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Finnland: 20 Jahre Kupierverzicht

Strukturierte Buchten in der Ferkelaufzucht, das richtige Klima und stets Zugang zu Raufutter sind für den Ringelschwanz wichtige Kriterien.

Auf den Punkt

  • In Finnland ist das Kupieren der Ringelschwänze schon lange verboten.
  • Expertinnen und Experten aus Deutschland haben sich das vor Ort angesehen.
  • Schweinehalter Timo Heikkilä gewährte Einblick in seine Schweinehaltung.

Timo Heikkilä aus dem idyllischen Rusko nahe Turku, rund 200 km von Helsinki entfernt, ist der größte Ferkelerzeuger Finnlands. Der Landwirt hält 3.500 Sauen und erzeugt mit ihnen jährlich über 100.000 Ferkel – das sind ungefähr 5 Prozent aller Ferkel in Finnland. „Davon verkaufen wir gut die Hälfte mit 7 kg Lebendgewicht. Für die übrigen Ferkel haben wir 5.500 Aufzuchtplätze“, sagt Timo Heikkilä. Er vermarktet alle Ferkel innerhalb fester Partnerschaften.

Zusätzlich gibt es auf dem Betrieb Platz für die Aufzucht von 1.200 Jungsauen. Aus Tiergesundheitsaspekten setzt der Landwirt auf Eigenremontierung. Grundsätzlich erfreut der Betrieb sich eines sehr hohen Gesundheitsstatus. „Das ist auch dadurch bedingt, dass es hier im Umkreis von 10 km keine weiteren schweinehaltenden Betriebe gibt“, sagt der Landwirt.

Ziel: Gleichmäßige Ferkel

In puncto Genetik ist Timo Heikkilä gerade dabei, seinen Betrieb von dänischer Genetik auf Topigs Norsvin umzustellen. „Ich erhoffe mir höhere Geburtsgewichte und gleichmäßigere Ferkel bei nicht ganz so großen Würfen.“ Aktuell setzt er im Schnitt 33 Ferkel je Sau und Jahr ab, wobei sein betriebliches Ziel für die nächsten Jahre bei 35 abgesetzten Ferkeln liegt. Die Saugferkelverluste liegen im Schnitt bei 12 Prozent, in der Ferkelaufzucht bei 2 Prozent.

Timo Heikkilä teilt sein Wissen über den Ringelschwanz mit Berufskollegen im In- und Ausland.

Interessant wird es beim Thema Ringelschwanz: Auf die Frage, wie viel Prozent der Ferkel mit intaktem Ringelschwanz an den Mäster gehen, antwortet Timo Heikkilä: „Wir erfassen das gar nicht so genau, aber es sind sicherlich über 90 Prozent.“

Tipps aus Finnland

Timo Heikkilä berichtet aus seiner 20-jährigen Erfahrung mit dem Ringelschwanz und gibt einige Tipps und Tricks im Umgang mit den unkupierten Schweinen. Auch in Finnland sei viel über das Kupierverbot diskutiert worden. Größter Kritikpunkt war dabei laut des Schweinehalters die auch in seinen Augen unfaire Wettbewerbssituation für Finnland.

Diese Benachteiligung gegenüber den anderen EU-Ländern wollten die Finnen nicht hinnehmen. Aus diesem Grund bildete sich auch die Interessengemeinschaft der finnischen Schweinehalter, deren Vorsitzender Timo Heikkilä heute ist.

Er erinnert sich noch gut an die Zeit, als der absolute Kupierverzicht in Finnland eingeführt wurde. „Es herrschte teilweise Panik. Dann haben die Schweinehalter jahrelang dagegen angekämpft. Die nächsten fünf Jahre haben wir gelernt, wie man mit dem Langschwanz umgeht, und jetzt, in den letzten fünf Jahren, haben wir positive Erfahrungen gemacht.“ In seinem eigenen Betrieb hat Timo Heikkilä vieles ausprobiert und zuletzt auch bauliche Veränderungen für den Ringelschwanz vorgenommen. Jede seiner rund 3.500 Sauen ferkelt mittlerweile in einer Bewegungsbucht ab und alle Tiere haben stets Zugang zu Raufutter.

Die Hof von Timo Heikkilä ist im Umkreis von rund 10 km der einzige mit Schweinen.

