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Interview

„Ein Vater hat andere Interessen als ein Chef“

Mediatorin Viola Sander hilft Familien, ihre Wünsche und Ziele rund um die Hofübergabe miteinander zu klären

 

Was sind die Knackpunkte bei einer Übergabe?

Zwei Dinge werden sehr oft unterschätzt: erstens, wie komplex der gesamte Vorgang ist, und zweitens, wie viel geredet werden muss. Sich zusammensetzen und reden muss man ungefähr fünfmal so viel, wie die meisten schätzen! Da reichen nicht die üblichen Gespräche am Mittagstisch.

Wo sehen Sie die wichtigste Herausforderung?

Es wird viel zu wenig auf die persönlichen Bedürfnisse geschaut. Alle schauen immer zuerst auf den Betrieb und zu wenig auf die Personen. Die Übergeber haben teils Jahrzehnte lang ihre eigenen Bedürfnisse hinten angestellt, der Betrieb ging immer vor, und auf einmal sollen sie sagen, wo ihre Bedürfnisse sind. Das überfordert viele. Aber die Betriebe sind für die Menschen da und nicht umgekehrt.

Viola Sander

Die gelernte Weinbauerin und Oenologin arbeitet als gesetzlich zertifizierte Mediatorin. Sie wohnt in Baden-Baden und berät Familien deutschlandweit rund um die Hofübergabe.

E-Mail: kontakt@viola-sander.de

Wo kommt es häufig zu Konflikten?

Die Spannbreite der Konflikte ist riesig. Oft denkt man, es liegt daran, dass der Senior die Verantwortung nicht abgeben will, aber dahinter stecken unterschiedliche Motive. Vielleicht sitzen die eigenen Eltern dem Übergeber noch im Nacken – unabhängig davon, ob sie noch leben oder nicht – oder er hat Angst vor den Herausforderungen, vor denen der Betrieb zukünftig steht. Die Jüngeren gehen unbedarfter heran und probieren aus, die Älteren haben oft Bedenken. Man muss herausfinden, welche Ängste und Sorgen dahinterstecken.
Ein Klassiker ist, wenn die Übergeber nicht abgeben wollen, der Junior dagegen will unbedingt sofort loslegen und dann noch höher, schneller, weiter. Es gibt aber auch das Gegenteil – die Übergebenden wollen am liebsten sofort die Schaufel wegschmeißen und die Übernehmenden sind noch völlig überfordert, auf einmal eigene Ideen für die Zukunft zu entwickeln.

Wieso ist es so schwer, zu sagen, was einem wichtig ist?

Es werden ja letztlich zwei Dinge übergeben: Da ist das Kapital, also der Hof an sich, und dann geht es noch darum, die Betriebsführung auf neue Füße zu stellen. Die Betriebsführung ist mehr ein betriebliches Thema, das andere hat viel mit Familie zu tun. Als Vater habe ich andere Interessen, als wenn ich Chef bin, als Sohn andere, als wenn ich zukünftiger Betriebsleiter bin – das ist ein Zielkonflikt.

Gibt es typische Fallen?

Die Vorstellung, dass es eine Standardlösung gibt. Jeder muss individuell planen, wohin er mit dem Betrieb will. Und mit seinem Leben. Aber natürlich gibt es typische Konflikte. Ein Beispiel ist das Thema Bauen und Wohnraum. Wer soll wo wohnen, gibt es schon einen Partner oder eine Partnerin, wie will das junge Paar sich abgrenzen. Aber auch, wie zukünftig die Rollen im Betrieb verteilt sind. Wer wird Chef, wer arbeitet noch mit…

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um die Hofübergabe zu beginnen?

Immer. Ständig. Eine Hofübergabe vollzieht sich nicht in einem Jahr, sondern fängt bei der Frage an, wie führe ich meinen Betrieb. Wenn ich den nicht zukunftsfähig halte, ist das eine schlechte Voraussetzung für eine Übergabe. Gleiches gilt, wenn ich mein eigenes Leben als Landwirt so gestalte, dass es abschreckend auf die Kinder wirkt und sie gar keine Lust auf den Beruf haben. Dann habe ich schon den ersten Fehler gemacht bei der Hofübergabe.

Bei einer Hofübergabe stehen drei Dinge im Mittelpunkt: der Hof, die Betriebsführung und die Familie.

Viola Sander

Ab welchem Zeitpunkt kann ich als Junior denn mitreden?

Wenn ich weiß, dass ich diesen Betrieb mal übernehmen möchte, sollte ich das möglichst früh ansprechen – auch gern mit Anfang 20. Es ist natürlich schwierig, dem Vater gegenüber anzusprechen, was man nicht gut findet. Das lässt sich lösen, wenn man seine eigenen Sorgen formuliert, anstatt Vorwürfe zu machen, was einem nicht passt: „Ich sehe meine Zukunft in diesem Betrieb und mache mir Sorgen, dass er auf diese Weise nicht richtig aufgestellt ist“ oder so.

Gibt es bestimmte Erfolgsfaktoren?

