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Der Saatgut-Schatz in der Arktis

Der Eingang zum Saatguttresor Svalbard Global Seed Vault wirkt futuristisch.

Auf den Punkt

  • In einem Bunker auf Spitzbergen lagern über 1 Mio. Saatgutmuster aus aller Welt.
  • Es ist die einzige globale Sicherungskopie unserer Kulturpflanzen und ihrer Wildformen.
  • Kriege und der Klimawandel unterstreichen die Bedeutung von Genbanken.

Die Szenerie erinnert an einen Agenten-Film: Aus dem arktischen Felsen ragt ein Betonklotz. Kameras überwachen das Umfeld. Eine Stahltür sichert den Eingang. Dahinter führt ein Tunnel fast 140 m tief in das Innere des Berges. Doch in diesem unterirdischen Bunker jagt kein James Bond nach Uran, tödlichen Viren oder geheimen Akten. Dieser Tresor auf Spitzbergen schützt die Grundlage der Ernährung der Menschheit: mehr als 1 Mio. Saatgutmuster von Kulturpflanzen und ihren wilden Artverwandten, vom Weizen bis zur Kokosnuss – die bedeutendste Saatgut-Sammlung weltweit.

Mehr als 100 m tief im Felsen lagern die Saatgutmuster sicher in drei klimatisierten Kammern.

Und dieser Saatgut-Tresor namens Svalbard Global Seed Vault in der fernen Arktis war nie wichtiger als heute. Das unterstreicht der brutale Angriff Russlands auf die Ukraine, auf die Kornkammer Europas. Der Krieg gefährdet nicht nur die Ausfuhren an Getreide und Ölsaaten aus einer der größten Überschussregionen der Welt. Er hat auch die nationale Saatgutbank der Ukraine in Charkiw getroffen.

Der globale Saatgut-Tresor

Der Svalbard Global Seed Vault entstand 2008 nahe der Siedlung Longyearbyen auf Spitzbergen, Norwegen. Er ist die weltweit größte Lagerstätte für Saatgut. Sie ist konstruiert, um natürliche und menschengemachte Katastrophen zu überdauern. Mehr als 100 m tief in einem Berg, unter 40 bis 60 m dicken Gesteinsschichten, befinden sich drei Lagerhallen mit einer Gesamtkapazität von 4,5 Mio. Saatgutmustern. Eine Halle davon ist bislang annähernd belegt. Die beiden anderen sollen nach und nach gefüllt werden.

Die Aufbewahrung der Proben in versiegelten Boxen ist für die entsendenden Institutionen kostenlos. Norwegen und der Crop Trust kommen für den Unterhalt auf. Die Saatgutmuster sind nicht für kommerzielle Züchter oder die Wissenschaft gedacht, sondern werden nur an die Eigentümer der Proben zurückgegeben. Das sind in den meisten Fällen öffentliche Einrichtungen.

Um die Keimfähigkeit des Saatguts möglichst lange zu erhalten, lagert es bei –18 °C und einer Luftfeuchtigkeit von 6 bis 8 Prozent. Dies verlängert die Keimfähigkeit auf mehrere Jahrzehnte. Die Proben von meist rund 500 Körnern pro Sorte sind in vakuumierten Folien verpackt.

Die einlagernden Institutionen müssen den Treuhandfonds darüber informieren, welche Sorten in ihren Boxen enthalten sind. Gentechnisch veränderte Sorten sind nicht zur Einlagerung zugelassen. Die nordische Genbank (NordGen) führt ein öffentlich zugängliches Online-Register aller eingelagerten Proben.

Bei –18 °C lagern Tausende Saatgutproben von Weizen und vielen anderen Kulturpflanzen.

Teile der Sammlung des Yuriev-Instituts für Pflanzenbau wurden bei den russischen Angriffen zerstört. Der Großteil der rund 150.000 Proben von 1.800 Kulturpflanzen blieb aber unversehrt – zum Glück. Denn die Ukraine hat nur etwa 4 Prozent ihrer Saatgutbank, immerhin die zehntgrößte der Welt, seit 2011 durch Duplikate auf Spitzbergen gesichert.