Besonders beim Stallklima, bei der Reduktion von Schadgaskonzentrationen und der Energieeffizienz hat Timo Heikkilä viel angepasst und in Innovationen investiert. Betritt man eines der Abteile, fällt zum Beispiel auf den ersten Blick ein großer Plastikschlauch entlang der Stalldecke auf. In regelmäßigen Abständen sind Löcher in den Schlauch gestanzt, durch die die Zuluft gleichmäßig in jeden Bereich des Abteils eingebracht wird.

Die mit eingeleiteten Staub- und Schmutzpartikel setzen sich nach dem Prinzip der Schwerkraft aufgrund der geringen Luftgeschwindigkeit größtenteils im Inneren des Schlauchs ab und geraten so nicht mit den Tieren im Abteil in Kontakt. Je nach Verschmutzung können die Kunststoffschläuche vergleichsweise einfach und schnell getauscht werden.

Eine weitere Besonderheit der Heikkilä-Farm ist das Management des Wirtschaftsdüngers. Um Schadgase im Stall und vor allem im Tierbereich zu reduzieren, setzt der Betrieb auf eine Güllekühlung. Die Abwärme der Gülle wird außerdem zum Heizen im Winter genutzt.

Mikroklima entscheidend

Allgemein fiel auf, dass finnische Schweineställe grundsätzlich kühler gefahren werden, als man es aus Deutschland kennt. „Bei uns wird es im Winter draußen deutlich kälter und die Heizkosten stellen in der kalten Jahreszeit einen immensen Wirtschaftsfaktor dar. Deshalb arbeiten wir in allen Produktionsstufen vermehrt mit Mikroklimazonen, statt den ganzen Stall auf höhere Temperaturen zu heizen.“

Da das Prinzip der Klimazonen so entscheidend ist, richtet sich auch die klassische Buchtenstruktur, sowohl in der Ferkelaufzucht als auch in der Mast, danach aus: Die Buchten sind stets rechteckig geschnitten, mit der kurzen Seite zum Abteilgang angeordnet und überwiegend planbefestigt. Lediglich das vordere Drittel der Bucht ist meist perforiert, da die Tiere hier den Kotbereich anlegen sollen.

Um den Kot- und Harnabsatz an dieser Stelle zu konzentrieren, arbeiten die meisten Betriebe zusätzlich mit einem Kontaktgitter zur Nachbarbucht. Im hinteren Teil befindet sich der Liegebereich – meist zusätzlich mit einer verstellbaren Abdeckung versehen, damit sich die Wärme dort konzentriert und den Schweinen eine angenehme Liegetemperatur verschafft.

Die Expertinnen aus Deutschland verschafften sich einen umfassenden Eindruck in Finnland.

Der mittlere Teil der Bucht dient als Aktivitätsbereich. Viele der Betriebe bringen hier Raufen mit Stroh oder Heu an. Charakteristisch für den Aktivitätsbereich ist jedoch vor allem der Langtrog mit einem Tier-Fressplatz-Verhältnis vom maximal 2:1. Die Futtervorlage erfolgt automatisiert und flüssig. Beides führt dazu, dass die Tiere insgesamt weniger Stress ausgesetzt sind, was sich wiederum positiv auf die Gesundheit auswirkt.

Die Gefahr für das Auftreten von Hitzestress, der für die Tiergesundheit von immenser Bedeutung ist, wird minimiert. Ebenso wird dem Konkurrenzkampf um die Ressource Futter entgegengewirkt. Die Schweine sind insgesamt ruhiger und gelassener.

Wissen teilen

Timo Heikkilä hält mittlerweile zahlreiche Vorträge zum Kupierverzicht und informiert auch in anderen EU-Ländern über Erfahrungen mit der Haltung unkupierter Schweine in Finnland. „Ich stelle mir längst nicht mehr die Frage, ob noch kupiert werden sollte.“

Auf der Versammlung der Interessengemeinschaft finnischer Schweinehalter sei die Haltung unkupierter Tiere zwar nach wie vor ein Thema, allerdings auf einer anderen Ebene: In Finnland soll ein Bonitierungsprogramm entwickelt werden, bei dem auch der intakte Ringelschwanz mit einbezogen wird. Deshalb stehen hier zukünftig die Erfassung und Definition des „intakten Schwanzes“ vermehrt im Fokus. (mh) 

Anna Farwick, Elena Frenken Sara Weyer,

Anna Farwick, ISN-Projekt GmbH

Elena Frenken, Geschäftsführerin FBF e. V.

