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Ost-West-Freundschaft

Ein PIRSCH Abo zur Wiedervereinigung

Lesen verbindet: Ein zur Wiedervereinigung verschenktes Abo war nicht nur der Beginn einer Freundschaft zwischen dem Beschenkten Ottfried Roßner (l.) und Friedrich Wilhelm Wilke …

Kurz vor der Jahreswende saß Friedrich Wilhelm Wilke im Wohnzimmer und blätterte durch die PIRSCH 26/ 1989: Darin bat die Redaktion die Abonnenten, eine Patenschaft für einen Ost-Jäger oder eine -Jägergruppe zu übernehmen und ein Abo zu verschenken. Das ließ er eine Nacht sacken. Am nächsten Morgen setzte er sich an seine Schreibmaschine und tippte einen Brief. Darin wünschte er dem Beschenkten ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 1990, bat den Verlag um die Rechnung und schickte das Schreiben nach München.

Im folgenden Januar flatterte ein Brief aus Oberbodnitz in Thüringen ins Haus. Ottfried Roßner bedankte sich herzlich für das Abo und äußerte den Wunsch, sich auch persönlich kennenzulernen. Das musste man dem geselligen Wilke, der neben seiner beruflichen Tätigkeit noch 16 Jahre Ortsvorsteher von Weidenhausen bei Bad Berleburg war, nicht zweimal sagen. Eine Einladung folgte, und im Juli 1990 reiste Ottfried Roßner zusammen mit dem befreundeten Jäger Rainer Zipfel an.

Gegenseitige Besuche beginnen

Das Eis war schnell gebrochen. Natürlich wollte Wilke alles über den Jäger Ottfried Roßner wissen, der zu diesem Zeitpunkt aber noch gar keiner war. Er war vielmehr am 20. November 1989 über die Grenze nach Nürnberg gefahren und hatte dort in einem Kaufhaus in der Zeitungsabteilung in den Jagdmagazinen gestöbert. „Ich habe mir die billigste Zeitschrift gekauft, das war damals die PIRSCH. Die hatte ich auch hin und wieder schon mal von Dieter Zipfel zum Lesen bekommen“, erinnert sich Ottfried Roßner. Im Heft bewarb die Redaktion den PIRSCH-Aufkleber „Jagd ist angewandter Naturschutz“. „Genau den habe ich dann beim Verlag bestellt, und so kam Friedrich wohl an meine Adresse“, beschreibt Roßner den glücklichen Zufall, der dazu führte, dass sich ihre Wege kreuzten. „Als ich dann den ersten Brief bekam und den Vornamen las, dachte ich, dass dieser Name nur zu einem alten Forstmann passen könne“, grinst Ottfried Roßner.

Es wächst zusammen, was zusammengehört

Im Februar 1991 folgte dann der Gegenbesuch der Wilkes in Oberbodnitz. „Zuerst haben wir immer bei der Familie Roßner gewohnt“, erinnert sich Friedrich Wilke dankbar zurück. Schließlich lud der gesellige Wittgensteiner zum legendären „Stünzelfest“ nach Bad Berleburg ein. Tatsächlich machte sich eine größere Abordnung aus Thüringen auf den Weg. Man schoss in den Tagen auch gemeinsam Wurfscheiben auf dem Schießstand „Röspe“ der KJS Siegerland-Wittgenstein. Schließlich folgte die erste Jagdeinladung nach Thüringen.

Bei seinem ersten Jagdbesuch überreichte Rainer Zipfel dem „Wessi“ als Gastgeschenk eine Winter-Militärhose im „Ein-Strich-kein-Strich“-Muster der NVA. Die zog Friedrich bei der Drückjagd kurzerhand an, hängte sich seinen 98er um und verschmolz so mit den anwesenden Jägern. „Man kam einfach miteinander ins Gespräch“, erinnerte er sich zurück. Aber selbstverständlich war das in dieser Zeit nicht. „Manche Wessis haben sich hier nach der Wende nicht immer dem jagdlichen Brauchtum entsprechend verhalten, und als erste Konflikte auftraten, zogen sie sich zurück.“ Heute ist Friedrich Wilhelm Wilke noch einer der ganz wenigen Jäger aus dem Westen im Oberbodnitzer Raum, vielleicht sogar der einzige „Wessi“, der noch da ist. „Das waren doch alles gute Jäger. Mit ihrer technisch nicht so ausgefeilten Ausrüstung mussten sie viel näher ans Wild“, zieht Wilke heute noch den Jagdhut. „Und was die ganz sicher nicht brauchten, war jemand, der ihnen erzählen wollte, was jagdlich Sache ist.“

Die Freundschaft erfasst die Gemeinden

Das gute Verhältnis zwischen den Jägern dehnte sich mehr und mehr auf die Heimatgemeinden aus – so besuchten sich z.B. Abordnungen der Feuerwehren gegenseitig zu Festen. „Dabei musste nie einer ins Hotel, da wurde immer privat übernachtet“, weiß auch Rainer Zipfel aus den vergangenen drei Jahrzehnten zu berichten.

