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Selbstbedienung auf dem Feld

Landwirt Tino Gast hat eine Rote Bete aus dem Feld gezogen. Für ein gutes Wachstum erhalten die Pflanzen eine Tröpfchenbewässerung.

Auf den Punkt

  • Erdbeeren zum Selbstpflücken kosten im Vergeich zum Supermarkt die Hälfte.
  • Selbstpflückerfelder können sich für Betriebe mit Personalmangel lohnen.
  • 95 Prozent der Kunden bezahlen ihr selbstgeerntetes Obst und Gemüse.

Grüne Hinweisschilder machen es den Erntekräften leicht: Auf den Tafeln steht in weißer Schrift Rote Bete, Salat, Gurke, Kohlrabi oder Knoblauch. Dahinter zieht sich eine lange Reihe mit dem jeweiligen Gemüse. Wolfgang Küster zieht eine Rote Bete aus der Erde, „Es macht mir Freude, selbst zu ernten. So frisch wie von hier bekomme ich es sonst nirgends“, sagt der braungebrannte 68-Jährige. Neben ihm stehen noch zwei volle Körbe mit Erdbeeren – ebenfalls selbst geerntet. Die will der Rentner zu Marmelade einkochen, daraus einen Kuchen backen und sie natürlich auch frisch essen. Küster ist einer der treuesten Kunden der Agrargenossenschaft Rackith vor den Toren Wittenbergs in Sachsen-Anhalt.

Seit Jahren bietet das Unternehmen den Kunden an, auf einem halben Hektar selbst Erdbeeren zu pflücken. „Der Zulauf ist stetig größer geworden“, sagt Vorstand Tino Gast. Nach der vergangenen Saison hat die Genossenschaft dann beschlossen, das Selbstpflückerangebot auf Gemüse auszuweiten. „Wir haben in diesem Jahr klein mit 250 m² angefangen“, sagt Gast. Die Resonanz der Kunden war groß und hat den 35-jährigen Landwirt überrascht: „Die 500 Salatköpfe waren schon in wenigen Tagen weg. Das ist Wahnsinn.“

Erdbeeren direkt vom Feld

In kurzer Jeans und blau kariertem Hemd geht Gast durch die Gemüsereihen. Über dem Boden liegt eine schwarze Folie. „So haben wir keine Probleme mit Unkräutern“, erläutert er. Nur das Gemüse, das in kleinen Erdwällen angebaut wurde, ragt heraus. „In die Wälle haben wir eine Tröpfchenbewässerung verlegt“, sagt der Bauer. So sei eine optimale Versorgung der Pflanzen gesichert. Die Salate sind grün, dick und saftig. „Im Kleingarten bekommt man das wahrscheinlich so nicht hin“, sagt Gast lächelnd.

Wolfgang Küster ist ein treuer Kunde der Agrargenossenschaft. In einer halben Stunde waren die zwei Körbe mit Erdbeeren voll.

Das Feld befindet sich direkt an einer Bundesstraße. Die Genossenschaft hat dort einen Verkaufsstand aufgebaut, der an einen Strohanhänger erinnert. Drinnen steht Jacqueline Klügel und sagt: „Die Menschen kommen aus der gesamten Region zu uns.“ Die meisten würden Erdbeeren ernten. „Doch auch beim Gemüse sind viele neugierig, wollen das ausprobieren“, sagt Klügel, die auch die Messer für die Ernte an die Kunden wie Selbstpflücker Lutz Kutter aushändigt. Auch dieser lobt die Frische des Gemüses und der Erdbeeren. Die Anlage sei sehr gut gepflegt.

Günstiger als im Supermarkt

Vor allem achtet Kutter aber auf den Preis: „Es ist hier deutlich günstiger als im Supermarkt.“ Der Preis ist auch nach Ansicht von Genossenschaftschef Gast wohl der entscheidende Faktor für den großen Zulauf. „Die Erdbeeren kosten beim Selbstpflücken etwa die Hälfte. Beim Gemüse ist die Ersparnis etwas geringer“, erklärt er.

Die Agrargenossenschaft baut auf 4,5 ha Erdbeeren an. Die meisten Pflanzen wachsen in Foliengewächshäusern. Geliefert werden die Erdbeeren beispielsweise an umliegende Edeka-Märkte. „Über Jahre war das ein sehr stabiler Absatzweg“, sagt Gast.

Elf ukrainische Studentinnen helfen bei der Ernte. „Einige kommen schon seit Jahren. Wegen des Kriegs in ihrem Land sind sie froh, hier zu sein und Geld zu verdienen.“ Doch die Nachfrage nach den Erdbeeren im Einzelhandel ist nach seinen Worten in diesem Jahr deutlich gesunken. „Wenn alles im Supermarkt teurer wird, wird auf Extras verzichtet. Dazu gehören auch Erdbeeren“, sagt der Landwirt.