Sara Weyer, ehemals FBF e. V.

Das Projekt Kupierverzicht und die Reise

In den meisten EU-Ländern, darunter auch Deutschland, werden trotz Kupierverbot bei dem weit überwiegen Teil der Ferkel die Schwänze nach wie vor kupiert. Die EU-Kommission macht Druck, dass sich dies ändert und hat die Länder zur Umsetzung von Aktionsplänen aufgefordert.

Anders ist dies in Finnland. Dort wurde bereits vor 20 Jahren der vollständige Kupierverzicht beschlossen und umgesetzt – ohne Ausnahmen. So blicken finnische Schweinehalter mittlerweile auf zwei Jahrzehnte Ringelschwanzerfahrung zurück. Wie gehen sie damit um? Was machen sie anders? Und können wir in Deutschland etwas aus diesen Erfahrungen lernen?

Auf Besuch in Finnland

Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Projekt „Nationales Wissensnetzwerk Kupierverzicht“. Ganz im Sinne des Wissenstransfers bei der Haltung unkupierter Schweine, dem obersten Projektziel, reisten zwei Projektmitarbeiterinnen für eine Woche nach Finnland.

Mit dabei war eine Expertengruppe mit fachlichen Schwerpunkten in den verschiedensten Bereichen der Schweinehaltung. Insgesamt wurden vier finnische Betriebe besichtigt, verglichen und natürlich kritisch hinterfragt. Gleich bei der ersten Station der Reise wurde Finnlands größter Ferkelerzeuger, Timo Heikkilä, besucht.

Andere Ausgangslage als in Deutschland

Nachdem Finnland 2002 den vollständigen Kupierverzicht beschloss, hatten die Betriebe gerade einmal sechs Wochen Zeit, um die Vorgaben umzusetzen. Wir haben uns gefragt, wie die Finnen in so kurzer Zeit geschafft haben, was in Deutschland unmöglich scheint.

In unseren Gesprächen stellte sich heraus, dass die Historie in Finnland – verglichen mit Deutschland - eine ganz andere ist. Zum Zeitpunkt des Kupierverbots wurden bereits 70 Prozent der Schweine im Land mit Langschwanz gehalten. Das Kupieren gehörte in Finnland einfach nicht zur gängigen Praxis. Somit war und ist es für die Finnen selbstverständlich, die Tiere nicht zu kupieren. Erst im Zuge der Produktionssteigerung und der damit verbundenen Effizienzerhöhung wurde das Kupieren in einigen Betrieben umgesetzt.

Auch wenn sicherlich einige Betriebe aufgrund der abrupten Umstellung aufgehört haben, hatte der vollständige und ausnahmslose Kupierverzicht nicht ansatzweise die Folgen, wie es in Deutschland der Fall gewesen wäre. Das hängt auch mit dem besonders hohen Gesundheitsstatus der finnischen Schweine zusammen, der das Auftreten von Nekrosen und Schwanzbeißen stark minimiert.

Auch in Deutschland wird kein Weg daran vorbeiführen, alle Schweine unkupiert zu halten. Um den deutschen Landwirtinnen und Landwirten den Weg zum Kupierverzicht zu erleichtern, bietet der Förderverein Bioökonomieforschung e.V. (FBF) allen Interessierten auf der Internetseite www.ringelschwanz.info umfassende Informationen rund um das Thema Langschwanzhaltung.

Wenn Sie mehr von der Reise nach Finnland erfahren wollen, schauen Sie gerne in der mehrteiligen Videoreihe mit dem Titel „20 Jahre Kupierverzicht in Finnland – eine Ringelschwanzreise“ vorbei. Diese finden Sie ebenfalls auf der Internetseite unter www.ringelschwanz.info/videos/.

Förderung des Projekts

Das Projekt „Nationales Wissensnetzwerk Kupierverzicht“ ist Teil der Modell- und Demonstrationsvorhaben (MuD) Tierschutz im Bundesprogramm Nutztierhaltung. Die Förderung erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des deutschen Bundestags. Projektträgerin ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Förderkennzeichen 2818MDT520.

   

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