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Interview

„Pflanzenschutzmittel vermeiden“

Michael Horsch ist Gründer und Geschäftsführer der Horsch Maschinen GmbH in Schwandorf/Sitzenhof. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Hybrid-Landwirtschaft.

Herr Horsch, was ist heute die zentrale Rolle der Landwirtschaft?

Das ist einfach. Früher hat die Landwirtschaft die Bevölkerung nur zu ernähren gehabt. Heute sagen uns Klimaforscher seit Jahren, dass wir das Klima verändern. Und damit scheinen sie ja recht zu haben. Wir gehen jetzt in eine Warmzeit, an der wir unseren Anteil haben. Wir müssen als Landwirte zwar immer noch die Versorgung der Menschen sicherstellen. Aber: Wir müssen die Menschen auch über das, was sie essen, gesünder machen. Und damit werden dann Fragen des Klimas, des gesunden Bodens, des Pflanzenschutzes und der Düngung neu aufgerollt. Da sehe ich für den Landwirt die größten Herausforderungen, aber eben auch die größten Chancen.

Ist das schon bei den Landwirten angekommen?

Ja, ja, ich denke schon. Gerade die Jüngeren haben verstanden, dass wir uns anpassen müssen. Das gilt weltweit.

"Die Mikrobiologie des Bodens hat hierzulande bislang kaum eine Rolle gespielt."

Michael Horsch

Heißt das, dass wir uns von bestimmten Formen der Bewirtschaftung verabschieden müssen?

Da wäre ich vorsichtig. Ich glaube nicht, dass einzelne Produktionsformen ganz verschwinden werden. Es wird aber Anpassungen geben. In erster Linie, weil ich als Landwirt ein zusätzliches Geschäft machen will. Ich produziere nicht nur Nahrungsmittel, sondern ich produziere beispielsweise einen Kohlenstoffspeicher. Insofern wird sich schon etwas ändern.

Sind einzelne Aspekte stärker betroffen?

Der Pflanzenschutz. Weniger bei Herbiziden, aber gerade bei Insektiziden und Fungiziden wird es starke Veränderungen geben.

Also heißt das: weniger Pflanzenschutz und mehr Schäden in Kauf nehmen?

Nee, nee, im Gegenteil. Aber dafür muss ich ausholen: Die Mikrobiologie des Bodens hat hierzulande bislang kaum eine Rolle gespielt. Und dann reibt man sich die Augen, wenn man überall auf der Welt Beispiele findet, wie Landwirte, konventionelle Landwirte, es schaffen, Pflanzenschutzmittel zu ersetzen. Weil sie den Boden und das Biom verstanden haben. Bei gleichen Erträgen wohlgemerkt! Nicht wie bei Ökobetrieben, wo die Erträge 20 bis 30 Prozent geringer ausfallen. In der angewandten Mikrobiologie stecken mehr Chancen drin als in der Digitalisierung.

Es heißt ja, in der Biolandwirtschaft wäre das Heil zu suchen. Landwirtschaft ist nach dieser Lesart gut, weil bio, und böse, weil konventionell …

Die Wahrheit liegt dazwischen: in einer Hybrid-Landwirtschaft. Manche nennen es regenerative Landwirtschaft, aber das sind lediglich Begriffe. Ich nenne es lieber Hybrid-Landwirtschaft. Und dabei wird auch Chemie noch eine Rolle spielen, aber eben eine geringere als in der Vergangenheit.

In der Theorie hört sich das gut an.

Ich sehe es in der Praxis. Etwa in Brasilien. Ich besuche da regelmäßig unsere Kunden und bin jedes Mal erstaunt. Da heißt es: Ja, wir überlegen, dies und das zu tun. Und ein Jahr später haben sie den Betrieb umgestellt.

Wie kann man sich das vorstellen?

Nehmen wir zum Beispiel einen Betrieb, den ich gut kenne. Der hat 10.000 ha, eine mittlere Größe für Brasilien also. