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Heilige Hallen

Die Forstwirtschaft in FFH-Gebieten wird schwieriger

Im Dezember 2020 verschickte das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt in Mecklenburg-Vorpommern kurz aufeinander zwei Pressemitteilungen. In beiden ging es um einen bundesweit bekannten Buchenwald an der Grenze zu Brandenburg: um das Naturschutzgebiet Heilige Hallen, das Teil des FFH-Gebietes „Wälder bei Feldberg mit Breitem Luzin und Dolgener See“ ist. Umweltminister Till Backhaus kündigte in der ersten Pressemitteilung an, die Behandlungsgrundsätze für dieses Gebiet zu prüfen und die zukünftige Waldbewirtschaftung zu klären. In der zweiten Pressemitteilung gab er bekannt, dass es in dem FFH-Gebiet keinen weiteren Holzeinschlag mehr geben wird. Er habe darüber hinaus eine Arbeitsgruppe eingerichtet, zu der er Peter Wohlleben und Professor Pierre Ibisch eingeladen habe.

Wie konnte es dazu kommen, dass ein Landwirtschaftsminister seinen Forstexperten zwei Waldaktivisten an die Seite stellt, um den forstlichen Umgang mit dem Wald neu zu regeln?

Hintergrund

Die Heiligen Hallen sind einer der ältesten Buchenwälder Deutschlands. Seitdem der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz 1850 verfügte, dieses Waldgebiet für alle Zeiten zu schonen, darf sich der Wald weitgehend ungestört entwickeln. Manche Bäume sind heute über 300 Jahre alt und über 50 m hoch, der Holzvorrat beträgt 660 Fm/ ha und der Totholzanteil 186 Fm/ ha. Das 25 ha große Kerngebiet der Heiligen Hallen steht seit 1938 unter Naturschutz. 1993 erweiterte es die Landesforstverwaltung auf 65,5 ha, 39 ha davon sind heute Totalreservat. Eingebettet ist dieses Naturschutzgebiet in ein 3.945 ha großes FFH-Gebiet, das 2004 ausgewiesen wurde. Die Holzernte spielt in auf der gesamten Fläche keine große Rolle mehr. Im Totalreservat ohnehin nicht, und im Naturschutzgebiet drum herum schlägt das zuständige Forstamt Lüttenhagen überwiegend nur Schadholz ein. Auch im FFH-Gebiet kann man die Einschlagstätigkeit als vorsichtig bezeichnen. Von 2016 bis 2020 fielen nach Angaben des Ministeriums auf 460 ha rund 12 700 Fm Holz an, also nur knapp 28 Fm/ha.

Pläne und Projekte

Doch die Naturschützer halten die forstliche Nutzung trotzdem für so hoch, dass sie den Schutzzweck des FFH-Gebietes gefährdet: Die Erhaltung großflächig naturnaher Laubwälder sowie weiträumige und strukturreiche Altholzbestände mit zahlreichen Biotopbäumen und hohen Totholzanteilen. Prof. Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde stellte in seinen Untersuchungen in dem Waldgebiet zwar fest, dass der Wald im Naturschutzgebiet selbst in einem noch relativ guten Zustand ist. An seinem Rand beobachtete er jedoch deutliche Schadsymptome, die er auf die Dürre der letzten Jahre zurückführt – und auf die forstliche Nutzung im umgebenden FFH-Gebiet. Im November war auch Peter Wohlleben vor Ort und schlug in mehreren Facebook-Beiträgen Alarm wegen des „massiven Holzeinschlags“. Das Forstamt Lüttenhagen hat diese Vorwürfe zurückgewiesen. Der Wald werde auf Grundlage der für den Landeswald verbindlichen Behandlungsgrundsätze für Natura-2000-Gebiete genutzt, bestätigte das Landwirtschaftsministerium.

Till Backhaus: „Mir liegen die Heiligen Hallen sehr am Herzen. Deshalb  nehme ich die Aufgabe, dieses Kleinod zu schützen sehr ernst.“

 

Es gibt jedoch ein Gutachten aus dem November 2020, das die Ansicht der Waldschützer stützt und die Rechtmäßigkeit der bisherigen Forstpraxis in dem FFH-Gebiet anzweifelt. Es stellt zunächst fest, dass die FFH-Richtlinie der Europäischen Union ein allgemeines Verschlechterungs- und Störungsverbot festlegt. Das Bundesnaturschutzgesetz hat dies in deutsches Recht umgesetzt. Für das Gebot ist es dabei nach Ansicht der Gutachterin Dr. Cornelia Ziem unerheblich, ob die Verschlechterung innerhalb der räumlichen Kulisse des jeweiligen Schutzgebietes oder außerhalb vorgenommen werde. Es sei eine rein ergebnis- bzw. wirkungsbezogene Vorschrift. Sie erklärt weiter, dass Pläne und Projekte im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes (§ 34) in FFH-Gebieten auf ihre Verträglichkeit hin überprüft werden müssen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebietes führen können.