Geglückte Rettung aus Aleppo

Dabei ist die Gefahr, die von Kriegen und anderen Katastrophen für das züchterische Potenzial für die Landwirtschaft in aller Welt ausgeht, schon mehrfach traurige Wirklichkeit geworden. Im Zuge des Irakkriegs wurde in Abu Ghraib die zentrale Saatgutbank des Iraks zerstört.

Im Syrienkrieg vernichteten Bomben und Plünderer die Sammlung des Internationalen Zentrums für Agrarforschung in Trockengebieten (ICARDA) in Aleppo. Es war die größte Saatgutsammlung von Kulturpflanzen des Nahen Ostens mit Ursprungsländern wie Irak, Israel, Jordanien und dem Libanon.

Die vorausschauende Leitung der Genbank hatte jedoch vorgesorgt: Sie hatte alle wichtigen Muster rechtzeitig vermehrt und im Svalbard Global Seed Vault auf Spitzbergen einlagern lassen. Aus diesen Reserven konnte das ICARDA die Sammlung ab 2015 an neuen Standorten wieder aufbauen.

Auch aus Deutschland lagern Tausende Saatgutproben im Eis von Spitzbergen bei –18 °C im unterirdischen Bunker. Das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK Gatersleben) hat über 60.000 Duplikate in den Saatgut-Tresor verbracht. Einmal pro Jahr schickt das IPK weitere versiegelte Kunststoffboxen mit Saatgutmustern auf die Reise nach Norden. Zuletzt waren es im Februar rund 5.000 Muster, eingeschweißt in kleinen Aluminiumtütchen und unter Vakuum verschlossen.

Alte Sorten aus Österreich

„In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt der Muster auf Getreide, Gemüse und Leguminosen“, sagt Prof. Andreas Börner, Leiter der Arbeitsgruppe Ressourcengenetik und Reproduktion am IPK. Mit dabei sind elf ganz besondere Weizenproben. „Das Material stammt von einer Sammelreise, die Erwin Mayr zwischen 1922 und 1932 in Österreich durchgeführt hat. Es handelt sich um das älteste aufgesammelte Material in unserer Genbank, auch wenn es seitdem mehrfach reproduziert wurde“, erläutert Börner. Im arktischen Permaforst werden diese wertvollen Proben sicher lagern.

Mitverantwortlich für den Saatgut-Tresor in der Kälte ist der globale Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt (GCDT – Crop Trust). Seine Zentrale ist in Bonn. Geführt wird die Organisation seit Januar 2020 von Dr. Stefan Schmitz, einem ehemaligen Spitzenbeamten des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ). Schmitz sprüht vor Begeisterung, wenn er von der Arbeit des Crop Trusts erzählt. Der Zuhörer spürt: Dieser Mann hat eine Mission, und das ist der Erhalt der Agrarvielfalt.

Schmitz ist fest davon überzeugt, dass die weltweite Vielfalt der pflanzengenetischen Ressourcen bewahrt werden muss. „Diese Vielfalt ist die Grundlage für die züchterische Fortentwicklung unserer Kulturpflanzen und damit unserer Ernährung. Zurzeit sichern Weizen, Mais und Reis die Hälfte der Welternährung. Das ist kein breit aufgestelltes System“, mahnt Schmitz.

Die Vielfalt ist bedroht

Die pflanzengenetische Vielfalt sieht er gleich auf drei Ebenen bedroht: in der Natur durch den Verlust von Flächen und Arten, auf den Feldern durch eine Industrialisierung des Anbaus und in den Saatgutbanken durch eine Unterfinanzierung der Genbanken in den Ländern des globalen Südens. „Eine nachhaltige Landwirtschaft verlangt aber nach Nutzpflanzen, die den jeweiligen natürlichen Bedingungen entsprechen, die etwa an das lokale Klima und an die lokalen Böden und die Wasserverfügbarkeit angepasst sind“, erläutert Schmitz.

Pflanzengenetische Vielfalt ist die Grundlage für die Fortentwicklung unserer Kulturpflanzen.

