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Mit AUDIO-Interview

„Ich mache wieder Mittagsstunde“

Landwirt Amos Venema bewirtschaftet gemeinsam mit seinem Bruder Jan einen Milchviehbetrieb mit 160 Kühen im ostfriesischen Jemgum. Zudem ist er durch My KuhTube bekannt.

Wie sieht Ihr Tagesablauf normalerweise aus?

Ich stehe um 4.15 Uhr auf und um 4.30 Uhr bin ich im Stall und beginne mit dem Melken unserer 160 Kühe. Zwischen 6.00 und 6.30 Uhr bin ich fertig und frühstücke dann mit meiner Familie. Wenn meine Frau und mein Sohn zur Arbeit gehen, bin ich wieder auf dem Betrieb und mittags koche ich.

Wieso beantragten Sie eine Reha?

Ich war nicht krank, aber ich habe mich unruhig und angespannt gefühlt. Ich merkte, dass sich etwas in mir veränderte. Meine Gedanken fuhren Karussell. Ich habe zwar gut geschlafen, aber ich wollte es nicht zu einem Burnout kommen lassen. Deshalb habe ich mit Unterstützung meiner Frau die Reißleine gezogen. Sie sagte mir häufiger, dass ich eine Auszeit bräuchte. Das habe ich dann auch umgesetzt, um Körper, Geist und Seele wieder in Einklang zu bringen. In anderen Branchen ist es schließlich auch Gang und Gäbe, dass man sich coachen lässt und Unterstützung sucht.

Wer erledigte die Arbeit während Ihrer Abwesenheit?

Mein Bruder Jan und ich bewirtschaften den Betrieb gemeinsam. Während meiner Abwesenheit hatte er Unterstützung durch einen Betriebshelfer, der uns von der Rentenkasse bezahlt wurde.

Was machten Sie in der Reha?

Die Therapie begann mit Untersuchungen. Danach wurde ein Behandlungsplan erstellt, der meinen Tagesablauf regelte. Das war für mich eine Umstellung. Denn eigentlich können wir Landwirte unsere Tage ja frei gestalten und die Arbeit entsprechend einteilen. Diese Fremdbestimmung war für mich nicht ganz einfach. Ich hatte Massagen, Sport, Einzel- und Gruppengespräche mit Therapeuten und sogar eine Kunsttherapie, der ich sehr skeptisch gegenüberstand.

Was ist eine Kunsttherapie?

Uns wurde eine Geschichte erzählt und einen Teil dieser Geschichte musste man malen. Anschließend wurde das dann in der Gruppe diskutiert. Es ging also gar nicht um das Malen, sondern darum, sich mit einer bestimmten Situation genauer zu befassen. Das Malen war nur das Mittel zum Zweck.

Fiel es Ihnen leicht, sich zu öffnen?

Man lernt ziemlich schnell sich zu öffnen, auch bei den Gruppengesprächen. Denn ich habe zügig den positiven Effekt dieser Gespräche bemerkt. Ich hatte dadurch die Chance, mich mit Menschen auszutauschen, die nicht aus meinem näheren Umfeld stammten und das machte es einfacher, offen zu sprechen. Das war befreiend.

Was hat Ihnen in der Reha gut gefallen?

Es war gut, einmal für einige Wochen aus dem Betrieb und der gewohnten Umgebung raus zu sein. Ich hatte Zeit nachzudenken, mich mit mir selbst zu beschäftigen und die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Es war dabei hilfreich, von Personen unterstützt zu werden, die eine neutrale Sichtweise haben. Es tut zwar auch gut, mit Familienmitgliedern zu reden, aber hier ist man gewissen Zwängen unterworfen, die es in der Kurklinik nicht gab. Man ist dadurch viel freier und muss keine Rücksicht auf die Gefühle oder Belange einer anderen Person nehmen.

Umfrage

Teilnehmer gesucht

Wie ist es um das Ansehen der Landwirte in der Öffentlichkeit bestellt? Werden sie wegen Ihres Berufs gar gemobbt? Das Online-Umfrageportal des Deutschen Landwirtschaftsverlags, agri Experts, sucht Teilnehmer, mit landwirtschaftlichem Hintergrund, die zu diesem Thema bei einer Umfrage mitmachen. Als kleines Dankeschön dürfen Sie sich eine kostenlose dlv-Zeitschrift nach Wahl bestellen.

Hat sich durch die Reha etwas für Sie verändert?

Während der Reha habe ich mich mit mir selbst beschäftigt. Das ist anstrengend. Auf dem Hof und im Alltag kann man das schnell verdrängen, aber in der Kurklinik musste ich mich mit mir und meinen Herausforderungen auseinandersetzen. In dem Moment war das eine Achterbahnfahrt – mal ging es mir gut und mal kam ich stark ins Grübeln. Aber im Nachhinein muss ich sagen, dass es mich befreit oder entspannt hat und mir neue Perspektiven eröffnet hat. Die Arbeit, die in der Reha begonnen wurde, geht jetzt daheim weiter. Die erste Woche zu Hause war für mich überraschend anstrengend. Ich musste mich erst wieder einfinden und dann noch versuchen, die guten Vorsätze auch tatsächlich im Alltag umzusetzen.

Was ist so ein guter Vorsatz?

Ich habe mir vorgenommen, einen positiven Tagesrückblick zu ziehen. Dabei geht es ganz einfach darum, dass man sich am Ende jeden Tages hinsetzt und sich aufschreibt, was an dem Tag positiv war. Das kann zum Beispiel der Sonnenaufgang oder das Mittagessen gewesen sein. Liest man sich das dann am Wochenende wieder durch, merkt man, dass man doch ziemlich viele schöne Momente in den letzten Tagen hatte. Dann ist das Glas nicht mehr halb leer, sondern halb voll, weil man einen anderen Blickwinkel einnimmt.

