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Dauernd in den roten Zahlen

Auf den Punkt

  • Die meisten Milchbauern können mit den derzeitigen Milchpreisen ihre Vollkosten nicht decken.
  • Wegen des enormen Kostendrucks geben immer mehr Milcherzeuger auf.
  • Die verbleibenden Betriebe werden immer größer, um sich am Markt behaupten zu können.

Bauern, die mit Milch ihr Geld verdienen müssen, haben zu kämpfen. Nicht nur in diesem Jahr. „Die Milcherzeuger stehen massiv unter Druck, denn sie müssen immer mehr produzieren, um die Effektivität zu steigern und die Kosten zu drücken“, sagt Milchbauer Henning Helms aus Jördenstorf bei Rostock. Das liegt zum einen an den im langfristigen Vergleich zu niedrigen Milchpreisen, zum anderen an den hohen und weiter steigenden Produktions- und Investitionskosten.

Folgt man bei der Kalkulation der Kosten den Berechnungen des Büros für Agrarsoziologie und Landwirtschaft (BAL), kommt man zu folgendem Schluss: Bei einer Vollkostenrechnung können nur wenige Milchbauern ihre gesamten Kosten allein durch die Erlöse aus der Milchproduktion decken. Das war über das Gros der Jahre nur für die variablen Kosten beziehungsweise ohne eine angemessene Entlohnung der Betriebsinhaber und Familienarbeitskräfte möglich.

Jeder zweite Milchbauer gab in den vergangenen 20 Jahren auf. Die Zahl der Kühe blieb fast stabil.

Viele Milchbauern leben von nicht gemachten Ersatzinvestitionen, sagt Helms deshalb. „Landwirte können sich ziemlich lange hinhungern, wenn sie nicht investieren, aber irgendwann ist es aus“, ist der Landwirt überzeugt. Ein Ausweg ist für viele Bauern die Quersubventionierung aus anderen Betriebszweigen. Doch das kann natürlich nicht die Lösung sein.

Günther Felßner, der Milchpräsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), hat noch eine andere Idee. Er sagt: „Ein Weg aus der Kostenfalle wäre, wenn man die besondere Leistung, die die Produkte nicht abbilden – sozusagen die inneren Werte – besser bezahlt. Fair Pay also. Das hilft vor allem den kleinen Betrieben, die ja eigentlich von der Gesellschaft gewünscht werden.“

Vollkosten meist über 40 Cent

Fakt ist: Der gewaltige Kostendruck hat das Höfesterben unter den Milchbauern angeheizt. Ende 2019 ist die Zahl der deutschen Milcherzeuger erstmals unter 60.000 gefallen. Das bedeutet, allein in den vergangenen fünf Jahren sind 13.000 beziehungsweise ein Fünftel der Betriebe verschwunden! Gleichzeitig hat die mittlere Betriebsgröße kontinuierlich zugenommen – in den letzten zehn Jahren von 45 auf 70 Kühe. Aber auch das ist wohl schon wieder zu klein.

Helms berichtet, er habe mit hundert Milchkühen angefangen und werde den Betrieb seinen Kindern wohl mit wenigstens 500 Kühen übergeben. „Diese Entwicklung passt nicht zu dem, was öffentlich gesagt wird“, betont er. Für ihn ist es eine Illusion zu glauben, man könne Landwirtschaft noch betreiben wie vor hundert Jahren, während man anderswo über autonomes Fahren nachdenkt.

43Cent

betragen laut der Landwirtschaftskammer Niedersachsen die Vollkosten der Milcherzeugung.

Schaut man auf Kosten und Erlöse, wird klar, warum das so ist: Nach den Berechnungen des BAL, dessen Daten aus dem Testbetriebsnetz des Bundeslandwirtschaftsministeriums kommen, lagen die Gesamtkosten der spezialisierten Milcherzeugung in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren einschließlich Lohnkosten zwischen 41 und 45 Cent/kg Milch.

