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Interview

Je früher, desto besser

Der Grundstein für eine erfolgreiche Erstbelegung liegt schon in der Aufzucht.

Ist das Alter allein ausschlaggebend für eine erfolgreiche Erstbesamung? Welche körperlichen Voraussetzungen muss das Jungtier erfüllen?

In Zeiten von mit Vollmilch ad libitum getränkten Kälbern stellen viele Landwirte fest, dass sich die Tiere im weiteren Verlauf, im Vergleich zu restriktiv oder mit Milchaustauschern (MAT) getränkten Tieren, deutlich besser entwickeln. Es wird klar, dass nicht mehr nur allein das Alter der Tiere, sondern eben das Gewicht beziehungsweise der gesamte körperliche Rahmen entscheidend ist. Zum Zeitpunkt der Erstbesamung sollte das Gewicht 55 Prozent, etwa 390 kg, des Zielgewichts ausmachen. Zum Zeitpunkt der Abkalbung sollte es dann bei 80 Prozent liegen. Die Tiere sollten circa 600 kg wiegen.

Stichwort Erstbesamungsgewicht: Reicht es, das Lebendgewicht zu schätzen? Was tun, wenn keine Waage auf dem Betrieb vorhanden ist?

Natürlich wäre es wünschenswert, wenn das Gewicht wirklich zum Zeitpunkt der Besamung bestimmt werden würde. Neben einer Waage bleibt die Bestimmung des Brustumfangs, durch den auf das wahrscheinlich vorhandene Körpergewicht geschlossen werden kann. Ziel ist bei der Besamung ein Brustumfang von 175 cm. Es gibt durchaus Betriebe, die das Gewicht regelmäßig bei der Erstbesamung bestimmen, aber das ist nicht Standard. Sicherlich kann ein geschultes Auge ungefähr die Gewichte abschätzen, aber eine Eichung ab und zu mittels Waage oder Maßband unterstützt die Genauigkeit auf Dauer. Die Ausmaße des knöchernen Beckens zu bestimmen, zum Beispiel durch das Messen des Abstands der Sitzbeinhöcker mag zwar in Versuchen zu entsprechenden Ergebnissen geführt haben, ist aber in der Praxis schwer zu bestimmen und oft sehr ungenau. Für die Bestimmung mittels Kreuzbeinhöhe, mit dem Ziel, dass die Tiere mindestens 133 cm groß sein sollten, fehlt mir selbst die praktische Erfahrung, da ich keinen Betrieb kenne, der das macht.

Was kann der Landwirt tun, damit bereits der Start in der Kälberaufzucht gelingt?

Die letzten Jahre, in denen immer mehr Betriebe zu einer Vollmilch-ad-libitum-Fütterung übergegangen sind, haben gezeigt, zu welchen Gewichtszunahmen Kälber in der Lage sind. Gewichtszunahmen von bis zu 900 bis 1.100 g pro Tag sind keine Seltenheit, sondern Standard. Diese Werte zeigen, dass ganze Generationen von Kälbern groß gehungert wurden. Sie zeigen aber auch, wie groß die individuellen Schwankungen bezüglich der möglichen Futtermengen zwischen den einzelnen Kälbern sind.Auch die ad-libitum-Fütterung befreit jedoch den Landwirt nicht davon, dass gerade bei der Kälberaufzucht Hygiene und Kälberkomfort essenziell sind. Kälber, die an Durchfall erkranken oder während der Aufzucht an Atemwegsproblemen leiden, bleiben meist in ihrer Entwicklung zurück und holen die entstandenen Defizite nur langsam auf, im Falle von schweren Atemwegserkrankungen manchmal gar nicht!

Wie wirkt sich eine frühes Erstkalbealter auf die spätere Entwicklung beziehungsweise Leistung der Kuh aus?

Ein frühes Erstkalbealter, verbunden mit einer angemessenen Entwicklung, wirkt sich auf verschiedene Bereiche positiv aus. Beispielsweise nehmen die Rinder im Durchschnitt bei der Besamung besser auf, da es zu keiner vermehrten Einlagerung von Progesteron im Fettgewebe kommt. Zudem kommt es bei spät besamten und verfetteten Tieren häufiger zu Schwergeburten, da die ohnehin schmaleren Geburtswege durch die Fetteinlagerungen noch weiter eingeengt werden. Schwergeburten ziehen wiederum einen schlechteren Start in die Laktation mit sich, da Verletzungen im Geburtsweg Schmerzen bedeuten, die wiederum die Leistungsfähigkeit der betroffenen Tiere einschränken. Verletzungen im Geburtsweg ziehen zudem Gebärmutterveränderungen nach, zum Beispiel in Form von Endometritiden oder auch Verwachsungen. Beides wirkt sich nachteilig auf den kommenden Besamungszyklus aus.

Bedeutet ein frühes Erstkalbealter gleichzeitig auch mehr Milchleistung und somit eine bessere Wirtschaftlichkeit für den Betrieb?

Wichtig ist, wie bereits gesagt, dass die Tiere körperlich gut entwickelt sind. Eine alleinige Absenkung des Erstbesamungsalters führt nicht zum Erfolg. Nur Tiere mit einem geringen Erstkalbealter und einer guten körperlichen Entwicklung haben auch ein gut entwickeltes Eutergewebe und können entsprechend mehr Milch inklusive guter Inhaltsstoffe geben, gepaart mit einer geringeren Anfälligkeit für Mastitiden. Dies zeigen Studien aus den USA und Datenerhebungen von der Landesforschungsanstalt in Mecklenburg-Vorpommern. Letztere konnte auch nachweisen, dass die Nutzungsdauer von Tieren mit geringerem Erstkalbealter deutlich erhöht ist und die Rinder dazu noch wirtschaftlicher sind im Vergleich zu später besamten Tieren. Je früher, desto besser – die Aussage zählt für mich zwar für das Erstbesamungs- und Abkalbealter von Holsteinkühen, aber nicht für die erneute Besamung von Tieren nach der Abkalbung! Da bin ich ein großer Verfechter von leistungsgerechten langen Rastzeiten. ●

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