Außerdem sage ich häufiger mal HALLO. Das ist eine kleine Achtsamkeitsübung, bei der die Buchstaben für verschiedene Abläufe stehen. H steht für Halt – einfach mal einen Moment Pause machen. A steht für Atmen. Man legt die Hand auf den Bauch und atmet bewusst tief ein und aus. L heißt Loslassen – und zwar die Gedanken, die einen gerade bewegen, ziehen zu lassen. Das zweite L bedeutet Lächeln. Mir war gar nicht bewusst, wie entspannend es ist, einfach einmal zu lächeln. Das löst bei mir wirklich die Anspannungen auf. O steht schließlich für Offenheit. Man soll der Situation und auch Lösungen gegenüber offen sein, denn in der Regel gibt es nicht nur eine Möglichkeit, eine Herausforderung anzugehen. Das Prinzip HALLO ist aber nicht ganz einfach und man muss das üben. Ich denke, dass man offen sein und sich auf neue Dinge einlassen muss, wenn man etwas verändern möchte.

Hat sich Ihr Alltag auf dem Hof durch die Reha verändert?

Ich gönne mir mehr Ruhe. Ab 19 Uhr abends ist für mich Feierabend. Ich habe da sonst häufig noch im Büro gesessen und Anträge bearbeitet oder telefoniert. Das mache ich jetzt nicht mehr. Ausnahme ist die Erntezeit, da geht es manchmal auch länger, aber das ist nur ein begrenzter Zeitabschnitt und das ist in Ordnung. Ich mache außerdem wieder Mittagsstunde und genieße diese auch ausgiebig. Die Arbeitsabläufe werden wir noch anpassen.

Was war das Wichtigste, das Sie aus dieser Auszeit mitnehmen?

Sehr viel Gelassenheit. Ich habe mich selbst wieder neu entdeckt und bin ruhiger geworden. Ich lasse vieles nicht mehr so nah an mich ran. Ich atme tief durch und rege mich nicht mehr so schnell auf. Das ist meiner Familie auch positiv aufgefallen.

Wann ist Ihrer Meinung nach der Punkt erreicht, an dem man über eine Auszeit nachdenken sollte?

Das ist schwierig. Ich denke, wenn man unruhig wird und nicht mehr richtig schlafen kann, sollte man aktiv werden. Man hat zum Beispiel Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren und kann den Tagesablauf nicht mehr gut organisieren. Sich das einzugestehen, ist nicht einfach. Wir haben es nicht gelernt Schwächen zuzugeben.

Würden Sie wieder so eine Reha machen?

Ja, ich würde das auf jeden Fall wieder machen. Mir hat es geholfen, wieder gelassener zu werden und den alltäglichen Problemen ruhiger zu begegnen.

Rehabilitation

Wieder fit werden für den Arbeitsalltag

Burnout, Depression und andere Erkrankungen der Psyche sind bei Land- und Forstwirten sowie Unternehmern des Gartenbaus immer häufiger festzustellen. Sie stehen mittlerweile auf Platz zwei der Ursachen für Erwerbsminderungen. Unter dem Aspekt „Reha vor Rente“ kann die Landwirtschaftliche Alterskasse (LAK) als Kostenträger eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme genehmigen. Das Wort „Rehabilitation“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „wiederherstellen“.

Entsprechend soll eine Reha helfen, wieder fit für den Arbeitsalltag zu werden oder zumindest verhindern, dass sich die Arbeitsfähigkeit weiter verschlechtert. Und davon profitieren beide Seiten: Versicherte sind länger erwerbstätig und bleiben der Rentenversicherung darüber hinaus auch als aktive Beitragszahler erhalten. Die LAK bietet während einer medizinischen Rehabilitation eine Betriebs- oder Haushaltshilfe als ergänzende Leistung an.

Neben medizinisch notwendigen Behandlungen von Krankheiten geht es der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) auch darum, durch präventive Angebote schwere Erkrankungen zu verhindern. Seminare wie „Gesundheit kompakt“, die sogenannten „Kurzkuren“, „Stark gegen Stress“ oder „Stressmanagement-Seminare“ der SVLFG sollen helfen, mit besonderen Situationen wie ungesundem Dauerstress, einer anstehenden Betriebsübergabe oder der Pflege von Angehörigen besser umgehen zu können und möglichst gesund zu bleiben.

Unterstützung zu Hause geben Online-Gesundheitstrainings zu Themen wie „Fit im Stress“, „Stimmung“, „besserer Umgang mit chronischen Schmerzen oder Diabetes“ und „depressive Beschwerden“. Auch intensives Einzelfallcoaching mit telefonischer Unterstützung durch einen Psychologen in regelmäßigen Gesprächen bietet die SVLFG.

Telefonisch Kontakt aufnehmen können Sie unter 0561-78510512, per E-Mail: gleichgewicht@svlfg.de, Infos im Internet: www.svlfg.de/gleichgewicht

Eine telefonische Krisenhotline rund um die Uhr gibt es unter 0561-78510101.

Infos zur medizinischen Reha, zu versicherungsrechtlichen und zu den persönlichen Voraussetzungen sowie zur Antragstellung finden Sie unter: svlfg.de/medizinische-rehabilitationsleistungen. Infos zur Betriebshilfe unter: www.svlfg.de/betriebshilfe-haushaltshilfe

Kontakt:
Telefon: 0561 785-219065
E-Mail: reha@svlfg.de bzw. bhh@svlfg.de
Ambulante Psychotherapie: svlfg.de/psychotherapie

LEH

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