Die Landwirtschaftskammern – etwa in Niedersachsen – kommen bei einer vergleichbaren Berechnung für die dort ausgewerteten Milchviehbetriebe ebenfalls auf Vollkosten von 43 Cent/kg Milch. Zu den sogenannten Direktkosten – also ohne Arbeitskosten, Abschreibung und Zinsen – kostet die Milch 30 Cent. Das sind 13 Cent weniger als die Gesamtkosten. Ähnlich sieht die Sache in der BAL-Analyse aus: Auch hier sind die Direktkosten 12 bis 14 Cent niedriger als die Vollkosten.

Kosten steigen – Preise nicht

Im Klartext heißt das: Für die allermeisten Milchbauern war es in den vergangenen zehn Jahren bestenfalls möglich, ihre Direktkosten zu decken. Ein Lohn für ihre Arbeit war nicht drin. Die Milchauszahlungspreise übersprangen in der letzten Dekade nur dreimal kurz die 40-Cent-Marke: 2008, 2014 und 2018. Im gleichen Zeitraum stürzten die Milchpreise jedoch zweimal deutlich unter 25 Cent; das war 2009 und zuletzt 2016. In diesen Tiefpreis- phasen haben besonders viele Milchbauern die Hoftore dicht gemacht.

Im Durchschnitt der letzten 13 Jahre bekamen die deutschen Milcherzeuger knapp 33 Cent/kg für ihre Milch ausgezahlt. „Das ist ein Preis, den mein Vater schon vor 50 Jahren hatte“, sagt der aus Schleswig-Holstein stammende Milchbauer Helms. Seit 1995 bewirtschaftet er im mecklenburgischen Jördenstorf einen Hof mit 450 Kühen und zehn Mitarbeitern. In keiner anderen Branche müsse man für einen Lohn wie vor 50 Jahren arbeiten, sagt er.

Größe wird zum Vorteil

Regional sind die Unterschiede zwischen Kosten und Milchpreisen ebenfalls hoch. So sind die Erzeugungskosten im Süden, etwa in Bayern und Baden-Württemberg, um einiges höher als im Norden, zum Beispiel in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein, und auch als im Osten. Der Grund: Die Betriebe im Norden und Osten sind meist deutlich größer als jene im Süden.

Der Einfluss der Baukosten

„Wer weniger als hundert Kühe hält, hat es auch mit Investitionen besonders schwer“, sagt Urban Hellmuth, Professor für landwirtschaftliches Bauen, Landtechnik und Tierhaltung an der Fachhochschule Kiel. Zum Beispiel, wenn ein neuer Stall errichtet oder das alte Gebäude saniert werden muss. Das sei aber notwendig, um den Vorschriften zur tierfreundlichen Haltung gerecht zu werden – etwa weil es bald womöglich nicht mehr erlaubt sein wird, Kühe das ganze Jahr über im Stall anzubinden.

In der Kalkulation der Milchbauern sind die Baukosten oft der größte Brocken. Fakt ist: Große Betriebe bauen deutlich günstiger, sagt Hellmuth. Die Rechnung des Wissenschaftlers ist einfach: Ein Milchbauer mit weniger als hundert Kühen muss für einen neuen Stall pro Kuh und Jahr mit Kosten von etwa 800 bis 1.400 Euro rechnen, Abschreibungen und Zinsen inklusive. Allein um das zu finanzieren, müsste jeder Liter Milch mindestens 40 Cent einbringen. Betriebe mit mehr als hundert Kühen, sagt Hellmuth, zahlen für den Stallplatz weniger als die Hälfte. Sie können also eher kostendeckend wirtschaften.

Milchpreise im Süden höher

Einen Vorteil für die kleineren Betriebe im Süden gibt es aber: Dort sind die Milchauszahlungspreise oft um einiges höher als in Norddeutschland, denn die Milch wird in der Regel völlig anders verwertet. Während die Molkereien im Norden eher sogenannte Bulkprodukte für den Weltmarkt und für die Hausmarken des Lebensmitteleinzelhandels herstellen, sind es im Süden häufig höherveredelte, teurere Markenprodukte.

Ein Weg aus der Kostenfalle wäre, wenn man sozu-sagen die inneren Werte der Produkte besser bezahlt. Fair Pay also.

