Winchester Bockdoppelflinte
Geschenkte Flinte
Waffen sind für mich in erster Linie ein Werkzeug. Das heißt, sie müssen funktionieren. Mein „bestes Stück“ ist deshalb keine Luxuswaffe, sondern das ganze Gegenteil. Manche sagen sogar, es sei die hässlichste Flinte ganz Ostfrieslands. Und vielleicht haben sie sogar Recht damit. Dennoch würde ich meine Winchester (12/70) um nichts in der Welt wieder hergeben. Das erste Mal hielt ich sie vor etwa 30 Jahren als Jungjäger in den Händen.
Ich hatte damals auf einer Jagd Engelbert kennengelernt; einen liebenswerten Gesellen, der gerne von früheren Jagden erzählte. Auf den Jagden führte er immer seine mit großflächigen Schaftverschneidungen „verzierte“ Winchester. Als ich Engelbert auf seine Waffe ansprach, funkelten seine Augen und er begann zu erzählen, wie er die gebrauchte Flinte mit seinen Händen aufgearbeitet hätte. Danach folgten unzählige Jagdgeschichten. Nie würde er sich von seiner geliebten Flinte trennen, sagte er immer wieder. Und er tat es auch nicht.
Schaft mit wilden Tierstücken
Wann immer ich Engelbert im Revier traf, hatte er sein gutes Stück dabei. Er liebte es wirklich, das alte Ding, auch wenn die Schaftverschneidungen bei näherer Betrachtung immer wieder für Kopfschütteln sorgten. Hinter der schlecht gravierten Basküle hat irgendjemand, ein Profi kann es nicht gewesen sein, Weinreben und Trauben verewigt und sich an einer Jagdszene versucht.
Der Fuchs trägt Züge eines Wolfes. Die Enten könnten auch Rebhühner sein – oder etwas anderes. Mit dem Fasan auf der Rückseite hat der unbekannte „Künstler“ jedoch den Vogel abgeschossen. Denn man fragt sich beim Betrachten des Kunstwerks, ob der abstreichende Gockel mit dem übergroßen Schnabel ursprünglich ein Kernbeißer werden sollte.
Engelbert war in den Folgejahren immer wieder bei uns zur Jagd eingeladen. Irgendwann fragte er mich, ob ich jemanden kennen würde, der Patronen im Kaliber 20/70 brauchen könnte. Weil das so war, fuhr ich zu ihm und lernte seine Frau kennen. Die lud mich, ganz nach ostfriesischer Manier, zum Teetrinken ein. Weil Engelbert in den folgenden Monaten immer größere gesundheitliche Probleme bekam, nahm er nur noch selten an Treibjagden teil.
Dennoch interessierte er sich brennend für Strecke und Jagdgeschichten. Meine Aufgabe war es fortan, ihm am Folgetag vom Jagdgeschehen zu berichten. An einem dieser Treffen stand er plötzlich aus seinem Sessel auf und ging ins Nebenzimmer. Als er zurück kam, hatte er seine Winchester in der Hand. Seine Augen glänzten. „Kiek, das soll nu dien wesen“ („Schau, dass soll nun deine sein.“), sagte er in ruhigem Ton. Seine Frau stand neben ihm und kämpfte mit den Tränen. Ich brachte kein Wort heraus, was ihm sehr zu gefallen schien. Dann bedankte ich mich.
Schlimme Nachrichten am Folgetag
Als ich nach Hause fuhr, winkten mir beide am Fenster hinterher, was sie zuvor noch nie getan hatten. Nach ein paar 100 Metern musste ich rechts ranfahren, weil ich begriffen hatte, dass sie sich soeben verabschiedet hatten. Am nächsten Tag, ich wollte mit der Flinte gerade zur Entenjagd, um Engelbert ein paar Fotos schicken zu können, klingelte das Telefon.
Engelberts Sohn meldete sich und erzählte mir, dass sein Vater nach einer schlimmen Krebsdiagnose ins Hospiz eingezogen sei. Ich ließ alles liegen und fuhr sofort zu seiner Frau, die ebenfalls sehr krank wirkte. Der Ostfriesentee stand schon auf dem Tisch. Es sollte unser Letzter sein. Wenige Tage später stand ich in der Kirche vor zwei Särgen.
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