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DORFLEBEN

Mit Material aus der Natur

Dies Zweiständerhaus von 1792 hat das Dachdeckerunternehmen von David Heidenstedt neu eingedeckt.

Seit dem Jahr 2014 gehört das Handwerk des Reetdachdeckens zum bundesweiten immateriellen Kulturerbe. Weltweit ist es eine der ältesten Handwerkstechniken und wird traditionell in vielen Regionen zum Hausbau angewandt. In Deutschland ist diese besondere Handwerkskunst vorwiegend in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zu finden.

Bereits um 4000 vor Christus bauten Menschen mit Reet, Ried, Reith, Rohr oder Schilfrohr. Je nachdem, wie der Naturbaustoff in der jeweiligen Region bezeichnet wurde. Die ältesten in Deutschland nachgewiesenen Fundstellen reetgedeckter Bauten, sind die Pfahlbauten am Bodensee. Diese befinden sich im ältesten Freilichtmuseum Deutschlands, in Unteruhldingen am Nordufer des Bodensees. Sie sind Siedlungsüberreste aus der Stein- und Bronzezeit und bieten Archäologen ideale Forschungsbedingungen, die Aufschluss darüber geben, wie vorzeitliche Häuser einst aussahen und mit welchen Werkstoffen sie gebaut wurden.

Auch Vögel müssen nicht auf eine schicke Bedachung verzichten: David Heidenstedt und seine Lebensgefährtin Jessica Dehning zeigen ein Vogelfutterhäuschen mit Reetdach.

Das Dachdeckerunternehmen von David Heidenstedt in Schneverdingen im Landkreis Heidekreis hat sich dem traditionellen und historischen Baustoff Reet verschrieben. Für den Reetdachdecker und gelernten Zimmermann gehört dieser Werkstoff zum täglichen Leben. Die Liebe zu dem Naturmaterial übernahm er von seinem Vater, der über 30 Jahre als Reetdachdecker tätig war. Zusammen mit seinem Team von acht naturverbundenen Vollzeit-Dachdeckern und seiner Lebensgefährtin Jessica Dehning, als gute Seele im Büro, werden bei dem Schneverdinger Dachdeckerunternehmen Bauherrinnen- und Bauherrenträume wahr.

Ein Jahr Wachstum

Fachgerecht werden Dachflächen mit Reet gedeckt, marode Dächer wieder instand gesetzt sowie Gauben, Dachfirste und Erker unter den Händen der Fachkräfte zu reetgedeckten Hinguckern. Viele individuelle Wünsche werden in die Tat umgesetzt. So erhielten sogar schon Toreinfahrten, Brunnen und Pavillons eine Reet-Neueindeckung. Und auch an naturverbundene Interessierte, die keine Reet-Dachfläche ihr Eigen nennen, hat das Unternehmen gedacht. So kann die Beobachtung heimischer Vögel in einem reetgedeckten Vogelhaus mit Heidefirst zu einem besonderen Augenschmaus in den Wintermonaten werden.

Die Ausführung dieser alten Handwerkstätigkeit setzt sich aus traditionellen Gepflogenheiten und Überlieferungen zusammen, die von einer Generation auf die nächste weitergegeben werden und beinhaltet ein immenses Interesse der Ausführenden an diesem natürlichen Werkstoff.

Vom Klopfbrett bis zum Bindedraht: Die erforderlichen Werkzeuge, um ein Dach mit Reet einzudecken, sind vielfältig.

„Reet ist ein nachwachsender Rohstoff und nicht durch Spritzmittel belastet. Es ist ein nachhaltiges Naturprodukt, was dazu führt, dass die Nachfrage hiernach zunehmend steigt“, erklärt der Firmeninhaber, der sein Reet zum größten Teil aus Ungarn bezieht. Doch bis es soweit ist und eine bestellte Lieferung nach Schneverdingen auf den Weg gebracht wird, muss das Reet erst einmal ein knappes Jahr heranwachsen. Reet wächst im einjährigen Zyklus. Im Herbst ist die Pflanze noch sattgrün. In den Wintermonaten wirft sie ihr Laub ab und nimmt die hellbraune Färbung an. Dann ist Erntezeit und die Motorbalkenmäher kommen zum Einsatz. Nach der Ernte wird es gereinigt und zu Bunden zusammengefasst und zum Trocknen pyramidenförmig aufgestellt.