Das Ganze als einen ganzheitlichen, langfristigen Prozess betrachten. Viel und offen sprechen. Die eigenen Bedürfnisse erforschen und transparent machen. Wirklich alle einbinden, die es angeht. Sich klar machen, was die Übergabe für die Familie, den Betrieb und das Kapital bedeutet und diese drei Dinge auch getrennt betrachten. Am Kapital sind ja zum Beispiel nicht nur Übergeber und Übernehmer, sondern auch weichende Erben interessiert.

Wo sehen Sie deren Rolle?

Die haben eine ganz wichtige Rolle, die manchmal unterschätzt wird. Die anderen Erben wollen meist wissen, wie viel der Betrieb wert ist. Aber vielleicht liegt der Marktwert bei 1 Mio. Euro und der Ertragswert nur bei 30.000 Euro. Und dann? Plakativ gesagt: Es gibt Übergaben mit einem Bauplatz – die sind unkompliziert – und dann gibt es Übergaben ohne Bauplatz, da wird’s kompliziert. Es hängt davon ab, wie und ob ich einen finanziellen Ausgleich schaffen kann.

Geht es bei den weichenden Erben denn nur um Geld?

Nein, vielen ist es nicht nur etwas wert, was sie an Geld bekommen. Viele haben auch einen ganz klaren Wunsch: nämlich dass der Betrieb der Eltern gut und ordentlich geführt wird. Dass sie da willkommen sind, dass jemand sich kümmert, dass der Hof pfleglich behandelt wird, dass der Hof nach außen hin für die Familie steht. Das ist vielen wichtiger als Geld.

Ein Landwirt sagte mal zu mir: Man muss eine Betriebsübergabe genauso gut planen wie eine Neuinvestition in einen Stall. Sehen Sie das auch so?

Ich stimme zu, dass eine Hofübergabe ebenfalls eine sehr sorgfältige Planung erfordert und dass man genau hinschauen muss, welche Folgen sie hat, auch finanziell. Allerdings ist ein Stallbau selten mit so vielen Emotionen verbunden wie eine Hofübergabe.

Gibt es einen Punkt, wo es nicht mehr weitergeht? Wo man die Übergabe abbrechen muss?

Ja. Manchmal will keines von den Kindern übernehmen. Erzwingen kann man das nicht. Gerade deshalb ist es so wichtig, frühzeitig über die individuellen Bedürfnisse zu sprechen. Nicht dass mitten im Prozess der Hofübergabe herauskommt, dass der Nachfolger den Betrieb eigentlich gar nicht weiterführen möchte, oder dass es kein zukunftsfähiges Konzept gibt. Manchmal zerstreitet sich die Familie auch, obwohl es einen zukunftsfähigen Betrieb und ein gutes Konzept gibt. Das ist dann das größte Drama.

Wann kommen die Betriebe zu Ihnen?

Meistens zu spät (lacht). Als Frau vom Fach sehe ich zwar, wo es steuerlich hakt, wo eine Flächenausstattung knapp wird oder wo die Milchviehhaltung keine Zukunft mehr hat. Als Mediatorin bin ich aber da, um einen Dialog auf Augenhöhe möglich zu machen, meist im Konflikt, idealerweise aber schon vorher. Oft rege ich die Leute an, über kreative Lösungen nachzudenken. Manchmal bin ich einfach Übersetzerin zwischen den Parteien.

Als Übersetzerin?

Ja, um zu übersetzen, was Menschen meinen, wenn sie etwas sagen. Zum Beispiel wenn der Vater sagt: Du hast ja die letzten 15 Jahre nur deine Beine unter unseren Tisch gestreckt und nichts gemacht, wie soll denn das laufen, das schaffst du doch gar nicht – dann sage ich: Das heißt, Sie machen sich Sorgen um den Betrieb und Ihnen ist wichtig, dass der Betrieb in verantwortungsvolle Hände übergeht. Das klingt direkt viel netter und vor allem wird darüber klarer, was die Parteien am Tisch wollen. So kann man nach und nach aus den gegenseitigen Vorwürfen aussteigen und beginnen, daran zu arbeiten, was beide brauchen.

Gibt es einen Idealplan, wie eine Hofübergabe ablaufen sollte?

Bei Google findet man einen Haufen Checklisten und Tabellen. Die sind sicher hilfreich für diesen ein, zwei Jahre, in denen die konkrete Übergabe läuft. Aber wie man sinnvoll miteinander redet und wie der rechtliche Rahmen aussieht, dafür gibt es keine Liste. Auch nicht für die Frage, wie gestalten wir unseren neuen Alltag miteinander. Das muss jeder Betrieb individuell regeln.

Ihr Tipp?

Als Landwirt hat man hat ohnehin ein unglaublich breites Tätigkeitsfeld und dann kommt noch eine so komplexe Hofübergabe
– das ist schon eine enorme Leistung. Es gibt heutzutage so viele Möglichkeiten, die Betriebe zu strukturieren und an die persönlichen Bedürfnisse anzupassen. Man muss sie nur finden und das braucht – neben einer guten Steuer- und Rechtsberatung – vor allem eines: Zeit.

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