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INTERVIEW

„Eine vegane Welt ist völlig abwegig“

Der Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach hält es für deutlich nachhaltiger, die pflanzlichen Rohstoffe für Fleischersatzprodukte wie Erbsen oder Bohnen direkt zu essen, anstatt daraus ein hochverarbeitetes Industrieprodukt zu machen.

Herr Rubach, bei Ihnen kommen die vegane Ernährung und der „Veganjuary“ nicht so gut weg?

Ich habe gar nichts gegen den „Veganuary“, der ja besagt, dass man sich einen Monat lang vegan ernähren soll. Anfangs ging es dabei vor allem um den Gesundheitsaspekt. Inzwischen rücken aber die Umweltfolgen unserer Ernährung immer stärker in den Mittelpunkt. Damit lässt sich die Zielgruppe aus Sicht von Unternehmen, Aktivisten und digitalen Influencern offenbar noch besser mobilisieren. Dabei geht es um das gute Gewissen beim Essen. Der „Veganuary“ suggeriert: „Wenn ich noch nicht einmal diese 30 Tage ohne tierische Lebensmittel schaffe, bin ich ein schlechter Mensch“.

Zum Interview-Gast

Ernährungsexperte Dr. Malte Rubach
Der Ernährungswissenschaftler, Referent und Buchautor beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit den Themen Ernährung, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Innovation.

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Dr. Malte Rubach

Welche positiven Folgen gibt es für Gesundheit und Klima, wenn mehr pflanzlich gegessen wird?

Jedes Produkt und jeder Prozess benötigt Energie, um erzeugt zu werden. Diese Energie verursacht insgesamt mehr als 80 % der weltweiten CO2-Emissionen. Die Landwirtschaft hat daran einen Anteil von etwa 12 %. Mehr pflanzliche Lebensmittel würden diesen Anteil tatsächlich senken, da ihre Produktion weniger Energie benötigt. Man darf aber nicht nur auf die Klimawirkung des einzelnen Lebensmittels schauen. Beim Frischwasserverbrauch sieht es nämlich schon wieder anders aus.

Der WWF hat für Deutschland errechnet, dass die vegane Ernährung 50 % mehr Frischwasser verbraucht als unsere aktuellen Verzehrgewohnheiten mit verhältnismäßig viel Fleisch. Das Frischwasser würde in Ländern verbraucht, in denen Wasser ohnehin eher knapp ist. Wir importieren nämlich sehr viele pflanzliche Produkte, da wir hier gar nicht genügend Anbauflächen haben. Für die Produktion tierischer Lebensmittel reichen unsere Ressourcen hingegen – inklusive Futtermittel.Die Auswirkungen unserer Ernährung auf den Planeten dürfen nicht global betrachtet werden. Jede Region in der Welt ernährt sich anders und hat andere Bedingungen zur Erzeugung von Lebensmitteln.

Wenn gesagt wird, die Landwirtschaft sei verantwortlich für 70 % des weltweiten Frischwasserverbrauchs, dann wird manchmal das Wort „weltweit“ weggelassen. Hier in Deutschland steht genug Wasser zur Verfügung, der Anteil der Landwirtschaft am Frischwasserverbrauch beträgt laut Umweltbundesamt nur 1 %. Die Fleischproduktion fällt hier kaum ins Gewicht. Das funktioniert aber nur, wenn auch die Futtermittelerzeugung schonend mit der Ressource Wasser umgeht. Das ist so, da 94 % der Futtermittel von hier kommen.

Also kein Soja, für den der Regenwald brennt?

Doch, Sojabohnen werden natürlich importiert, rund 80 % übrigens aus den USA, da ist kein Regenwald. Und das Sojaschrot aus der Verarbeitung macht in der Futtermittelbilanz gerade einmal 1,8 % aus. Leider werden in der öffentlichen Diskussion wiederholt die gleichen Daten reproduziert, die nicht immer das gesamte Bild wiedergeben.

