Logo agrarheute digitalmagazin

Artikel wird geladen

Fachsprache: Klare Worte im Gespräch mit Laien finden

Auf den Punkt

  • Fachsprache dient der Verständigung innerhalb einer Berufs- oder Interessengruppe.
  • Für Laien sind Fachbegriffe oft missverständlich oder abstoßend.
  • Gegenüber Fachfremden sollte das Vokabular deshalb sorgfältig gewählt werden.

"Herr Nationalrat, ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich zwischendrin einfach nicht verstanden habe, was ich Ihnen vorlas." Mit diesen Worten schloss der Schweizer Politiker und Wirtschaftsexperte Hans-Rudolf Merz im November 2010 eine Rede vor dem Bundesrat, die in die Geschichte des Kauderwelschs einging. Thema war die Zollgesetzgebung rund ums Bündner Fleisch, die in Sätze gipfelte wie: „Ein höherer Zollschutz gegenüber der geltenden Tarifnummer 1602.5099 müsste aus heutiger Sicht in einem Dekonsolidierungsverfahren im Rahmen der WTO aufgrund der Forderungen der Hauptlieferländer durch Zollsenkungen in anderen Tarifnummern und/oder durch ein größeres Zollkontingent für Rind- und Kalbfleisch kompensiert werden.“ Nicht nur Merz selbst blieb angesichts dieser Formulierungen amüsiert, aber weitgehend ratlos zurück. Fachsprache kann sehr befremdlich sein. Nicht nur in der Schweiz.

Wer sich jetzt über Beamtendeutsch aufregen möchte, der möge sich an Begriffe wie Zuchtmaterial, Bestandsveränderung oder Herbizidformulierung erinnern. Fachausdrücke, die für landwirtschaftliche Laien inhaltlich komplett unverständlich sind, nichtsdestotrotz aber regelmäßig auch in unserer Außenkommunikation auftauchen.

Fachsprache hat ihre Gründe

Eine Fachsprache (auch Technolekt genannt) kommt nicht von ungefähr. Sie hat sich – oft über Jahrhunderte – entwickelt, um die Kommunikation innerhalb einer Berufs- oder Interessengemeinschaft zu verkürzen und zu erleichtern.

Und manchmal auch, um Fachfremde im Unklaren zu lassen. Die Medizinersprache ist so ein Fall. Patienten sollten oft gar nicht so genau verstehen, worüber Ärzte sich austauschen. In der heutigen Zeit stellt diese Sprachverklausulierung dank Arztbriefen und Internet allerdings meist nur noch eine geringe Hürde dar und sorgt eher für Vertrauensverlust als für Ehrfurcht vor dem Ärztelatein.

Nottötung

Nutztier

Schlachtreife

Veredlung

Mit diesem wachsenden Misstrauen kämpfen auch andere Technolekte – vom Behördendeutsch über die Juristensprache bis hin zum sprichwörtlichen Jägerlatein. Und so kommen selbst Begriffe, die zum Teil bereits seit der Vorindustriezeit in Gebrauch sind, immer mehr als neumodische Sprachtrickserei in Verruf.

Die Politikredakteurin der „Zeit“, Merlind Theile, befasste sich Anfang Oktober mit diesem Thema. Ihre Theorie: Die Sprache der „industriellen“ Landwirtschaft wurde entwickelt, um die wahren Geschehnisse im Stall und auf dem Feld zu verschleiern.

Vor allem das Tierhaltungsvokabular nahm die Autorin aufs Korn. Dabei lag sie bei den meisten gewählten Beispielen völlig falsch. Weder „Nutztier“ noch „Schlachtreife“, „Nottötung“ oder „Veredlung“ entstammen der modernen Landwirtschaft. Vielmehr sind diese Begriffe in einer Zeit entstanden, in der Landwirtschaft noch kein entfernt stattfindender Prozess war.

Vor wenigen Generationen noch war landwirtschaftliche Tierhaltung dem Menschen absolut vertraut. Fast überall – auch mitten in den Städten – wurden Tiere gehalten und geschlachtet. Der unterschwellige Vorwurf, Landwirte würden mit diesen Fachbegriffen, die laut Theile „beschönigen, herabsetzen, verdinglichen“, nur arbeiten, um der Gesellschaft Informationen vorzuenthalten und dem Fleischkonsumenten vorzugaukeln, für sein Steak müsse kein Tier sterben, entbehrt also jeder (auch sprach- geschichtlichen) Grundlage.

Verständlich sein

Trotzdem werfen Artikel wie der in der „Zeit“ die Frage auf, ob unser Fachvokabular noch modernen Ansprüchen genügt. Geschuldet ist das der Tatsache, dass sich das öffentliche Interesse an der Landwirtschaft gewandelt hat. Ein Flugzeugingenieur kann auch heute noch darauf vertrauen, dass die Mehrzahl der Laien um ihn herum mit wenigen vereinfachenden Erklärungen zu seinem Fachgebiet zufrieden ist und im Falle einer Expertenvokabelflut einfach gedanklich abschaltet.

In der Landwirtschaft ist das anders: Der Verbraucher will wissen, was wie und warum auf den Höfen passiert. Die Informationen dazu nimmt er von dort, wo er sie verständlich vermittelt bekommt. In vielen Fällen ist das allerdings nicht der Landwirt. Und das hat seine Gründe.

