Bauernmarkt im Netz
Eine Lagerhalle in einem Bielefelder Gewerbegebiet – um die Ecke surrt ein elektrisch betriebener Lieferwagen. Auf seiner Ladefläche stapeln sich Lebensmittelpakete mit allerlei Gemüse, Obst, Milch, Eiern, Käse und anderen Leckereien bereit für die Auslieferung.
Der Streetscooter-Lieferwagen gehört zur Transportflotte der Onlineplattform Wochenmarkt24.de. Dahinter steckt kein klassischer Onlinehändler, sondern ein Erzeugerverband. Im Jahr 2018 haben sich Bauern, Restaurantbetreiber und kleine Verarbeiter aus Ostwestfalen zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen und Wochenmarkt24 ins Leben gerufen.
Die Idee ist denkbar einfach: Produkte bündeln und dem Kunden direkt vor die Haustüre liefern, CO2-neutral mit E-Autos. Bestellt wird online auf wochenmarkt24.de.
Auf den Punkt
- 2018 gründete eine Gruppe von Bauern und Verarbeitern die Genossenschaft Wochenmarkt24.
- Auf wochenmarkt24.de können Verbraucher Lebensmittel direkt vom Erzeuger liefern lassen.
- Auch Erzeuger mit kleinen Mengen können so direkt vermarkten.
Ein Logistikunternehmen holt die Waren auf den Höfen ab und bringt sie in die Logistikhalle. Dort stellen Mitarbeiter die Warenpakete für die Kundschaft zusammen. Wer werktags bis 18 und samstags bis 14 Uhr online bestellt hat, bekommt seine gefüllte Thermobox noch in der folgenden Nacht vor die Tür gestellt. Täglich außer sonntags liefert Wochenmarkt24 in Bielefeld und Umgebung an rund 800 Haushalte Lebensmittelpakete im Wert von durchschnittlich 40 Euro. „Der Laden brummt“, so Eike-Claudius Kramer, geschäftsführendes Vorstandsmitglied von Wochenmarkt24. Seit Beginn der Corona-Pandemie mehr denn je.
Bessere Preise
Einer der Lieferanten ist Stephan Graute. Mit einem ausrangierten Golf-Caddy bringt er seinen Walliser Schwarznasenschafen Wasser und Futter auf die Weide. Er züchtet alte Schaf- und Schweinerassen. Für das Fleisch seiner Tiere findet er im Handel aber keine Abnehmer. Die Mengen sind zu gering und das Fleisch entspricht nicht den Normen. Außerdem wachsen seine Tiere langsamer. Das macht das Fleisch teurer.
Mit Herzblut „von der Geburt bis dass ihr Weg bei uns vorbei ist“ begleite er sie. „Wenn wir Fleisch essen wollen, müssen wir uns auch damit auseinandersetzen, dass alles einen Anfang hat und auch ein Ende.“ Graute bringt seine Tiere selbst zum Schlachter in der Nähe. Mithilfe von Wochenmarkt24 kann er jetzt sein Fleisch direkt und für einen fairen Preis vermarkten. Wochenmarkt24 ermöglicht auch kleinen Höfen ein Auskommen. Durch die Onlinevermarktung finden auch kleine Mengen und ausgefallene Lebensmittel Abnehmer.
Der 36-jährige Milchbauer Dennis Strothlüke aus Bielefeld hätte ohne seine Direktvermarktung „wahrscheinlich schon längst die Türen für immer abgeschlossen“. Umgerechnet etwa 60 Cent bringt ihm ein Liter Milch, den er über Wochenmarkt24 verkauft. Die Molkerei zahlt weniger als die Hälfte: 29,7 Cent. Eine „traurige, jämmerliche Verarschung am Erzeuger“ nennt der gelernte Elektriker und Landwirt diesen Preis.