Dr. Stefan Schmitz, Crop-Trust-Exekutivdirektor

Darum gehört es zu den zentralen Aufgaben des Crop Trusts, Saatgutbanken in aller Welt als Bewahrer der pflanzengenetischen Vielfalt bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Das erfordert nicht nur Fachwissen, sondern auch Geld. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Geldgeber des globalen Treuhandfonds. Der Bund hat umgerechnet rund 62 Mio. US-Dollar in das Stiftungskapital des Crop Trusts eingebracht, das heute einen Wert von 347 Mio. US-Dollar hat.

Eine „Luxus“-Debatte?

„Wir unterstützen den Erhalt, die Katalogisierung, Dokumentation und Vermehrung in den Saatgut-Banken des globalen Südens finanziell, aber auch durch Beratung und Vernetzung“, erklärt Schmitz die Arbeit des Trusts. Für diese Aufgaben ist der Kapitalstock des Fonds aber noch zu klein.

Schmitz sagt: „Um unsere Aufgaben vollständig erfüllen zu können, müsste das Stiftungskapital in den nächsten zehn Jahren um weitere 500 Mio. US-Dollar aufgestockt werden.“ Dann könnten alle wichtigen und einzigartigen Saatgut-Sammlungen im globalen Süden vollständig und dauerhaft aus aus Zinserträgen finanziert werden.

Die CDU/CSU-Fraktion hatte im Januar einen Antrag in den Bundestag eingebracht mit dem Ziel, den Saatgut-Treuhandfonds zu stärken, auch finanziell. Für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion brauche es langfristige Lösungen und klimaresiliente Sorten, so die Union. Saatgutbanken könnten der Ausgangspunkt sein für die künftige landwirtschaftliche Entwicklung. Mindestens 50 Prozent der Ertragssteigerungen weltweit seien auf Züchtungsfortschritte zurückzuführen.

Doch die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP lehnte den Antrag im Mai ab. Manuel Gava von der SPD-Fraktion nannte es in der Bundestagsdebatte gar „Luxus“, über den Antrag der Opposition überhaupt ernsthaft zu sprechen. Der Antrag sei angesichts der aktuellen Krise „befremdlich und sicherlich nicht zielführend“. Der Crop Trust sei eine stabil finanzierte Stiftung und seine Arbeit nicht gefährdet, sagte der Sozialdemokrat.

Tatsächlich ist die Finanzierung des Treuhandfonds nicht akut gefährdet. Sie ist aber bei Weitem auch nicht optimal. Viele Saatgutbanken im globalen Süden sind unterfinanziert. Sie werden nicht nach internationalen Standards geführt.

Das bedeutet zum Beispiel, das vorhandene Saatgut wird nicht rechtzeitig dupliziert. Es verliert mit der Zeit seine Keimfähigkeit. Die Sammlungen sind zudem lückenhaft und nicht präzise dokumentiert. Auch wurden von vielen Beständen keine Sicherungskopien im globalen Saatgut-Tresor auf Spitzbergen angelegt. Für die weltweiten Bewahrer der pflanzengenetischen Ressourcen bleibt also noch eine Mammutaufgabe.

Darum warnt Crop-Trust-Chef Schmitz: „Jeder Verlust von Sammlungen wird sich negativ auf die Aussichten für die weltweite Lebensmittel- und Ernährungssicherheit auswirken.“ Jedes in einer Genbank aufbewahrte Saatgutmuster stelle eine einzigartige zusätzliche Option für Züchter, Forscher und Landwirte im Kampf gegen den Klimawandel und die Ernährungsunsicherheit da. „Wir können es uns nicht leisten, eines davon zu verlieren. Wir sind leider mit einem noch nie dagewesenen Verlust an landwirtschaftlicher Biodiversität auf den Feldern der Landwirte konfrontiert. Wir dürfen nicht auch noch die Pflanzenvielfalt aus Saatgutbanken verlieren.“

Genau darum ist der Saatgut-Tresor nördlich des Polarkreises so wichtig: Er bewahrt das züchterische Erbe unserer Kulturpflanzen und ihrer wilden Artverwandten auf. Kommende Generationen werden diese genetische Vielfalt brauchen, um unsere Kulturpflanzen an die Herausforderungen des Klimawandels anzupassen. ●

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