Das lag vor allem an dem Umstand, dass man neben der Jagd auch persönlich füreinander da war. Nach der Grenzöffnung hatte Wilke zum Beispiel davor gewarnt, sofort Westautos zu kaufen. „Geht die Sache verhalten an“, sprach er offen aus. Auch welche Versicherungen Pflicht sind, gab er seinen Freunden und deren Familien mit auf den Weg. Denn das gab es im Osten ja nicht.

„Oft brachte er die 290 km zwischen Weidenhausen und Oberbodnitz gar nicht wegen der Jagd hinter sich.“

Friedrich Wilke brachte später auch Jagdfreunde aus dem Altkreis Wittgenstein mit nach Oberbodnitz. Die Jagdbläserei wurde geweckt, man führte den Hubertus-Gottestdienst ein, und mitten im Dorf wurde nach der Jagd vor der Kirche Strecke gelegt und verblasen. Im Kulturhaus ging es nach den Jagden bis in die Morgenstunden hoch her. Einige der abgehaltenen Jagdgerichte sind bis heute Legende.

Dabei drehte sich jagdlich alles um das 400-Hektar-Revier mit gutem Bestand an Dam-, Schwarz- und Rehwild, das seit kurz nach der Wende in der Hand der Familie Zipfel ist. Man kannte die „Scholle“. Dieter Zipfel und sein Opa Walter sowie Revierförster Hans Kleinert waren dort maßgeblich an der Auswilderungsaktion des Damwildes im Jahr 1968/ 69 beteiligt. Im ersten Jahr wurden 20, im zweiten Jahr 25 Stück aus Mecklenburg zuerst in ein Auswilderungsgatter verbracht, später schließlich ausgewildert. Das Damwild entwickelte sich prächtig und bringt heute Geweihgewichte bis zu fünf Kilogramm.

Das jagdliche Zentrum in Oberbodnitz

Letzteres ist beim Besuch in der Jagdstube von Dieter Zipfel, der schon 62 Jahresjagdscheine gelöst hat, auch nicht zu übersehen. „Die Stube könnte was erzählen“, grinst mich der über 80-jährige Hausherr aus klaren blauen Augen an und stichelt gerne in Richtung Nachwuchs: „Junge, da musste rausgehen, der Keiler kommt nicht ans Bett!“ Dass Dieter Zipfel mehr draußen als im Bett war, verraten die Wände.

Ottfried Roßner, der dann im Jahr 2000 seinen Jagdschein gemacht hat, ging dort jagdlich immer mit, schließlich kannte man sich von der Arbeit bei der örtlichen landwirtschaftlichen Genossenschaft. Gerade dieses enge Verhältnis hilft dabei, dass „man bei Wildschäden offen reden kann und vieles auf dem kleinen Dienstweg geregelt bekommt“, sagt Rainer Zipfel.

Die Welt scheint dort nicht nur jagdlich noch in Ordnung zu sein. So ist der 71-jährige Wilke bis zum heutigen Tag regelmäßig in Oberbodnitz, wo er mittlerweile in einer kleinen gemütlichen Jagdhütte nächtigt. Ob Ende Mai zu Dieter Zipfels Geburtstag, zur Damwildbrunft im Herbst, zu einigen Drückjagden oder zur legendären Silvesterjagd. Oft brachte er die 290 Kilometer zwischen Weidenhausen und Oberbodnitz gar nicht wegen der Jagd hinter sich. „Nein, ich fühle mich hier einfach sehr wohl bei meinen Freunden“, bekennt Wilke zufrieden.

Die Weichen für die Zukunft sind gestellt

Das ist für ihn auch wie eine Reise in vergangene Zeiten. „Diese kleine Landwirtschaft mit Hühnern, Schafen, ein paar Rindern um den Hof mitten im Dorf, das gibt es schon lange nicht mehr bei uns“, trauert Friedrich Wilke den alten Zeiten nach. Er selbst hat gerade mit einem seiner beiden Söhne einen Stall gebaut, bekommt jedes Jahr einen Zuwachs von 16 Kälbern aus seiner biozertifizierten Limousinzucht. „Auch hier sind wir als Selbstversorger irgendwie seelenverwandt“, lächelt er.

So ist es irgendwie nachvollziehbar, dass es in all den Jahren nie Krach gegeben hat. Das sind beste Voraussetzungen, denn Enkel Marek Wilke hat seit 2017 den Jagdschein, und auch Dieters Enkel Stefan Zipfel geht seit vier Jahren passioniert zur Jagd. „Die Weichen für eine gemeinsame Zukunft sind gestellt“, freuen sich sowohl Friedrich Wilke als auch Rainer und Dieter Zipfel.

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