Man denkt bei solchen Eingriffen an Rodungen für den Straßenbau oder Gewerbegebiete. Damit räumt das Gutachten jedoch auf, indem es ausdrücklich auch die Forsteinrichtung als Plan im Sinne der FFH-Richtlinie bezeichnet und die jährlichen Forstwirtschaftspläne mit ihren konkreten, bestandesbezogenen Maßnahmen als Projekte. So wie bei einem Straßenbauprojekt müssten daher im Zweifelsfall auch ein Forstwirtschaftsplan und jede aktive Bewirtschaftung einer Verträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Wörtlich heißt es weiter: „Das bedeutet zugleich, dass im nationalen Recht vorhandene Vorschriften über die gute fachliche Praxis der Forstwirtschaft (§ 5 Abs. 3 BNatSchG) ebenso wenig wie Verwaltungsvorschriften aller Art geeignet sind, die Geltung des europarechtlichen Schutzregimes abzuschwächen.“ Die Gutachterin schließt daraus, dass ohne eine ordnungsgemäße FFH-Verträglichkeitsprüfung im gesamten FFH-Gebiet „Wälder bei Feldberg mit Breitem Luzin und Dolgener See“ keine weiteren Einschläge in Buchenbeständen erfolgen dürfen, ebenso wenig dürfe Schad- und Totholz entfernt werden.

Das Gutachten stopft darüber hinaus ein Schlupfloch, das der Artikel 6 der FFH-Richtlinie eröffnet. Ihm zufolge bedürfen Maßnahmen, die unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen, ausnahmsweise keiner Verträglichkeitsprüfung. Diese Lösung bietet sich laut Gutachten in den Heiligen Hallen aber nicht an. Die Einschläge liefen offenkundig den Erhaltungs- und Schutzzwecken entgegen.

Man könnte jetzt sagen: „Wen interessiert schon so ein Gutachten im fernen Mecklenburg-Vorpommern? Das wäre aber zu kurz gedacht, denn es greift in schlüssiger Weise eine Argumentation auf, die bereits drei Gerichte beschäftigt hat. In Sachsen und Nordrhein-Westfalen haben es zwei ähnliche Fälle schon bis an die Oberlandesgerichte geschafft. 2018 ging das aus forstlicher Sicht noch gut aus. Der Bund Naturschutz ging damals gegen die Stadt Bad Honnef vor, weil sie in ihrem Wald auf rund 100 ha Borkenkäfer-Fichten geräumt hatte. Der Verband betrachtete das als Verstoß gegen das Verschlechterungsgebot, denn der Wald lag in einem FFH-Gebiet. Das Oberverwaltungsgericht Münster wies die Beschwerde am 19. Dezember allerdings zurück. Es kam zu dem Schluss, dass eine Verträglichkeitsprüfung nicht erforderlich sei, weil die Fällungen unmittelbar der Verwaltung des FFH-Gebiets im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes dienten. Ohnehin seien sie privilegiert, da sie der guten fachlichen Praxis entsprächen.

Im Fall des FFH-Gebietes „Leipziger Auwald“ entschied das Oberverwaltungsgericht Bautzen am 9. April 2019 im Sinne der Naturschutzverbände Grüne Liga und Nukla. Die Stadt Leipzig durfte ihren Forstwirtschaftsplan nicht vollziehen. Sie musste Sanitärhiebe in der Esche, Femel- und Schirmhiebe sowie Altdurchforstungen einstellen. Bedingung für solche Eingriffe ist dort nun eine Verträglichkeitsprüfung, an der die beiden genannten Naturschutzverbände zu beteiligen sind. Die Naturschützer feierten das als wegweisendes Urteil.

Bad Honnef und Leipzig

Es mag ungewiss sein, ob sich die Rechtsmeinung, die das Gutachten zu den Heiligen Hallen sozusagen in reiner Lehre verkündet, durchsetzen wird. Zuviel Hoffung sollte man sich aber wohl nicht machen, denn es spielt auch noch ein drittes Urteil eine Rolle: das des Europäischen Gerichtshofes vom 17. April 2018 gegen die Republik Polen. Dort hatte das Umweltministerium 2016 den Holzeinschlag im polnischen Urwald und FFH-Gebiet „Puszcza Białowieska“ nahezu verdreifacht. Als Grund gab es den massiven Befall durch den Buchdrucker an. Der EuGH stellte damals allerdings mit einer ähnlichen Begründung klar, dass diese Maßnahmen den Schutzstatus des Białowieska-Waldes erheblich beeinträchtigen würden und damit rechtswidrig seien.

Welche Bedeutung die genannten Urteile für die Forstwirtschaft haben könnten, verdeutlicht eine Zahl: In Deutschland liegen einer Studie des von-Thünen-Institutes aus dem Jahr 2012 zufolge rund 1,8 Mio. ha Wald in einem FFH-Gebiet, je nach Bundesland zwischen 15 % und 24 %. Dem Naturschutz sind die forstlichen Freiheiten in FFH-Gebieten schon lange ein Dorn im Auge.

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