Günther Felßner, Milchpräsident BBV

Die höheren Kosten lassen den Bauern im Süden von den besseren Preisen jedoch nicht viel übrig. Die BAL-Analyse weist etwa für die bayerischen Bauern im Jahr 2017 Gesamtkosten von 43,4 Cent/kg aus. In Niedersachsen kostete die Milch dagegen „nur“ 38,6 Cent und in Mecklenburg-Vorpommern brauchten die Milchbauern 39,2 Cent, um ihren Aufwand zu decken. Doch auch diese niedrigeren Kosten werden nicht bezahlt. Zuletzt kamen noch die Corona-Krise und die Schließung der Gastronomie hinzu. Dadurch sind die Milcherzeugerpreise in Deutschland zeitweise massiv unter Druck geraten. Mittlerweile haben sie sich jedoch wieder gefangen. Von 35 Cent/kg Anfang 2020 und weniger als 32 Cent zur Mitte des Jahres ging es wieder auf 33 Cent/kg nach oben. Für die Mehrheit der Milchbauern sind das aber keine kostendeckenden Erlöse. Und für die nächsten Wochen sieht es am Markt eher nach einer Seitwärtsbewegung aus. Der Grund: Der anhaltende Lockdown würgt den wichtigen Absatz in die Gastronomie weiter ab.

Viele Bauern ohne Illusionen

„Ich mache mir keine Illusionen“, sagt Milchbauer Frank Neczkiewicz aus Drößig in Brandenburg. „Wir sind keinen Schritt weiter als früher. Die Politik bestimmt, was wir zu welchen Bedingungen produzieren sollen, und das zum Nulltarif.“

Das Thünen-Institut geht in seiner aktuellen Baseline-Projektion davon aus, dass die Milchpreise in Deutschland bis 2030 auf etwa 37 Cent/kg steigen. Auch dieser Preis deckt die Kosten der Milchbauern nicht – zumal diese steil nach oben gehen. Doch die Richtung der Preise stimmt erstmal.

Der Grund für den vom Thünen-Institut erwarteten Preisanstieg ist einfach: Der Weltmarkt – vor allem China – kauft und verbraucht immer mehr Milch und Milchprodukte. Zwar wird künftig auch weltweit mehr Milch erzeugt, doch der globale Verbrauch wächst noch schneller. Ein Treiber für den Nachfrageboom ist die zunehmende Weltbevölkerung. Hinzu kommt: Wohlstand und Kaufkraft steigen ebenfalls weiter – vor allem in Asien.

Das Problem mit dem Weltmarkt ist aber: Die Preise werden weiter sehr stark schwanken. Das sorgt auch in Europa und Deutschland für heftige Preisausschläge für den Rohstoff Milch, wie man sie sonst nur vom Getreidemarkt kennt. „Es gibt statistische Analysen, die zeigen, dass der durchschnittliche deutsche Milchpreis zu mehr als 80 Prozent von den Schwankungen des Weltmarktpreises beeinflusst wird“, sagt der Agrarökonom Holger Thiele, Direktor des Instituts für Ernährungswirtschaft in Kiel.

Damit bleiben Abhängigkeit und Un- sicherheit groß. Wissenschaftler des Thünen-Instituts erwarten, dass auch die Weltmarktpreise in den nächsten zehn Jahren steigen. Am Ende sind die globalen Preise aber etwas niedriger als in Deutschland. Der Grund für diese Differenz: Einige große Erzeugerländer und Exporteure – wie Neuseeland und Australien – produzieren ihre Milch billiger als die deutschen Bauern.

Das drückt natürlich über die Exportpreise auch auf den globalen Rohmilchwert. Er wird für 2030 bei 36 Cent/kg erwartet und damit 1 Cent unter dem für die Europäer erwarteten Preis. Für die deutschen Bauern würde dies aber nicht zur Deckung der Kosten reichen. Der Milchbauer und hessische Landesbauernpräsident Karsten Schmal glaubt deshalb: „Viele Betriebe mit 80 oder hundert Milchkühen, von denen wir bisher gedacht haben, dass sie eine Zukunft haben, gehen diesen Weg wohl nicht mehr mit.“ ●

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