Sie argumentieren, dass man bei Vergleichen der Klimawirkung mit dem Nährstoffgehalt von Lebensmitteln rechnen muss?

Ja, oft werden Produkte aus unterschiedlichen Kategorien in eine Schublade geworfen. Statt Tiermilch mit Haferdrink zu vergleichen, müsste man die Bilanzen von Kuhmilch und Schafmilch oder Haferdrink und Sojadrink gegenüberstellen.

Auf den ersten Blick sind die pflanzlichen Drinks natürlich klimaschonender. Berücksichtigt man jedoch ihren Nährstoffgehalt, ergibt sich ein anderes Bild. Da müsste man schon sehr viel Haferdrink trinken, um auf denselben Nährstoffgehalt wie bei Kuhmilch zu kommen – und es würden immer noch Nährstoffe fehlen, die der pflanzliche Drink eben nicht liefert. Dann wäre die Klimawirkung von Haferdrink zehnmal so hoch wie die von Kuhmilch.

Eine nur vegane Welt wäre also weder machbar noch sinnvoll?

Erzählen Sie mal den Menschen in der Subsahara, dass sie keine Kühe, Schafe oder Ziegen mehr halten dürfen und stattdessen ihren Nährstoffbedarf mit Haferdrink decken sollen. Eine vegane Welt ist völlig abwegig, da werden Scheinrechnungen aufgemacht. Es gibt aktuell ca. 1,5 Mrd. unfreiwillige Vegetarier auf der Welt, die gerne Fleisch essen würden, wenn sie denn könnten.

Ist unsere aktuelle Ernährung denn gar nicht so schlecht, wie oft suggeriert wird?

Das ist definitiv so. Die Ernährung des durchschnittlichen Europäers verursacht einen CO2-Fußabdruck von 2,4 t im Jahr. Niedriger ist der Wert nur in Asien, weil dort pro Kopf insgesamt weniger Lebensmittel verbraucht werden. In Afrika liegt der Wert bei 2,8 t. Das beruht auf der Effizienz unseres Ernährungssystems. Auch die Emissionen durch die Tierhaltung in Deutschland sinken seit Jahren – weil es weniger Tiere gibt. Grundsätzlich stimme ich zu, dass es sinnvoll wäre, weniger Fleisch zu essen – zumal wir uns hier in Deutschland keine Gedanken um unsere Nährstoffversorgung machen müssen. Aber das heißt nicht, dass dann in Deutschland weniger Fleisch erzeugt würde, denn der Überschuss ginge in den Export. Gleichzeitig importieren wir wieder in etwa die gleiche Menge Fleisch aus anderen Ländern …

Das klingt ziemlich absurd angesichts des Klimawandels?

Ja, aber so funktioniert unsere Wirtschaft nun mal. Die Handelsströme werden wir nicht ändern, indem wir auf das Steak verzichten oder Einfuhrverbote verhängen. Deutschland kann sich nicht abschotten. Selbst wenn wir hier uns vegan ernähren würden, würde sich an den Ernährungsgewohnheiten in Asien nichts ändern. Dort haben die Leute andere Sorgen als Tierwohl.

Die „Planetary Health Diet“ („Essen für die Gesundheit unseres Planeten“) sagt auch, dass Lebensmittel möglichst regional erzeugt werden sollten. Und das wird teilweise schwierig. Ein Beispiel: Laut der „Planetary Health Diet“ sollten wir alle mehr als 27 kg Hülsenfrüchte pro Jahr und mehr als 18 kg Nüsse essen. Momentan liegt der Pro-Kopf-Verzehr in Deutschland jeweils bei 1 bis 2 kg pro Jahr. Nüsse werden zu fast 100 % importiert und verursachen in den Erzeugerländern einen hohen Wasserverbrauch. Auch diese Mengen an Hülsenfrüchten könnten wir nicht in Deutschland erzeugen. Meine Frau stammt aus Brasilien, dort isst man jeden Tag Bohnen. Da werden die Deutschen aber kaum mitmachen.

