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Interview

„Wir brauchen endlich Rechtssicherheit“

Herr Lies, gehen Sie noch unbeschwert im Wald spazieren?

Ich persönlich tue das. Aber ich glaube, das liegt eher daran, dass ich nicht weiter darüber nachdenke.

Und wenn jemand anderes Sie um Rat fragt?

Das finde ich schon schwieriger. Wir alle kennen inzwischen die Bilder von Wölfen, die sich Menschen bedenklich nähern. Auf jeden Fall muss man sich also überlegen: Wie reagiere ich im Fall der Fälle?

Wie reagiert man denn richtig?

Da sagt im Moment leider jeder etwas anderes: Laut schreien, ruhig bleiben, stehen bleiben, groß machen. Auf jeden Fall soll man Dominanz zeigen. Das funktioniert aber nur, wenn man diese Dominanz auch spürt. Und genau das ist schwierig in einer Situation, deren Gefährlichkeit man nicht gut einschätzen kann.

Interviewpartner

Olaf Lies

Niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz (SPD)

Die Wolfsproblematik ist in Niedersachsen besonders ausgeprägt. Im vergangenen Jahr gab es fast 1.500 tote, verletzte und vermisste Nutztiere. Wie soll das weitergehen?

Was wir garantiert nicht wollen, ist, dass sich jeder selber schützt. Wir brauchen einen bundesweiten rechtlichen Rahmen, einen Praxisleitfaden Wolf.

Aber genau mit diesem Vorschlag sind Sie mit Ihren Amtskollegen bei der Umweltministerkonferenz Mitte April nicht übereingekommen.

Das ist leider richtig. Für den Leitfaden waren Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und das Saarland. Alle grünen Landesumweltminister haben dagegen gestimmt. Zuzüglich Bayern. Dort gehört der Umweltminister zu den Freien Wählern. Sein Verhalten hat mich, ehrlich gesagt, verwundert. Für wirklich problematisch halte ich aber das geschlossene Auftreten der grünen Kollegen. Da standen eigentlich auch einige dem Praxisleitfaden positiv gegenüber. Aber am Ende siegte die Parteiraison und ich finde, das wird der Sache nicht gerecht.

Wie meinen Sie das?

Ich habe vollstes Verständnis, wenn jemand wirklich gegen den gemeinsamen Leitfaden ist. Vor allem wenn das betreffende Land noch nicht so stark von Wölfen besiedelt ist. Da ist die Risikoeinschätzung sicher noch anders. Aber Parteipolitik und Parteisolidarität dürfen bei so einem Thema keine Rolle spielen.

Und wie geht es nun weiter?

Wir bleiben dran. Ich fürchte nur, das Ziel der grünen Kollegen ist es, eine Entscheidung zu diesem unbequemen Thema auf die nächste Umweltministerkonferenz und damit hinter die Bundestagswahl zu schieben.

Hätten Sie sich bei Ihrem Amtsantritt vor dreieinhalb Jahren träumen lassen, dass der Wolf mal so eine zentrale Rolle in Ihrer Arbeit spielen würde?

So ganz überrascht von der Entwicklung war ich nicht. Ich war ja vorher schon fünf Jahre Wirtschaftsminister. Und wenn damals im Landtag die Sprache auf den Wolf kam und mein Amtsvorgänger Stefan Wenzel musste ans Pult, hab ich immer gedacht: Das ist ein Mistthema. Aber wenigstens hatten unsere Vorgänger noch deutlich mehr Zeit.

Was hat sich verändert?

Als ich ins Amt gekommen bin, hatten wir in Niedersachsen zehn Rudel. Jetzt haben wir 36. Das heißt, meine Mitarbeiter und ich haben mitten in einem exponentiellen Wachstum übernommen. Inzwischen hat sich das von „Ach, so schlimm ist es ja noch gar nicht ...“ hin zu „Jetzt ist es absolut dramatisch!“ entwickelt.

Am schärfsten kritisieren die Gegner Ihrer Wolfspolitik, dass Sie die Abschussgenehmigungen nicht offenlegen. Die Grünen haben jetzt sogar dagegen geklagt. Warum halten Sie diese Daten unter Verschluss?

Damit schützen wir die, die rechtsstaatliche Beschlüsse für uns umsetzen und die einige extreme Wolfsschützer so einzuschüchtern versuchen, dass sie ihre Aufgaben nicht mehr erledigen können. Wir sehen ja in letzter Zeit, zu was für Mitteln manche dabei greifen. Da werden Schrauben senkrecht in Wurzeln gedreht und die Köpfe abgesägt, damit sich Menschen beim Drauftreten verletzen. Hochsitze werden abgebrannt, Radmuttern an Autos entfernt. Ich sehe mich einfach in der Pflicht, die Jäger, aber auch die Weidetierhalter, die den Abschuss beantragt haben, zu schützen. Wenn ich die Abschussgenehmigungen offenlege, zeige ich, woher der Antrag kommt. Und ich grenze räumlich und zeitlich ein Gebiet ein, in dem dann Störaktionen laufen oder Kameras aufgestellt werden, um Jäger zu identifizieren. Das bringt diese Menschen und ihre Familien in akute Gefahr.

Sie werden aber auch persönlich heftig angefeindet. Wie gehen Sie damit um?

Diejenigen, die mich angreifen, sind nicht der breite Teil der Gesellschaft, aber sie sind ein extrem lauter Teil. Das geht von unangenehmen Postings in den sozialen Medien über Beleidigungen bis hin zu Bedrohungen und Telefonterror. Eine ganze Reihe von Fällen haben wir inzwischen an die Staatsanwaltschaft abgegeben.

Macht einen das nicht mürbe? Warum setzen Sie sich trotzdem so sehr für ein verändertes Wolfsmanagement ein?

Die jetzige Entwicklung kann so nicht weitergehen. Wir riskieren den Fortbestand der Weidetierhaltung. Das können wir uns nicht leisten. Durch sie haben wir ein unglaub- liches Mehr an Artenvielfalt. Und Weidetiere sind unverzichtbar, damit unsere Kulturlandschaft überhaupt gepflegt bleibt. Wir haben die Tierhaltung vielerorts schon aus ökonomischen Gründen in den Stall verlegt. Jetzt wollen wir sie auch noch aus ökologischen Gründen nach drinnen verdrängen, weil wir sagen: Hier draußen muss der Wolf unbehelligt leben? Das geht nicht.

Wie soll es also weitergehen mit dem Wolf?

Eins ist klar: Wir wollen den Wolf in Deutschland nicht wieder ausrotten. Dafür gäbe es auch gesellschaftlich niemals eine Legitimation. Aber wir müssen das exponentielle Populationswachstum brechen. Und wir müssen die Wölfe schießen, die sich regelmäßig an Weidetieren vergreifen, damit sie ihr Verhalten nicht an die nächsten Generationen weiterreichen. Dafür brauchen wir Rechtssicherheit und eine Vorgehensweise, die nicht jedes Mal aufs Neue auf den Prüfstand gezerrt werden kann. ●

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