Mehr Artenvielfalt am Straßenrand
Das Mulchgerät war auch im Wittelsbacher Land seit den achtziger Jahren das wichtigste Instrument zur Pflege der Straßen- und Wegeränder. Doch mittlerweile wissen wir, dass das Mulchen durchaus Nachteile mit sich bringt: Das Straßenbegleitgrün wächst immer üppiger und kommunale Bauhöfe sowie Landwirte müssen dem fast nur noch aus Gräsern bestehenden Einheitsgrün immer häufiger zu Leibe rücken, berichtet Lennart Dittmer in einer Pressemitteilung der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG).
Eine Umstellung der Pflege ist also nötig. Doch wohin mit dem Mähgut, das rechtlich noch dazu als Abfall gelten kann? Die Gemeinde Sielenbach (Lks. Aichach-Friedberg) möchte der Sache auf den Grund gehen und wird deshalb Modellgemeinde in einem wissenschaftlichen Projekt der LWG. Ziel ist es, die Pflege öffentlicher Grünflächen – und dazu gehören auch Feldraine und Straßenränder – so umzustellen, dass die Artenvielfalt eine Chance hat und dabei gleichzeitig sinnvolle Verwendungsformen für das anfallende Mähgut gefunden werden.
Warum verschwinden immer mehr Arten aus unseren Lebensräumen? Was den Autofahrer erst einmal freut, weil er nicht mehr regelmäßig seine Windschutzscheibe von Insekten reinigen muss, stört den interessierten Spaziergänger, der noch vor ein paar Jahren an blühenden Wegrändern entlang spazieren ging. Heute findet er vor allem Gras, Brennnesseln und Disteln vor.
Die Ursachen für diese Veränderung sind vielfältig, das Problem ist erkannt und Lösungsansätze haben bereits Einzug in diverse Gesetzestexte gehalten. So wurde im Art. 30 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes festgelegt, dass Straßenbegleitflächen von Staatsstraßen mit dem Ziel zu bewirtschaften sind, die Luftreinhaltung, die Artenvielfalt und den Biotopverbund zu fördern. Den Landkreisen und Gemeinden wurde empfohlen, an Kreis- und Gemeindestraßen entsprechend zu verfahren.
Die Flächen sollen neuerdings als Magergrünland bewirtschaftet werden. Mit dieser Gesetzesänderung wurde der Wichtigkeit linearer Landschaftselemente Rechnung getragen, um blütenreiche Verbindungskorridore durch die Landschaft zu ziehen. An diesen können Insekten und andere Tiere entlangwandern um neue Lebensräume, Nahrungsquellen und Sexualpartner zu finden. Dies sichert langfristig ihr Überleben in unserer Umwelt.
Vielerorts werden bereits ökologische Pflegeregimes auf kommunalen Grünflächen etabliert. Im Landkreis Aichach-Friedberg gibt es für die Kreisstraßen bereits seit 2022 ein Pflegekonzept, das vom kreiseigenen Bauhof Schritt für Schritt umgesetzt wird. Besonders wirksam ist es, „Wildnis“ etwas mehr zuzulassen, indem weniger und tierschonend gemäht wird. Wird Mähgut von der Fläche abtransportiert, statt es durch eine Mulchmahd an Ort und Stelle zu zerschlagen und verrotten zu lassen, entwickelt sich über die Zeit eine besondere Blühwirkung. Lichtkeimende Wildpflanzen werden so nicht von der Mulchschicht erstickt und der Nährstoffentzug hilft den Blühpflanzen, sich zu behaupten. Zusätzlich wird das Mähgut zur regionalen Verwertung und Wertschöpfung frei.
Gerade in ländlichen Kommunen, die neben Wegrändern auch Friedhöfe, Parkanlagen, Gewässerränder oder Sportplätze pflegen, bestehen große Potenziale zur Aufwertung von öffentlichen Flächen. Von Vorteil ist, dass lokal ansässige Landwirte z. B. über die Tierhaltung, die Biogasproduktion, die Kompostierung oder die Pelletherstellung einbezogen werden können. Zusätzlich besteht für Landwirte die Möglichkeit, als Nebenerwerb bei der Pflege zu unterstützen und Bauhöfe zu entlasten.
Begibt man sich allerdings auf die Suche nach Gemeinden, die bereits heute nennenswerte Mähgutmengen abtransportieren und verwerten, sind vorzeigbare Beispiele deutschlandweit rar gesät. Ein zweijähriges wissenschaftliches Projekt der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) unterstützt nun die Gemeinde Sielenbach auf ihrem Weg zur Mähgutverwertung. Die finanziellen Mittel wurden vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus bereitgestellt.
Im Projekt werden Flächen der Gemeinde Sielenbach mit modernen fernsteuerbaren Raupengeräteträgern gemäht und deren Wirtschaftlichkeit beurteilt. Darüber hinaus soll die Thematik in der Region verankert werden, indem wichtige Akteure sensibilisiert und miteinander vernetzt werden. Das übergeordnete Ziel dabei ist es, Lösungen zu finden, die sämtliche Interessen abdecken und Sielenbach möglichst dauerhaft zu einer blütenreichen Gemeinde zu machen, in der die Mähgutverwendung und damit die Wertschöpfung regional erfolgen.
Neben den Wissenschaftlern der LWG beteiligen sich der örtliche Bauhof, die Kreisfachberatung für Gartenkultur und Landespflege des Landratsamtes Aichach-Friedberg, der örtliche Landschaftspflegeverband sowie die bayerische Wildlebensraumberaterin für das öffentliche Grün am Projekt. Damit sollen Lösungsansätze eine Strahlkraft entwickeln und Sielenbach als Vorzeigegemeinde in der Region etablieren.
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