Der Osnabrücker Unternehmensberater Bernd Lührmann schreibt dazu: „Leider tragen auch wir in persönlichen Diskussionen mit Verbrauchern, Tier- und Umwelt- schützern nur selten zur Auflösung von Missverständnissen bei. So werden Wirtschafts- und Herangehensweisen nicht (laien-)verständlich erläutert. Zudem verwenden wir im Sprachgebrauch Begriffe, die eine gewisse Fachkompetenz beim Gesprächspartner voraussetzen.“ Wenn selbige nicht vorhanden ist, neigen wir dazu, zu glauben, wir müssten etwas nur möglichst genau und möglichst ausführlich erläutern, um beim Gegenüber für Verständnis zu sorgen. Aber das funktioniert selten.

Sprache dem Zuhörer anpassen

Tatsächlich müssen Informationen klar, kurz und nachvollziehbar sein, wenn sie beim fachfremden Hörer oder Leser hängen bleiben sollen. Um das zu erreichen, ist es manchmal unumgänglich, die eigene Kommunikation anzupassen. Im konkreten Fall bedeutet das: Verzicht auf einhundertprozentig korrekte Fachsprache und auf Begriffe, die beim Zuhörer für Ablehnung sorgen. Das gilt selbstredend nicht für reine Gespräche unter Berufskollegen. Doch zumindest in den sozialen Medien sind solche abgeschotteten Dialoge heute ziemlich selten. Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Landwirte untereinander reden ganz selbstverständlich von Milchviehställen. Außerhalb reiner Fachgruppen ist das Wort „Vieh“ jedoch massiv negativ belegt und wird als Beleg für die Empathielosigkeit des Bauern gegenüber seinen Tieren gedeutet. Wer also nicht gerade mit Kollegen über Bauanträge fachsimpelt, sondern seinen Betrieb nach außen repräsentieren möchte, ist gut beraten, vom Milchkuhstall zu reden, auch wenn die Unterbringung von Kälbern und Jungvieh unterm selben Dach diese Bezeichnung ein bisschen ungenau macht.

Ein ähnliches Beispiel sind Kälbertränkautomaten. Während für das Fachpublikum Automaten vor allem für eine zuverlässige Versorgung stehen, wirkt der Begriff auf viele Laien technokratisch, kalt und abstoßend. Eine Alternative wären Tränkstationen oder noch besser Milchstationen.

Kälbertränkautomat

Vieh

 Mineraldünger
Pflanzenschutzmittel

Was einmal sitzt, das sitzt

Auch Lührmann beschäftigt sich mit solchen Begrifflichkeiten. Er schreibt: „Viel zu häufig sprechen Landwirte im pflanzenbaulichen Bereich noch von Kunstdünger. Bei wörtlicher Auslegung dieses Begriffs durch fachfremde Personen kann der Eindruck entstehen, dass diese Düngemittel etwas Künstliches, Unnatürliches in die Umwelt bringen. Dieses Missverständnis auszuräumen ist oft langwierig und anstrengend. Der Begriff „Mineraldünger“ definiert die eingesetzten Betriebsmittel deutlich exakter und vermeidet Falschauslegung beim fachfremden Zuhörer.“

Tatsächlich sind Richtigstellungen nicht nur aufwendig. Man bekommt auch nur selten die Chance dazu. Begriffe, die sich einmal festgesetzt haben, sind schwer auszutauschen oder umzudeuten. Deutlich sieht man das am Ausdruck „Pestizid“. Hier- zulande steht dieser Begriff für Gift und Umweltschädigung. Kritikern einer modernen Landwirtschaft ist es gelungen, den Wortstamm Pest nicht mit der Bekämpfung einer gesundheitlichen Gefahr (-zid kommt vom lateinischen caedere für töten, ein Pestizid tötet im Wortsinn also Seuchen), sondern mit deren Auslösung zu verknüpfen. Im englischen Sprachraum ist das anders. Dort steht „pesticide“ als Überbegriff für Pflanzenschutzmittel und ist nicht negativ belegt.

Klarheit nützt beiden Seiten

Die Herausforderung in unserer modernen Kommunikation besteht also darin, sich in den Gesprächspartner hineinzuversetzen, seine Befindlichkeiten aufzuspüren und entsprechend zu reagieren. Es hilft nicht, stur zu bleiben und zu sagen: „Das haben wir immer schon so gesagt, der Verbraucher muss das lernen!“. Diese Sturheit fällt am Ende nur den Landwirten selbst auf die Füße. Zielführender ist es, Tätigkeiten, Arbeitsmittel und landwirtschaftliche Vorgänge gegenüber fachfremden Personen so zu benennen, dass sie beim Gegenüber weder negative Assoziationen noch Unverständnis hinterlassen.

Wem das übertrieben erscheint, der möge sich an sein letztes Gespräch mit einem Anwalt oder einem Facharzt erinnern. So mancher wird deren Räume schon verlassen haben mit gehörigem Unbehagen im Bauch und mit der Frage im Kopf, ob das alles nicht verständlicher auszudrücken gewesen wäre.

Mit ähnlichen Gefühlen bleiben oft auch Nichtlandwirte nach Diskussionen um Pflanzenbau und Tierhaltung zurück. Das Ergebnis sind Misstrauen und Ablehnung, die sich – wenn überhaupt – nur sehr mühsam wieder abbauen lassen. Dem rechtzeitig entgegenzusteuern liegt im Urinteresse der deutschen Landwirtschaft. ●

Digitale Ausgabe agrarheute

Schön, dass Sie in die digitale agrarheute reingelesen haben. Ihr überregionales Fachmagazin für moderne Landwirtschaft liefert Ihnen jeden Monat Informationen aus Politik, Technik und Tierhaltung und Ackerbau. So bleibt Ihnen mehr Zeit für das Wesentliche: die Landwirtschaft.

✔ Immer und überall verfügbar
✔ Artikel teilen
✔ Zusätzliche digitale Inhalte gegenüber der gedruckten Ausgabe
✔ Artikel merken und später lesen