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Äpfel unter Strom

Bioobstbauer Christian Nachtwey mit Hofhund Oskar in der Obstanlage.

Auf den Punkt

  • Der Obsthof Nachtwey testet die erste deutsche Agri-PV-Anlage über Bioäpfeln.
  • Vorteile für den Anbau der Äpfel werden durch den Schutz vor Feuchtigkeit erhofft.
  • Partner des Pilotprojekts untersuchen zahlreiche Fragestellungen für die Praxis.

Hofhund Oskar würdigt die hoch aufgeständerte Solaranlage keines Blickes. Der Appenzeller Sennenhund versenkt seine Nase lieber in Mauselöcher, während sein Herrchen, der junge Biobauer Christian Nachtwey, mir mit Begeisterung die erste Agri-Photovoltaikanlage (Agri-PV) Deutschlands in einer Apfelplantage erklärt.

Gemeinsam sind wir nur ein paar Hundert Meter vom Obsthof Nachtwey in die Anlage am Ortsrand von Grafschaft-Gelsdorf gefahren. Dort steht seit wenigen Monaten die geradezu futuristisch anmutende Stahlkonstruktion. Noch sind nicht alle Elemente vollständig eingerichtet. Zum Beispiel fehlt zum Zeitpunkt meines Besuchs die Trafostation zur Einspeisung in die Mittelspannungsleitung.

Aber dennoch: Das Forschungsprojekt fasziniert schon jetzt. Das vielfältige Potenzial von Agri-PV zur Energiegewinnung einerseits und zum Schutz wertvoller Dauerkulturen andererseits erschließt sich dem Besucher schnell, wenn Christian Nachtwey zu erzählen beginnt.

Der junge Gartenbauer war sofort überzeugt, als er von einem Lokalpolitiker darauf angesprochen wurde, ob er bereit sei, an dem Pilotvorhaben mit Flächen seines Naturland-Betriebes teilzunehmen. „Zu so einem Projekt kann man nicht nein sagen. Das ist eine einmalige Chance. Da mussten wir von Anfang an dabei sein“, sagt der 26-Jährige. Zu viel gibt es für ihn als Obst- und jetzt auch Energieerzeuger dabei zu lernen.

Die Nähe der Versuchsfläche zu dem kleinen Ort Gelsdorf an der Landesgrenze von Rheinland-Pfalz zu Nordrhein-Westfalen ist für das Projekt von Vorteil. Denn der Solarstrom aus der Anlage soll in das Mittelspannungsgesetz eingespeist werden. Mit einer installierten Leistung von 258 kWp dürften die Module ausreichen, um den jährlichen Strombedarf von etwa 60 Haushalten in Gelsdorf zu decken.

Aufwändige Konstruktion

Die Solarmodule stehen auf 4 m hohen Stahlstützen. Diese sind 3 m tief im Boden stabil verankert. Ein Teil der Modulreihen ist fest installiert, ein anderer Teil witterungsgeführt. Die Solarmodule sind 2 m lang und 1 m breit. Zwischen den Stützen sind circa 3 m breite Gassen. Durch diese Gassen können der Landwirt und seine Mitarbeiter mit dem Schlepper durchfahren zur Pflege und Ernte. Die Fahrgassen sind mit einer Blühmischung begrünt.

In den Reihen stehen die neu angepflanzten Apfelbäume. Das gesamte Design der Anlage folgt dem Gedanken des Kulturschutzes und möglichst geringer Nachteile für die Arbeiten in der Obstplantage – zum Beispiel Pflanzenschutz, Schnitt und Ernte.

Eldorado für Forscher

„Wir haben im Mai 2021 acht Sorten Äpfel angepflanzt. Die Verteilung der Sorten erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Das ist wichtig für die Auswertung der Forschungsergebnisse“, erklärt Christian Nachtwey.

Die Gelsdorfer Agri-PV-Anlage soll nämlich Antworten geben auf eine unglaubliche Vielzahl von Fragen: angefangen von der Effizienz der Stromerzeugung über den Einfluss auf Ertrag und Qualität der Äpfel über die Wirksamkeit als Hagel- und Sonnenschutz bis hin zum Einfluss auf die Insektenpopulation und die Akzeptanz des Bauwerks in der Bevölkerung.

