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Der Weg aus der Schuldenfalle

Hilfe von außen kann überschuldeten Landwirten helfen.

Der erste Blick auf den Kontostand war für Sandra Maier (alle Namen im Beitrag von der Redaktion geändert) ein Schock. „Ich habe nur gedacht: Ist das wirklich das Girokonto?“, erinnert sich die Landwirtin. Nach und nach stellte sich heraus, dass nicht nur das Girokonto mit 200.000 Euro im Minus war. Weitere Verbindlichkeiten in Höhe von 1,2 Mio. Euro belasteten den Betrieb in der Nähe von Augsburg. Auf dem Schreibtisch lagen auch noch unbezahlte Rechnungen für Saatgut aus dem Frühjahr, als Sandra Maier im August 2017 auf den Betrieb ihres Partners zog und das Agrarbüro übernahm.

Auf den Punkt

  • Familie Maier hat es mit ihrem Hof aus der Überschuldung geschafft.
  • Dazu musste der Betrieb Land verkaufen und sich neu aufstellen.
  • Hilfe von außen kann überschuldeten Landwirten helfen.

Ursprünglich stammt Sandra Maier nicht aus der Landwirtschaft, sie ist gelernte Metzgereifachverkäuferin. Nach dem Umzug stieg sie komplett in den Betrieb mit ein. Erst kurz zuvor hatte ihr Partner den Betriebszweig Milch mit 80 Kühen aufgegeben und sich in Richtung Bullenmast orientiert. „Die Milchleistung war schlecht, Fütterung und Kälber liefen nicht gut. Für Investitionen war kein Geld mehr da“, erzählt Maier. „Die Milchwirtschaft war vermutlich der Hauptgrund für die Probleme. Aber da kam auch eins zum anderen. Im Büro herrschte ebenfalls eine Misswirtschaft.“

Kontaktabbruch mit der Bank

Viele solcher Geschichten kennt auch Lena Ahrens. Die gelernte Landwirtin betreut die Agrarkunden einer größeren Bank im Norden Deutschlands. Auch mit Überschuldungen hat sie immer wieder zu tun. Oft sind die Gespräche mit den Kunden besonders emotional und für beide Seiten belastend.

„Gestandene Männer brechen weinend am Telefon zusammen. Andere Landwirte schreien los, reagieren ihren Frust am Banker ab. Das passiert nicht immer, aber es kann vorkommen“, berichtet sie.

Einige Landwirte brechen den Kontakt zur Bank sogar komplett ab und versuchen, die Situation zu ignorieren. „Sie öffnen ihre Post nicht mehr und gehen nicht ans Telefon“, sagt sie. Die ersten Zeichen treten häufig schon früh auf: Beim ersten Minus auf dem Kontostand sucht die Bank den Kontakt zum Kunden, fragt nach, wann das Minus wieder ausgeglichen wird. Je häufiger diese Probleme auftreten, desto mehr schotten sich die Kunden ab. Schlimm werde es, sagt Ahrens, wenn Kredite nötig sind, um die laufenden Kosten zu decken.

Betroffene nicht sichtbar

Nicht alle Kunden reagieren verständnisvoll, wenn die Bank keinen Kredit mehr vergibt. Wenn die Bank den Geldhahn zudreht, lassen viele Landwirte erst mal beim Landhandel anschreiben. „Man kann die Augen lange vor der Situation verschließen“, sagt Ahrens. „Erst wenn Landhandel und Bank kein Geld mehr geben, ist Schluss.“

„Es gibt mehr solcher Betriebe, als man denkt“, sagt Ahrens. „Nach außen hin sieht alles so gut aus, dass niemand erwarten würde, wie knapp das Geld ist.“ Seit ein paar Jahren merken die Bankberater, dass die finanzielle Situation besonders auf den Milchviehbetrieben schwieriger geworden ist. Im Moment stecken besonders viele Schweinehalter in der Klemme. Je höher die Verschuldung, desto eher geben sie auf.

Es tut gut, dass wir heute die Pacht und Rechnungen zahlen können, ohne dass das Geld alle ist.

Sandra Maier, Landwirtin

Nach Ahrens’ Erfahrung sind die Tierhalter nicht nur durch hohe Investitionen in Ställe gebunden, auch die emotionale Bindung sei oftmals höher als bei reinen Ackerbauern. Neben fehlender Wirtschaftlichkeit bereiten oft hohe Zahlungen an die Altenteiler Probleme. Dann ist innerfamiliär einiges an Fingerspitzengefühl nötig, um die Situation zu klären. Die Kundenbetreuerin rät Betroffenen, sich bei ersten Warnzeichen nicht abzuschotten, sondern Hilfe von außen zu suchen. „Es hilft, wenn jemand mit neutralem Blick beim Gespräch dabei ist und ‚übersetzt‘.“ Das könne ein Berater sein, bei innerfamiliären Konflikten könne aber auch ein Mediator helfen.

