clement hat einen Fragenkatalog entwickelt, der Paare ins Gespräch bringt. Denn Sexualität ist nichts anderes als Kommunikation auf körperlicher Ebene. Nur wer redet, wird gehört. Und wer sich nicht traut, eigene Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren, kann nicht hoffen, dass der andere sie errät. Eine inspirierende Methode, Sex lebendig zu halten, ist es deshalb, neue Fragen zu stellen. Am besten solche, an die man sich noch nie herangewagt hat und die ans Eingemachte gehen. Auf jeder Seite findet sich Platz für eine schriftliche Antwort, sodass das Büchlein als „erotisches Tagebuch“ verwahrt oder an den Geliebten weitergegeben werden kann.

  • Das indiskrete Fragebuch, Ulrich Clement, Kein & Aber Verlag, 208 Seiten, 15 €, ISBN: 9783036957920

Slow Sex

Stress und Hektik prägen unser Leben – und mittlerweile auch unsere Sexualität. Die Folge: In immer mehr Partnerschaften ist Sex alles andere als erfüllend. „Slow Sex” eröffnet einen Weg für Liebende, ihre Sexualität dauerhaft spannend und intensiv, auch bis ins hohe Alter, zu erleben. Mit praktischen Übungen und Illustrationen zeigt die Autorin, wie die Partnerschaft transformiert werden kann: Entspannung statt Leistungsdruck, Kreativität statt Wiederholung, liebevolles Geben und Nehmen statt Sexgymnastik mit alleiniger Fixierung auf den Orgasmus.

  • Slow Sex – Zeit finden für die Liebe, Diana Richardson, Integral-Verlag, 240 Seiten, 43 Zeichnungen, 16,99 €, ISBN: 9783778792308
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