Das Vorhaben wird reichlich Stoff liefern für Dutzende Master- und Doktorarbeiten. Darum wurde die Gesamtfläche von 9.100 m2 nach einem strengen Versuchsdesign aufgebaut. Nicht nur, dass die Apfelsorten randomisiert gepflanzt wurden. Das Areal wurde auch in zwei gleich große Parzellen eingeteilt.

Christian Nachtwey überprüft die Arbeit der Wasch- und Sortieranlage. Seine Bioäpfel vermarktet er sowohl über den Lebensmitteleinzelhandel als auch über den eigenen Hofladen.

Davon trägt eine Parzelle die Agri-PV-Anlage, während die beiden anderen mit klassischen Hagelschutznetzen beziehungsweise regendichten Folien vor Extremwetterlagen geschützt werden. Auf jeder Parzelle steht die gleiche Anzahl an Apfelbäumen. Die Ernteergebnisse können so verglichen werden.

Für Obstbauer Nachtwey ist das der interessanteste Teil des Forschungsprojektes: „Wir werden hoffentlich analysieren können, wie sich die verschiedenen Verfahren zum Schutz der Dauerkulturen auf Qualität und Ertrag auswirken. Im Bioanbau ist Feuchtigkeit der größte Feind des Obsterzeugers. Wenn es gelingt, wegen des Regenschutzes durch die Solarmodule die Anzahl der Pflanzenschutzspritzungen zu reduzieren, wäre das ein Riesenvorteil“, sagt Nachtwey.

Das könnte den Effekt von Ertragseinbußen durch den geringeren Lichteinfall mehr als ausgleichen, umso mehr, als die empfindlichen Äpfel auch vor Starkregen, Hagel, Sonnenbrand und Frost geschützt werden. Wie gut dieser Schutz gelingt und mit welchen Ertragseinbußen er möglicherweise erkauft wird, das soll das Projekt unter anderem beantworten. Wichtige Daten liefert in diesem Zusammenhang die eigens am Feldrand errichtete solargestützte Wetterstation.

Viele Partner mit an Bord

Ein solches Vorhaben erfordert starke, auch finanzstarke Partner. Errichtet wurde die Anlage vom Unternehmen BayWa r.e. gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Gefördert wird das Projekt vom rheinland-pfälzischen Umweltministerium und vom Bundeslandwirtschaftsministerium. Das übergeordnete Ziel lautet, die Klimaresilienz im Obstbau zu steigern und eine sichere und nachhaltige Apfelproduktion mit zusätzlicher Stromerzeugung zu kombinieren.

Stephan Schindele, Leiter des Produktmanagements Agri-PV bei der BayWa r.e., erläutert: „Nachdem wir in den Niederlanden sehr erfolgreich professionellen Beerenanbau unter Agri-PV realisiert haben, gehen wir in Gelsdorf den wichtigen Schritt in Richtung Spalierobst.“

Für Obsterzeuger Christian Nachtwey stehen die pflanzenbaulichen Erkenntnisse zwar im Vordergrund, er profitiert aber auch von der Stromerzeugung. Zum einen stellt Projektpartner AGCO einen elektrischen Fendt 100 Vario zur Verfügung. Der Schlepper kann mit Strom aus der Anlage geladen werden.

Die Parzellen mit Hagelschutznetzen, Folien und Solarmodulen sind nebeneinander angeordnet. Die Bepflanzung erfolgte randomisiert mit acht Sorten Äpfeln.

Zum anderen kann das Bewässerungssystem mit Eigenstrom versorgt werden. Die Bewässerung ist notwendig, weil der Baumstreifen unter den Paneelen trockener bleibt als zum Beispiel unter regendurchlässigen Hagelschutznetzen.

Durch ein betriebliches Energiekonzept wird versucht, die CO2-Emissionen auf dem Hof zu reduzieren. Das kann – gerade im Bioanbau – zum Verkaufsargument in der Direktvermarktung, aber auch gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel werden.

