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Stoffstrombilanz: Hilfe oder Fessel?

Bei seiner Vereidigung als Bundeslandwirtschaftsminister im Dezember 2021 hat Cem Özdemir erklärt, „Anwalt der Landwirte“ sein zu wollen. Nach anfänglicher Hoffnung glauben das immer weniger Landwirte, doch der Minister hat im Frühjahr 2023 eine ausgezeichnete Chance, diese Anwaltsrolle zu erfüllen und beim Thema Düngung erfolgreich zwischen Landwirtschaft und Wasserwirtschaftsverbänden zu vermitteln.

Die Gelegenheit bietet sich, weil laut Düngegesetz die Stoffstrombilanzverordnung 2023 überprüft werden soll. Bekanntlich gilt die Pflicht zur Vorlage einer entsprechenden Bilanz seit diesem Jahr für die allermeisten Betriebe. Gedacht war die Stoffstrombilanz bei ihrer Einführung als Instrument der Beratung, das Landwirte dabei unterstützen soll, ihren Dünger effizienter einzusetzen.

Jedoch geht auf vielen landwirtschaftlichen Betrieben die Angst um, dass das nicht lange so bleiben wird. Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern hat sich ausführlich mit dem Thema befasst und Ende 2021 einen Bericht vorgestellt. Zwischen den Zeilen streiten dabei zwei Sichtweisen: Die Stoffstrombilanz soll bei der einen Sichtweise weiter ein Beratungsinstrument bleiben, dass mit ambitionierten Zielen eine Weiterentwicklung der betrieblichen Effizienz ermöglicht. Bei der anderen Sichtweise würde die Stoffstrombilanz genutzt, um weitere deutliche Einschränkungen bei der Düngung zu erwirken.

Widersprechen sich die Regeln?

Besonders schwierig würde es, wenn die verschiedenen Vorgaben zur Düngung sich nach der Novellierung der Stoffstrombilanzverordnung widersprächen. So könnte es leicht passieren, dass etwa die Düngebedarfsermittlung zu Nährstoffmengen führt, die den zulässigen Saldo der Stoffstrombilanz überschreiten. Was gilt dann?

Haupttreiber der Verschärfung der Düngeregeln war immer das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland wegen Nichteinhaltung der Nitratrichtlinie. Mit der deutlichen Ausweitung der gelben und roten Gebiete vom vergangenen Jahr ist dieses Problem jedoch anscheinend vom Tisch.

Özdemir selbst sagte in einer Pressemitteilung seines Hauses vom Juli 2022, dass der „Konflikt mit Brüssel“ gelöst sei. Damit müss- te es nun also Spielraum geben, die Stoffstrombilanz als Hilfsmittel für Landwirte zu behalten und sie nicht zu einer zusätzlichen Fessel zu machen, die etwa die maximal mögliche Stickstoffgrenze von 170 kg pro Jahr und Hektar quasi durch die Hintertür absenkt.

Fairer Interessensausgleich

Dass Einzelinteressen wie etwa die kommunale Wasserwirtschaft am liebsten wollen, dass Landwirte gar keinen Stickstoff mehr ausbringen, ist aus deren Sicht verständlich. Alles, was die Wasseraufbereitung billiger macht, ist willkommen. Wenn die neue Stoffstrombilanz jedoch so weitergedreht würde, dass manche Formen landwirtschaftlicher Bewirtschaftung per se unwirtschaftlich werden, wäre das kein fairer Interessensausgleich, sondern die Durchsetzung von Maximalforderungen einer Seite.

Für einen fairen Ausgleich muss man auch auf die Stimmen von Landwirten hören. Es ist noch nicht lange her, dass die Bundesministerien für Umwelt und Landwirtschaft das Dialognetzwerk zukunftsfähige Landwirtschaft ins Leben gerufen haben. Die Gruppe wäre ein gutes Forum, um neben der obligatorischen Verbändeanhörung Empfehlungen auszusprechen. ●

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