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35 Jahre nach Tschernobyl

Strahlungsbelastung: Wildbret ist sicher

Entspannte Sache: Auch dank uns Jägern ist das Wildbret von Schwarzwild sicher.

In aller Kürze

  • Cs-137 ist nach wie vor im Wildbret von Schwarzwild vorhanden. Es wird nach Aufnahme aber wieder ausgeschieden. Die Belastung ist somit fluktuierend
  • Belastung ist stark regionsabhängig
  • Verwertungsgrenze von 600 Bq/ kg ist sehr niedrig angesetzt. Radioaktive Strahlung der Luft ist deutlich höher
  • Strikte Kontrolle gewährleistet die Lebensmittelsicherheit

Es war der 26. April 1986, der Teile Europas für immer veränderte. Nahe der ukrainischen Stadt Prypjat, in Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl, ereignete sich damals eine Reaktorkatastrophe, bei der es zu einem immensen Austritt radioaktiven Materials gekommen ist. Insbesondere Cäsium-137 (Cs-137) kontaminierte durch den Fallout weite Teile Deutschlands, vor allem Gebiete des Voralpenlandes, des Münchener Umlands und des Bayerischen sowie Oberpfälzer Walds. Auch in Südsachsen, regional zwischen Magdeburg und Schwerin und nördlich von Lübeck sind heute noch Zentren der Strahlenbelastung. Selbst in Baden-Württemberg finden sich Landstriche mit gesteigerter Belastung, besonders im Mittel- und Hochschwarzwald.Die Halbwertszeit von Cs-137 beträgt 30,17 Jahre. Das bedeutet, dass über die Hälfte des anfänglichen Wertes an Radioaktivität mittlerweile zerfallen sein sollte. Besonders gut hält es sich in Pilzen, die wiederum gerne von Wildtieren – allen voran dem Schwarzwild – aufgenommen werden. Aus diesem Grund kann radioaktive Belastung in unterschiedlicher Stärke bis heute noch im Wildbret gegeben sein.

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In Deutschland ist es nicht erlaubt, Lebensmittel mit einem Radiocäsiumgehalt von mehr als 600 Becquerel pro Kilogramm (Bq/ kg) in den Handel zu bringen. Für den Eigenverzehr gilt diese Beschränkung nicht. Gleichwohl hat der Freistaat Sachsen in drei Landkreisen die Untersuchung von jedem erlegten Stück Schwarzwild zur Pflicht gemacht. In Bayern hingegen erfolgt diese Untersuchung auf freiwilliger Basis in Selbstverantwortung der Jägerschaft. Dafür stehen laut Angabe des Bayerischen Jagdverbands 115 Messstationen zur Verfügung. In Baden-Württemberg wiederum läuft ein verstärktes Überwachungsprogramm der Landesregierung, das sicherstellen soll, dass in den bekannten Belastungsgebieten auch jedes erlegte Stück Schwarzwild auf seine Strahlenbelastung hin untersucht wird.

„Da der Radiocäsiumgehalt durch die Losung wieder ausgeschieden wird, schwankt die Belastung deutlich.“

Grundsätzlich können zudem andere Wildarten, wie Reh- und Rotwild über den Grenzwert hinaus strahlenbelastet sein. Allerdings wurden bei diesen Wildarten anders als beim Schwarzwild keine Höchstwertüberschreitungen festgestellt, was maßgeblich mit einer anderen Ernährungsweise begründet wird. Denn durch ihr Wühlverhalten bei der Nahrungssuche können Sauen schon mit kontaminiertem Material in Kontakt kommen.

Die dabei aufgenommenen Wurzeln und Pilze sorgen dann unter Umständen für eine erhöhte Konzentration im Wildbret. Da der Radiocäsiumgehalt aber auch wieder durch die Losung ausgeschieden wird, schwankt die Belastung deutlich, je nachdem, wann das Stück erlegt wurde und wie weit die Aufnahme zurückliegt. Eine Sau, die eine gewisse Menge an belastetem Hirschtrüffel aufgenommen hat, ist also nicht für immer verstrahlt.

Im sächsischen Pflichtuntersuchungsgebiet sind im Jagdjahr 2019/ 2020 1.946 Schwarzwildproben untersucht worden. In 240 Proben war der zugelassene Höchstwert überschritten, was einen Anteil von etwa 12 % entspricht. Im selben Zeitraum zeigten sich in Baden-Württemberg 20 % der 4.486 Proben als über dem Grenzwert liegend. Von dort tauchen immer mal wieder auch einzelne Spitzenreiter auf. So erreichte eine in Rot an der Rot (Lkr. Biberach) eingereichte Probe gar den erstaunlichen Wert von 10.000 Bq/ kg. Allerdings wird diesem einsamen Spitzenreiter durch den Gesamtdurchschnitt im Ländle von moderaten 381 Bq/ Kg doch etwas die Dramatik genommen. Für Bayern liegt der Spitzenwert mit etwa 9.800 Bq/ kg bei einem 2013 im oberpfälzischen Landkreis Cham erlegten Stück.