Ahrens empfiehlt außerdem, in gutem und regelmäßigem Kontakt mit der Bank zu bleiben. „Sonst kann die Bank nur reagieren und nicht helfen.“ Dazu müsse aber auch die Chemie zwischen Kundenberater und Landwirt stimmen. Gehe es gar nicht, sei ein Wechsel manchmal besser.

Schon 2017 war ein Berater auf dem Betrieb der Maiers, um den Betrieb zu unterstützen. Auch mit der Bank und dem Steuerberater bestand enger Kontakt. Aber so richtig kam man aus der verfahrenen Situation zunächst nicht heraus. „Es wurde viel davon geredet, den Betrieb zu bewerten, eventuell den Mähdrescher zu verkaufen. Es war ja nichts mehr da“, berichtet Maier.

Ein Landverkauf als erster Schritt könne häufig helfen, um kurzfristig wieder genügend Liquidität zu bekommen, sagt Lena Ahrens. Aber danach müsse die Wirtschaftlichkeit des Betriebes und der Betriebszweige in den Blick rücken.

„Bei zu hohen Kosten und niedrigen Erlösen muss sich etwas ändern. Sonst kommt man einfach nicht aus der Situation heraus“, sagt die Bankerin.

Raus aus der Krise

Jeder Fall verläuft anders. Aber ob es die Betriebe letztendlich aus der Klemme schaffen, hängt neben der Höhe der Schulden auch vom Typ des Betriebsleiters und von seinem Umfeld ab. „Schulden an sich sind nichts Schlimmes“, sagt Ahrens. „Sie werden erst zum Problem, wenn sie nicht bedient werden können.“

Den Maiers verschaffte schließlich der Verkauf von Grünland etwas Luft. Die 70.000 € brachten die nötige Liquidität, um offene Rechnungen zu begleichen und den Betrieb aufrechtzuerhalten. Ein Bankwechsel half beim Umschulden, sodass Kredite günstiger zu bedienen waren. Und dann verbesserte sich die Situation ganz allmählich.

Die folgenden Jahre waren nicht einfach. Aber Schritt für Schritt befreiten sie die Familie aus der verzwickten Lage. Zunächst blieb kaum etwas übrig. Alle Einnahmen gingen in die Tilgung der Schulden und flossen zum Teil in aufgeschobene Investitionen, etwa einen Traktor.

Etwa anderthalb Jahre lief die Bullenmast holprig. Als Quereinsteigerin musste Maier sich erst in den Betriebszweig einarbeiten. Noch dazu dauert es in der Bullenmast 18 Monate, bis Geld auf das Konto kommt. Heute hält die Familie 300 Mastbullen, die schwarze Zahlen schreiben. Dazu kommen noch 50 Pensionspferde, eine Biogasanlage und 200 ha Ackerland.

„Es tut gut, dass wir heute die Pacht und Rechnungen zahlen können, ohne dass das Geld alle ist“, sagt sie. Auch Investitionen, etwa in einen Traktor oder ein neues Fahrsilo, wären vor vier oder fünf Jahren nicht möglich gewesen.

Kein Patetntrezept für alle

Ein Patentrezept für den Weg aus der Krise gab es für Sandra Maier nicht. „Man muss aber offen für Veränderung sein und bereit, etwas zu opfern“, sagt die Landwirtin. Heute spricht sie selbstbewusst über die vergangenen Jahre. Mittlerweile läuft der Betrieb wieder; das Konto ist im Plus. Die Maiers haben immer noch Schulden, aber die werden stetig abgebaut. Über das Wirtschaftsjahr 2019/2020 sagte der Steuerberater staunend: „Das gibt’s nicht, das läuft ja.“

So ganz erklären kann Sandra Maier das bis heute nicht. „Eigentlich haben wir gar nicht so viel verändert“, sagt sie. „Der Landverkauf, der hat uns schlussendlich wahrscheinlich den Arsch gerettet, aber danach lief es irgendwie. Vermutlich wurden einfach Schwerpunkte falsch gesetzt.“

Über den Berater kam Maier auch mit anderen Betriebsleitern mit ähnlichen Problemen in Kontakt. Die haben es bis heute aber noch nicht aus den Schulden geschafft. ●

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