„Eine Lastwagenladung Reet enthält bis zu 3.300 Bunde. Ein Bund hat einen Umfang von 63 Zentimetern, ist 1,60 bis 2,30 Meter lang und wiegt zwischen 3 und 4,5 Kilogramm. Für die Dacheindeckung eines Einfamilienhauses mit einer Dachfläche von 250 Quadratmetern werden in der Regel 2.500 Bund Reet benötigt. Für diese Dachflächengröße sind drei bis vier Dachdecker das Maximum, da sich die Mitarbeiter sonst in die Quere kommen. Für eine glatte Dachfläche ohne Besonderheiten werden pro Quadratmeter zehn Bund verarbeitet“, führt Heidenstedt aus. Die Ausführung dieser Arbeiten erfolgt nach den Fachvorschriften des Zentralverbands des Deutschen Dachdeckerhandwerks.

Duale Ausbildung

Das Reetdachdecken als Ausbildungsberuf ist ab dem Jahr 1998 entwickelt worden, wobei die dreijährige Ausbildungszeit im dualen System stattfindet. Im dritten Jahr steht die Spezialisierung auf eine bestimmte Dachdecktechnik an, wie zum Beispiel die des Reetdachdeckens. Firmeninhaber Heidenstedt kann Schulabgängern die Wahl dieses Berufes nur empfehlen, da es unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ein Beruf mit Zukunft sei. Des Weiteren verrät er, dass auch er beabsichtige den Ausbilderschein zu erwerben, damit in seinem Unternehmen Auszubildende an diese Fachrichtung herangeführt werden können.

Doch wie geht das Dacheindecken mit Reet nun eigentlich? Es wird an der Traufe begonnen und bis zum First eine glatte durchgehende Fläche mit einzelnen Lagen Reet ausgelegt. Dabei verläuft das Reet in Längsrichtung von der Traufe bis zum First und die Stoppelenden sind traufseitig. Ein genaues Augenmerk muss vorher auf die Dachlattung gelegt werden. Denn je nach Länge der Bunde müssen auch die Abstände der Lattung variieren. Kurzes Reet – kurzer Abstand, langes Reet – langer Abstand. Ebenso ist auf die Dachneigung zu achten. Hier schreibt die Fachregel eine Neigung von mindestens 45 Grad vor.

Um die einzelnen Reetlagen mit dem Dach zu verbinden, wird ein Chromnickeldraht oder Edelstahldraht der Stärke von 1,1 Millimetern verwendet. Dabei wird zwischen gebundenem, genähtem und geschraubtem Reetdach unterschieden. Bei Ausführung der gebundenen Technik kommen ein Vorlage- und ein Bindedraht zum Einsatz, um das Reet zu befestigen. Bei der genähten Version wird das Reet, mittels einer Bindenadel an die Dachlatten gebunden. Beim geschraubten Reetdach werden die Lagen mit Draht befestigt und zudem mit den Dachlatten verschraubt. Die Fertigstellung des Firstes erfolgt je nach Region aus Heide oder Grassoden.

Auf diese Weise können sich in die Jahre gekommene Häuser zu bewundernswerten Blickfängern verwandeln. Bestes Beispiel dafür ist das Niedersächsische Zweiständerhaus aus dem Jahr 1792 der Familie Koopmann im Ort Hemslingen, im Landkreis Rotenburg. Dieses trumpft seit letztem Jahr mit einer neuen Reetdachdeckung vom Team Heidenstedt auf. Seit Fertigstellung erstrahlen 500 Quadratmeter Dachfläche dieses wohl ältesten Hauses des Ortes wieder im neuen Glanz.

Werkzeug für Reetdächer:

  • Nähnadeln: um das Reet mit der Dachlattung zu verbinden
  • Klopfbrett/Treibbrett: um eine gleichmäßige Reetfläche herzustellen und zum Entmoosen einer Dachfläche
  • Stopfbrett: zur Reparatur maroder Reetdachflächen
  • Reet-Dachdeckerschraube: zum Anschrauben an die Lattung
  • Vorstecker: zum Befestigen des Schachtdrahts
  • Bindedraht: zum Verbinden mit der Lattung
  • Rödler/Drillapparat: zum Festziehen der Bindung
  • Reet-, Strohschneider oder Heckenschere: um das Reet auf die gewünschte Länge zu bringen

jr

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