Und dann werden Bohnen und Erbsen auch noch aufwändig zu Fleischersatz verarbeitet

Ja, man zieht die wertvollen Proteine heraus und der ganze andere, ernährungsphysiologisch nützliche Rest wird zu Tierfutter. Deswegen ergeben Fleischersatzprodukte aus meiner Sicht wenig Sinn. Es ist viel nachhaltiger, die Rohstoffe direkt zu essen, als daraus ein hochverarbeitetes Industrieprodukt zu machen. Dann lieber Fleisch essen, denn Tiere fressen im Gegensatz zum Menschen die ganze Pflanze. Beim menschlichen Verzehr werden rund 80 % davon weggeworfen. Wer mit Fleischersatzprodukten aus Hülsenfrüchten das Klima retten will, sollte die Bohnen oder Erbsen so essen! Der Ökonom Hans-Werner Sinn sagt, dass eine umwelt- und tiergerechtere Landwirtschaft nur funktioniert, wenn wir ein weltweites Produktions- und Zertifikatssystem ähnlich dem CO2-Handel einführen. Nur so könnten Lebensmittel gemäß den Verhältnissen vor Ort erzeugt, verarbeitet, konsumiert und gleichzeitig ihre Umweltauswirkungen kompensiert werden.

Wie bewerten Sie Algen oder Insekten als Nährstoffquelle?

Algen sind an sich eine gute Biomasse, aber sie sind in der ganzen Kultivierung und Verarbeitung noch nicht reif für den Massenmarkt. Insekten sind sehr nützlich, vor allem als alternatives Tierfutter. Ich glaube aber nicht, dass sich Würmer, Spinnen und Heuschrecken auf dem Speiseplan der Europäer durchsetzen.

Wie sähe für Sie die ideale Ernährung aus?

Abgesehen davon, dass wir weniger und bewusster Fleisch und andere tierische Produkte essen, eigentlich gar nicht so viel anders als heute. Ich würde mir wünschen, dass wir uns alle mehr mit Ernährung auseinandersetzten. Auch eine möglichst regionale Produktion von Lebensmitteln – und das bedeutet ja häufig auch saisonal – ist für die Planetengesundheit entscheidend. Fleisch kann übrigens das ganze Jahr über in Deutschland regional produziert werden. Für Gemüse und Früchte gilt das nicht. Wenn auf dem Winter-Speiseplan nur Kohl und Steckrüben stünden, wäre ein „Veganuary“ wahrscheinlich für die meisten weit weniger attraktiv. Ideal wäre eine neue biologische Landwirtschaft: eine Kombination aus der Effizienz der konventionellen Landwirtschaft und der ökologischen. Sie sollte auch Gentechnik und bestimmte Düngemittel zulassen. Ideologische Hemmnisse verhindern das derzeit. Es gilt, den goldenen Mittelweg zwischen Artenschutz und Nahrungsmittelproduktion zu finden. Wir kommen nicht darum herum, das System neu zu denken – in Deutschland und weltweit.

Welchen Beitrag können dabei Gastronomie und Handel leisten?

Wichtig wäre für diese Sparten neben einem regionalen und saisonalen Angebot eine transparente Kommunikation dessen, was drin ist im Essen und welche Umweltauswirkungen die verwendeten Produkte tatsächlich haben.

BUCHTIPP

Von Malte Rubach ist ein Buch zum Thema Ökobilanzen erschienen. In diesem Buch liefert er uns eine Bestandsaufnahme unseres Ernährungssystems sowie von dessen Auswirkungen auf das Klima. Rubach plädiert für einen maßvollen Genuss und zeigt, was wir in Deutschland guten Gewissens noch essen können.
 

Von Malte Rubach ist ein Buch zum Thema Ökobilanzen erschienen.

Was landet zukünftig auf dem Teller? 

In der Wegweiser-Podcastfolge dreht sich das Gespräch um Trends in der Ernährung und wie wir zukünftig unser Verhalten verändern sollten. Prof. Dr. Achim Spiller stand uns im Gespräch Rede und Antwort.

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