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„Wir haben keinen Bock mehr“

Homeschooling, keine sozialen Kontakte, keine Freizeitangebote: Die Corona-Pandemie trifft auch Jugendliche hart.

Auf den Punkt

  • Die Generation der 14- bis 25-Jährigen leidet unter der Isolation durch die Corona-Pandemie.
  • Viele von ihnen müssen auf wichtige und unvergessliche Erfahrungen verzichten.
  • Anne Meister vom BDL erhofft sich durch mehr Impfungen mehr Freiheit für ihre Generation.

Abhängen mit Freunden? Gestrichen. Party zum 18. Geburtstag? Gestrichen. Musikfestivals, Karnevalsumzüge, Auslandspraktika? Gestrichen. Die Corona-Pandemie raubt uns allen viele Freiheiten. Besonders schmerzhaft aber bekommt das die junge Generation der 14- bis 25-Jährigen zu spüren.

Statt die Welt, sich und die erste Liebe zu entdecken, sich auszuprobieren und nochmal etwas Verrücktes zu erleben, heißt es: Quarantäne, Kontaktbeschränkungen und Sport und Ausgehen gestrichen. Viele Auflagen und Pflichten, wenig Lob fürs Durchhalten, dafür Kritik und Empörung, wenn sich wieder einmal eine Gruppe Jugendlicher im Park trifft, um Bier zu trinken, oder irgendwo ein Rave organisiert wird.

Hier kritisieren Erwachsene eine ganze Generation dafür, dass diese sich Freiheiten nehmen möchte, die für sie selbst selbstverständlich waren. „Man kann sich doch mal zusammenreißen“, heißt es dann. Solidarität mit den Älteren, den Risikogruppen wird gefordert.

Dabei vergessen Erwachsene schnell, wie unendlich lang zwei Jahre sein können, wenn man noch so viel vorhat. „Corona-Jugend“ oder „Jugend ohne Jugend“, solche Schlagzeilen erfassen nur vage die ungeheure Belastung, unter der Jugendliche leiden. Die Corona-Pandemie trifft sie in einer Lebensphase, in der Ausgelassenheit und soziale Kontakte so wichtig sind und nun nicht sein dürfen.

Wer auf dem Land lebt, hat Glück

Auch auf dem Land müssen sich die Jugendlichen stark einschränken. Landjugendfete, Osterfeuer, Bezirkspflügen, Festzelte, Maibaumstellen, Grüne Woche – alles abgesagt. „Dennoch geht es den jungen Menschen auf dem Land besser als den Gleichaltrigen in der Stadt“, sagt Anne-Kathrin Meister. Die 31-Jährige ist im Bundesvorstand des Bund der Deutschen Landjugend (BDL). „Wer auf dem Dorf wohnt, der kann mal schnell zum See fahren oder sich am Gartenzaun treffen“, sagt sie. „In den Städten mussten die Jugendlichen im Lockdown in ihren Wohnungen bleiben und haben auch jetzt nur wenige Möglichkeiten, sich zu treffen.“ Anne-Kathrin Meister erinnert sich an den ersten Lockdown: „Wir haben manchmal auf dem Gartenstuhl im Schnee gesessen und so unseren Stammtisch abgehalten – jeder in seinem Garten.“

Zur Person

Anne-Kathrin Meister wurde bei der Bundesmitgliederversammlung im November 2020 zur stellvertretenden BDL-Bundesvorsitzenden im sechsköpfigen Vorstand gewählt. Sie ist zuständig für den Bereich Jugendpolitik International, den Ernst-Engelbrecht-Greve-Preis und für Regionalentwicklung. Die 31-Jährige wohnt in Schwarzenbach an der Saale in Oberfranken.

Anne-Kathrin Meister ist 30 Jahre alt und kommt aus dem Landkreis Hof.

Der BDL stellte im März 2020 schnell auf online um. Vorstandstreffen, Seminare, Vorträge – alles fand digital statt. „Anfangs war das noch ganz lustig“, erinnert sich Anne-Kathrin Meister. „Man konnte ja sonst nichts machen. Anstatt sich die dritte Wiederholung einer Serie auf Netflix anzuschauen, hat man doch lieber ein Webinar gemacht.“ Die große Begeisterung für das Landjugendleben online sei jedoch mittlerweile verflogen. „Die Leute sind des Digitalen müde geworden“, fasst die Landjugendvorsitzende zusammen. „Wir haben einfach keinen Bock mehr.“

„Die junge Generation ist am Ende ihrer Geduld“, schreibt auch Jugendforscher Simon Schnetzer in seiner Studie „Jugend und Corona in Deutschland“ Mitte 2021. Kein Wunder – die Menschen unter 20 sind oft vergessene Leidtragende der Corona-Pandemie. Schlecht organisiertes Homeschooling, ständige Maskenpflicht im Unterricht, allerletzte Gruppe beim Impfangebot und damit diejenigen, die im vergangenen Jahr am wenigsten Freiheiten genießen durften, das ist die „Generation C“ – C wie Corona.