Dafür hat er aber auch eine Menge mehr an Kosten und Arbeit: Milch pasteurisieren, abfüllen, etikettieren und so weiter. Aus einem reinen Familienbetrieb wurde ein Unternehmen mit zusätzlich drei Festangestellten und zwei 450-Euro-Kräften. „Und die ganze Familie buckelt dann auch noch zur Not mit.“
Hinzu kommen Kosten für die eigene Molkerei, die Pasteurisierung, Abfüllung, Flaschen, Deckel, Etiketten und mehr. „Und wir tragen das Risiko“, ergänzt Strothlüke. Auch wenn ihm angesichts der Kosten und des Risikos manchmal schummerig werde, sagt er heute: „Das war der richtige Schritt für uns.“
80 Prozent geht an den Erzeuger
Die erste Lieferung ging Ende Oktober 2018 raus. Wochenmarkt24 startete anfangs mit elf Höfen. Eine sechsstellige Investition von Robert Tönnies, dem Neffen des Großschlachters Clemens Tönnies im nahen Rheda-Wiedenbrück, machte es möglich.
Mittlerweile zählt die Genossenschaft 145 Mitglieder. 500 Euro ist die Mindesteinlage für einen Genossenschaftsanteil. Dabei hat jedes Mitglied eine Stimme, unabhängig von der Höhe der Einlage. Die Verteilung der Erlöse an die beteiligten Lieferanten übernimmt Wochenmarkt24. 20 Prozent des Umsatzes müssen die Lieferanten an Wochenmarkt24 abführen – für die Logistik, die Technik und die Verwaltung.
Einkaufen auf Wochenmarkt24.de
Der virtuelle Hofladen bietet seine Lieferdienste bisher in den Regionen Ostwestfalen, Osnabrück, Lörrach-Basel und München-Nordost an. Demnächst startet das Angebot auch in den Regionen um Hannover, Mönchengladbach und Dorsten. Mehr erfahren Sie unter: www.wochenmarkt24.de
Wochenmarkt24 fasst die verschiedenen Nischenangebote einzelner Erzeuger auf einer Internetseite zusammen. So bekommen die Kunden viele unterschiedliche Produkte zahlreicher Anbieter mit nur einer Lieferung, die sie online komplett bezahlen. Im Onlineshop zahlen die Kunden in etwa genau so viel wie im Laden – inklusive Lieferung frei Haus. Der Mindestbestellwert liegt bei 20 Euro. Für die Bauern lohnt es sich ab etwa 10 bis 20 Bestellungen am Tag.
Vermarktet wird nur in der jeweiligen Region. So bleiben die Transportwege kurz. Die Landwirte produzieren, was die Kunden bestellt haben. So entstehen deutlich weniger Lebensmittelabfälle. „Der Tierhalter schlachtet die Kuh erst, wenn alle Teile verkauft sind“, erklärt Marketingexpertin Heike Zeller, die an der Fachhochschule Weihenstephan zu landwirtschaftlicher Direktvermarktung forscht.
Für Heike Zeller trifft die Direktvermarktungsplattform den Nerv der Zeit. Immer mehr Verbraucher wollen wissen, wie ihre Lebensmittel hergestellt werden und woher sie kommen. Regional sei den meisten noch wichtiger als Bio.
Nicht zu unterschätzen sei auch der psychologische Effekt: Die meisten Direktvermarkter bieten Hofführungen an. „Die Landwirte erfahren, was die Konsumenten wünschen und umgekehrt.“ Für die Städter werde Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion auf den Höfen „direkt erlebbar“. So verstünden die Menschen die Zusammenhänge besser.
Eike-Claudius Kramer, der geschäftsführend im Vorstand der Genossenschaft sitzt, ist selbst auf einem Bauernhof mit Direktvermarktung aufgewachsen. Er ist der Meinung, dass Berufstätige heute kaum noch die Zeit haben, auf einem Bauernhof einzukaufen. Daher glaubt er fest an die Idee des virtuellen Hofladens: „Im Internet geht es schneller und einfacher.“ (kk) ●
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