Hintergrundwissen

Was ist eigentlich was?

  • Sievert: Maßeinheit für ionisierende Strahlung. Benannt nach dem schwedischen Physiker Rolf Sievert. 1 Millisievert = 0,001 Sievert (ein Tausendstel Sievert), 1 Mikrosievert = 0,000 001 Sievert (ein Millionstel Sievert).
  • Becquerel: Maßeinheit für die Aktivität einer radioaktiven Substanz. Benannt nach dem französischen Physiker Antoine Becquerel. 1 Becquerel entspricht dem Zerfall von einem Atom pro Sekunde.
  • Für 1 Millisievert ionisierender Strahlung müsste man etwa 80.000 Becquerel Cäsium-137 zu sich nehmen.
  • Die medizinische Anwendung von ionisierender Strahlung (wie zum Beispiel durch Röntgen, Computertomografien oder nuklearmedizinische Untersuchungen) führt in Deutschland zu einer zusätzlichen Strahlenexposition von etwa zwei Millisievert pro Jahr und Einwohner. Johannes Maidhof

Regional kann die Belastung zudem stark schwanken. So überstieg z.B. im westlichen Spessart keine einzige aller jemals erfassten Proben die Grenze, während im Bayerischen Wald an die 70 % aller erlegten Sauen verworfen und über eine Tierkörperbeseitigungsanstalt entsorgt werden mussten. Für diese Fälle wird in der Regel eine Entschädigung vom Bundesverwaltungsamt geleistet, die den Wert, der mit dem Verkauf des Wildbrets erzielt worden wäre, sogar deutlich übersteigt. Hiermit soll die Motivation der Jäger hochgehalten werden, die Untersuchungen durchführen zu lassen. Derzeit werden für einen Frischling 100 €, für adulte Sauen 200 € Entschädigung geleistet.

Trotz der hohen Werte an kontaminierten Sauen sehen Verbraucherschützer, Ernährungsexperten und Strahlenschutzfachleute keinen Grund zur Panik. Der Grenzwert ist in Deutschland nämlich niedrig angesetzt. Während Österreich gleichzieht und ebenfalls einen Höchstwert von 600 Bq/ kg vorschreibt, sehen unsere eidgenössischen Nachbarn die Thematik gelassener: 1.250 Bq/kg lautet dort die Obergrenze, in Schweden lässt man 1.500 Bq/kg zu.

Laut der Radiocäsium-Messstation des BJV im unterfränkischen Kahlgrund liegen zudem Kontrollmessungen der natürlichen radioaktiven Strahlung in der Luft um das zehnfache höher (!) als die im Wildbret gefundenen Werte. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit erklärt hierzu, dass die durchschnittliche natürliche Strahlenbelastung der Bevölkerung bei ca. 2,1 Milli-Sievert pro Jahr liegt. Eine Portion von 0,5 kg Wildbret mit einer Belastung von 600 Bq/ kg hätte eine effektive Dosis von 3,9 Mikro-Sievert ionisierender Strahlung. Für die Immerhungrigen in Portionen ausgedrückt: Mit 500 g, also einem recht ansehnlichem Steak oder einem großen Burger mit Doppel-Patty, werden dann gerade einmal 0,1 % der durchschnittlichen jährlichen Strahlenbelastung, die ohnehin auf uns einwirkt, aufgenommen.

Einen gänzlichen Verzicht von Wildschweinfleisch empfiehlt dementsprechend nicht mal die Verbraucherzentrale Bayern. Man rät dort nur, Wildschwein aus den betroffenen Regionen nicht zu häufig zu verzehren. Außerdem könne jeder, der Wildschwein vom Jäger bezieht, nach dem Messprotokoll fragen. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz zeigt sich optimistisch: Zwar wandere Radiocäsium nur langsam in tiefere Schichten des Waldbodens, aufgrund der Tiefenverlagerung und des radioaktiven Zerfalls rechnet man in den nächsten Jahren aber mit zurückgehenden Aktivitätswerten in Pilzen und Wildbret.

Und noch ein Fakt zum Abschluss: Auf einem Flug von Frankfurt nach New York und zurück liegt die durchschnittliche effektive Dosis bei ca. 100 Mikrosievert. Für Wenigflieger eine interessante Info. Wer daheim bleibt, kann sich im Gegenzug und guten Gewissens 12,8 kg Wildbret mit einer Strahlenbelastung von 600 Bq/ kg schmecken lassen und tut dabei auch noch was gegen den Klimawandel.

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