Solidarität — jetzt mit den Jungen

„2020 hieß es: Bitte bleibt daheim, schützt die Eltern und Großeltern, schützt die Risikogruppen“, sagt Anne-Kathrin Meister. Beim Impfen war die Warteschlange lang, die U-25-Jährigen mussten sich hinten anstellen. Viele aus ihrem Umfeld, erzählt die Landjugendliche, hätten sich gerne schnell impfen lassen. Aber sie hätten keinen Termin bekommen. „Als dann mehr und mehr 2G statt 3G eingeführt wurde, wurden junge Menschen zunehmend ausgeschlossen.“

„Die Lebensphase Jugend schien teilweise fast ,unsichtbar‘ geworden zu sein“, bestätigt auch die Studie „Jugend ermöglichen – auch unter den Bedingungen des Pandemieschutzes“ des Deutschen Jugendinstituts von 2021. „Zum einen waren sie in ihrer Lebenssituation in öffentlichen und medialen Debatten insgesamt selten Thema.“ Andere Altersgruppen hätten dagegen deutlich im Fokus gestanden: jüngere Kinder aufgrund möglicher „Folgen der Schließung von Kindertageseinrichtungen“, ältere Menschen als „besonders vulnerable und durch die Besuchsbeschränkungen von Isolation bedrohte Gruppe“ und Familien als überlastet durch das Aufeinanderprallen von Homeoffice, Homeschooling und alltäglichem Wahnsinn.

Als weiteres Diskursfeld komme hinzu, dass junge Menschen vielfach als diejenigen dargestellt wurden, denen das „Feiern und Party machen“ über alles gehe, die sich nicht an die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie halten würden und denen es an Sensibilität für die Schutzbedürftigkeit anderer mangele, schreiben die Autoren.

Anne-Kathrin Meister kann von keinen wilden Partys oder Regelverstößen in ihrem Umfeld berichten. Allerdings stellt sie fest, dass die Jugendlichen ein ziemliches Nachholbedürfnis hatten, sobald im Sommer und Herbst wieder Treffen möglich waren. „Wir haben in unserer Ortsgruppe 25 neue Mitglieder – wo kommen die alle her?“ fragt sie und lacht. „Weihnachtsfeier, Rauszugehen, Polterabend, Hochzeit – das wurde so ausführlich wie möglich gefeiert.“

Landjugend, das ist für die Bundesvorsitzende Gemeinschaft, Freundschaft, Traditionen, Hobby, gemeinsam Landmaschinenausstellungen besuchen, Volkstanz und vieles mehr. „Und das fehlt“, bekräftigt sie.

Fördern, fördern, fördern

Es fehlt aber noch an ganz anderen Stellen. Die Corona-Pandemie habe für Jugendliche vielfältige Auswirkungen auf ihre Bildungsmöglichkeiten, soziale Beziehungen und Interaktionen, körperliche Aktivität und das psychische Wohlbefinden, fasst das Deutsche Jugendinstitut zusammen. „Manche […] werden länger mit den körperlichen und seelischen Folgen zu kämpfen haben und brauchen passende Unterstützung“, sagt Prof. Sabine Walper, Forschungsdirektorin des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und Mitwirkende in der Arbeitsgruppe der Leopoldina. Neben Schulausfall und Homeschooling machen sich auch mangelnde soziale Kontakte und ausgefallene Betreuungsangebote mehr und mehr bemerkbar.

„Man muss in der Schule mehr an die Schüler denken, die einen Durchhänger haben und den Anschluss verpasst haben“, findet auch Anne-Kathrin Meister. Sie fordert großzügige Förder- und Aufbauprogramme für Jugendfreizeiten und außerschulische Aktivitäten, um die Kinder und Jugendlichen wieder zu motivieren. Wie das funktionieren soll? Dafür hat sie einen einfachen Appell: „Endlich mehr impfen, damit der ganze Mist vorbei ist!“ ●

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