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Zeit geben

Sollte tatsächlich jede Kuh jedes Jahr ein Kalb bringen?

Pro Kuh und Jahr ein Kalb – eine Rechnung, die oftmals auf Betrieben zum guten Fruchtbarkeitsmanagement gehört. Doch immer mehr milchviehhaltende Betriebe wenden sich von diesem Richtwert ab und setzen auf verlängerte Zwischenkalbezeiten (ZKZ) beziehungsweise freiwillig längere Wartezeiten.

Was ergibt sich aus verlängerten Zwischentragezeiten?

Chancen und Vorteile

  • weniger Kälber und durch den Einsatz von gesextem Sperma ausreichend Kuhkälber;
  • bessere Kälbergesundheit;
  • Raum und ausreichend Leerstand, um die Abkalbebox und die Kälberboxen optimal zu reinigen und zu desinfizieren beziehungsweise leer stehen zu lassen;
  • raus aus dem Hamsterrad: Besamungszeitpunkt verpasst? Nicht schlimm, in drei Wochen kommt der Zeitpunkt wieder;
  • geringere Kosten für Sperma aufgrund der geringeren Anzahl von Besamungen ;
  • sicherere Brunst, da die Tiere deutlich häufiger brünstig sind;
  • mehr Zeit für Entscheidungen, zum Beispiel ZU-Kühe;
  • nicht selten besser entwickelte Jungkühe mit teilweise sehr guten Erstlaktationen;
  • durch eine Milchmenge beim Trockenstellen von rund 14 kg bis 20 kg Tagesleistung saubereres Trockenstellen, ohne dass die Kühe auslaufen;
  • geringere Tierarztkosten: Rund um die Kalbung besteht bei Kühen das höchste Risiko zu erkranken, durch die geringere Anzahl an Kalbungen wird diese Gefahr halbiert;
  • gute Persistenz durch eine späte Trächtigkeit;
  • mehr Milch pro Laktation und eine höhere jährliche Milchleistung.

Risiken und Nachteile

  • ohne eine angepasste Ration kommt es häufiger zu Überkonditionierungen;
  • durch die häufigeren Brunsten steigt die Verletzungsgefahr für Mensch und Tier, zudem wird es merklich unruhiger im Stall;
  • Milchviehhalter berichten von häufigeren Follikelzysten;
  • Gefahr von längeren Trockenstehzeiten, wenn Tiere unverhofft von der Milch abfallen oder erkranken;
  • Zusammenarbeit mit Landeskontrollverband ist problematisch, denn auch bei verlängerter Zwischenkalbezeit wird weiterhin nur die 305-Tage-Leistung erfasst und die gesamte Laktationsleistung eher als nebensächlich betrachtet.

Ihr Resultat aus den Betrieben: bessere Fruchtbarkeiten, bessere Persistenzen der Laktationen und eine stabilere Tiergesundheit. Sie berichten aber auch von unruhigeren Herden und überkonditionierten Tieren. Weitere Vor- und Nachteile aus der Praxis haben wir in der Auflistung rechts zusammengefasst.

Höhere Milchleistung

Was die Praxis berichtet, belegt auch die Wissenschaft. Über eine freiwillig verlängerte Wartezeit bis zur Besamung spricht man ab etwa 90 bis 120 Tagen. Diese Periode sorgt nach Angaben von Professor Anke Römer von der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern und Professor Martin Kaske von der Vetsuisse-Fakulät Zürich neben einer klar verbesserten Tiergesundheit und Fruchtbarkeit auch für ein betriebswirtschaftlich besseres Ergebnis.

Die Studie ergab, dass bei längeren Zwischenkalbezeiten über 400 Tage zum einen mehr Milch pro Laktation ermolken wurde und zum anderen die jährliche Milchleistung bei einer länger dauernden Laktation höher ist als bei einer kürzeren Laktationsdauer beziehungsweise früheren Besamung. Grund dafür sind die verhältnismäßig kürzeren Trockenstehzeiten im Jahr bei längeren Zwischenkalbezeiten.

Sonja Gronewold

Landwirtin aus Großefehn, Niedersachsen

Milchviehhalterin Sonja Gronewold

„Von mir gibt es ein klares Pro. Eine verlängerte Zwischenkalbezeit funktioniert bei uns im Betrieb und in den Betriebsabläufen sehr gut. Wir melken eine Herde der Rasse Holstein Friesien mit hohen Lebensleistungen und einem Besamungsindex von 2 und setzen vor allem gesextes Sperma bei den Besamungen unserer Tiere ein.

Natürlich muss, damit das Prinzip Erfolg hat, auch der Rest stimmen – wie die Fütterung und das Trockenstehermanagement.

Die Vorteile, die daraus für uns und unseren Betrieb entstehen, sind weniger Kälber bei gleichzeitig ausreichend gewünschten Kuhkälbern durch das Belegen mit gesextem Sperma, weniger Tierarztkosten und eine gute Persistenz durch späte Trächtigkeiten.“

Irina Prem

Landwirtin aus Schwarzach, Bayern

Milchviehhalterin Irina Prem

„Wir machen das jetzt seit etwa zwei Jahren. Bei 70 Prozent der Kühe liegt die Zwischenkalbezeit bei über 450 Tagen beziehungsweise die aktuelle Zwischenkalbezeit bei 550 Tagen. Die Gründe hierfür waren zu hohe Milchmengen beim Trockenstellen und Probleme bei der Eutergesundheit, die Befürchtung, meine Kühe durch zu kurze Laktationen zu verheizen, ein schlechter Besamungsindex und zu viele Kälber am Betrieb.

Inzwischen kann ich ein gutes Fazit ziehen und werde die Langzeitlaktation weiter fortführen. Statt wie üblich zwischen 130 und 140 Kälber aufzuziehen, sind es nur noch 80 bis 90 Kälber. Die Herdenleistung ist gleich geblieben und die Inhaltsstoffe sogar deutlich gestiegen. Unsere Kühe erreichen früher höhere Lebenstagleistungen und der Besamungsindex sank von 2,7 auf 2,0. Auch die Non-Return-Rate (90 Tage) stieg auf 60,5 Prozent.“

Luca Epple

Landwirt aus Moorrege, Schleswig-Holstein

Landwirt Lucca Epple

„Bei uns ist dies eine ganz klar tierindividuelle Entscheidung und auch eine Sache der Persistenz und des allgemeinen Leistungsniveaus der Herde. Es gibt Kühe, die gut durchziehen und lange viel Milch geben, aber auch die eine oder andere Kuh, die früher mit der Milchmenge einbricht.

Kühen, die sehr viel Milch geben, gebe ich gerne mehr Zeit anhand der Formel tägliche Milchmenge mal zwei. Die Kondition des Tiers muss auch passen. Eine stark abgemolkene Hochleistende kann auch eine längere Pause gebrauchen. Färsen, die sauber sind, kann man meiner Meinung nach auch mal ab dem 40. Tag decken, wenn die Brunst gut ist.

Eine Pauschalregel würde ich da nicht einhalten. Was bringt es, wenn man den Kühen mehr Zeit gibt, und sie dann vielleicht doch nicht direkt tragend werden und man dadurch eine total altmelkende Herde generiert?“

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