Schon jetzt wird das CA-Lager des Betriebes teilweise mit Solarstrom aus der eigenen Dachanlage betrieben. „Wer weiß, vielleicht werden wir mit dem dezentral erzeugten Strom ab dem Feldrand eines Tages auch Pflückroboter betreiben“, blickt Nachtwey in die Zukunft.

Politik muss den Weg ebnen

Wer die Anlage in Gelsdorf sieht, erkennt aber auch: Würden Agri-PV dieser Bauart großflächig ausgeweitet, hätte das beträchtlichen Einfluss auf das Landschaftsbild. „Wir nehmen mit dem Projekt gesellschaftliche Fragen wie Akzeptanz und Sozialverträglichkeit in den Fokus, da diese Aspekte bei der weiteren Verbreitung der Agri-PV eine entscheidende Rolle spielen werden“, sagt Andreas Steinhüser vom Fraunhofer ISE.

Eine Wetterstation zeichnet die Witterungsdaten direkt am Feldrand auf. Zum Versuchsdesign gehört eine Kontrollparzelle unter Hagelschutznetzen.

Das ist gut so. Grundsätzlich hat die Agri-Photovoltaik nämlich durchaus das Potenzial, durch eine intelligente Doppelnutzung der Fläche für Landwirtschaft und Stromerzeugung der Verknappung von landwirtschaftlichen Flächen entgegenzuwirken und zugleich zur Generierung von Einkommen und erneuerbaren Energien beizutragen.

Da zudem die Stromgestehungskosten für Agri-PV in Dauerkulturen nach Berechnung des Fraunhofer ISE mit durchschnittlich 7,13 Cent/kWh niedriger sind als bei kleinen Dachanlagen (unter 10 kWp) und nur etwa ein Drittel über den von Freiflächenanlagen liegen, könnte die Doppelnutzung wirtschaftlich durchaus attraktiv sein.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die in Deutschland installierte Photovoltaik-Kapazität bis 2050 um den Faktor acht bis zehn erhöht werden muss, wenn ein klimaneutrales Energiesystem Wirklichkeit werden soll.

Technisch und wirtschaftlich ist Agri-Photovoltaik also längst machbar, doch einer breiten Nutzung stehen vor allem noch regulatorische Probleme im Weg:

  • Der Strom aus Agri-PV-Anlagen wird nicht nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vergütet.
  • Agri-PV genießen keine Privilegierung für das Bauen im Außenbereich gemäß § 35 Absatz 1 des Baugesetzbuches.
  • Agri-PV-Anlagen werden im Flächennutzungsplan bislang unzutreffend als elektrische Betriebsstätte/Gewerbe ausgewiesen und damit als versiegelte Fläche.

Aber diese Hürden lassen sich aus dem Weg räumen, wenn der Gesetzgeber das will. Da die Ampelkoalition „neues Tempo in die Energiewende“ bringen will, sollten sich hier in den nächsten Jahren Erleichterungen abzeichnen. Immerhin heißt es im Koalitionsvertrag: „Auch innovative Solarenergie wie Agri- und Floating-PV werden wir stärken und die Ko-Nutzung ermöglichen.“

Der Eigenstrom aus Agri-PV könnte eines Tages einen Pflückroboter antreiben.

Christian Nachtwey, Bioobsterzeuger

Ein erstes Zeichen in dieser Hinsicht war die Änderung der GAP-Direktzahlungen-Verordnung zum Jahreswechsel. Nun schließen sich die Nutzung einer Fläche durch Agri-PV und der Bezug von Flächenprämien nicht länger aus.

Bei diesem Pilotprojekt ist die EU-Flächenprämie für Obsterzeuger Christian Nachtwey allerdings zweitrangig. Er ist vor allem gespannt darauf, wie sich die Solarmodule als Schutz seiner Bioäpfel vor Hagel, Starkregen, Sonnenbrand und Frost bewähren. Seine Kunden dürften es schätzen, wenn ihr Bioobst künftig mit weniger Pflanzenschutzmitteln auskommt und nebenher auch noch einen Beitrag zur nachhaltigen Energieerzeugung leistet. ●

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