Harte Zeiten für Spargelbauern

Am Verkaufsstand rechnet Jacqueline Klügel das Gemüse ab und händigt Messer für die Ernte aus.

Einige benachbarte Spargelbauern hat es noch härter getroffen. Ihre Absätze sind im Einzelhandel regelrecht eingebrochen, sagt Frank Saalfeld, Geschäftsführer des Verbands der Ostdeutschen Spargel- und Beerenobstanbauer. Hintergrund hierfür seien die Billigimporte aus Südeuropa oder Nordafrika, die in den Supermärkten bevorzugt angeboten würden, erklärt Saalfeld.

Die Gemüsemärkte werden vor allem durch die deutlich gestiegenen Rohstoffpreise und höhere Aushilfslöhne beeinflusst. Nach einer AMI-Kalkulation von Dezember 2021 ist bei den Produktionskosten für Tomaten in Deutschland im Jahr 2022 gegenüber 2019 ein Plus von 22 Prozent oder 33 Cent je kg zu erwarten. Diese Kalkulation ist aufgrund der seitdem nochmals gestiegenen Energiekosten allerdings schon überholt.

Hofläden im Kommen

In der Direktvermarktung, in den Hofläden und Verkaufsständen, läuft der Verkauf nach Angaben von Verbandschef Saalfeld noch „eher gut“. Diese Erfahrung macht auch die Genossenschaft Rackith. „Die Erdbeeren aus den Gewächshäusern sind an unseren Ständen weiter sehr gefragt“, sagt Gast. Dort würden vor allem Stammkunden einkaufen und deren Zahl wachse.

Wenn die Transportkosten weiter steigen, werden regionale Wirtschaftskreisläufe wieder attraktiver.

Tino Gast, Landwirt

Landwirtin Anette de Vries vom Verein Direktvermarkter Sachsen-Anhalt sieht die Hofläden im Aufschwung. Während der Corona-Pandemie habe sich das Geschäft positiv entwickelt. „Die Menschen hatten mehr Zeit zum Einkauf und haben sich mehr mit ihrer Ernährung beschäftigt“, so de Vries.

Einige Betriebe würden auf Erdbeerfeldern auch wegen Personalmangels auf die Ernte durch die Kunden umschwenken. Die Ausweitung der Selbstpflückerernte wie bei der Genossenschaft Rackith ist nach ihrer Einschätzung in Sachsen-Anhalt bisher aber einzigartig. „Ich kenne keinen Hof, der das so macht“, sagt die Landwirtin.

Nische oder mehr?

Der AMI-Gemüseexperte Hans-Christoph Behr sieht diese Selbstpflückerfelder auch als „absolute Nische“. Natürlich sei eine solche Ernte für die Kunden ein Erlebnis. „Doch ist es das auch beim dritten oder vierten Mal noch?“ Nach seinen Angaben ist die Gemüseproduktion in Deutschland insgesamt recht stabil. Während der Corona-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren sei der Absatz in Supermärkten sehr hoch gewesen. „Die Gastronomie fiel aber aus“, so Behr. Das gleiche sich nun wieder etwas aus. „Generell ist auch die Nachfrage trotz gestiegener Preise stabil.“

Für die Agrargenossenschaft Rackith ist der Gemüse- und Erdbeeranbau nur ein kleines Standbein. Der landwirtschaftliche Betrieb mit elf festen Mitarbeitern bewirtschaftet insgesamt 1.500 ha. Angebaut werden die klassischen Marktfrüchte wie Weizen, Gerste, Raps, Mais und Zuckerrüben.Dennoch sind die Selbstpflückerfelder für Landwirt Gast wichtig. In den kommenden Wochen werden Zuckermais, Kürbisse und Wassermelonen reif. Im Herbst sind dann die Halloween-Kürbisse erntebereit.

„Wer gerne einen hübschen Strauß in der Wohnung stehen hat, der kann im Laufe des Jahres Ziersonnenblumen, Astern, Zinnien und Gladiolen pflücken“, sagt der Genossenschaftschef. Gezahlt wird nach Ablauf der Erdbeersaison in eine Kasse des Vertrauens. Nach Gasts Einschätzung zahlen 95 Prozent der Kunden.

Durch die Selbstpflückerei hat der landwirtschaftliche Betrieb den direkten Kontakt zu den Kunden. „Für uns ist das die Möglichkeit, weitere Geschäftsfelder aufzubauen.“ Im Verkaufsstand an der Bundesstraße gibt es auch Mehl aus einer kleinen Mühle in der Region. Das Korn dafür stammt von den Feldern rund um Rackith. Auch der angebotene Zucker wurde aus Rüben gewonnen, die bis vorigen Herbst noch in der Erde Sachsen-Anhalts steckten.

Tino Gast ist davon überzeugt, dass die regionale Vermarktung in Zukunft zunehmen wird: „Wenn die Transportkosten weiter steigen, werden regionale Wirtschaftskreisläufe wieder attraktiver.“ (vh) 

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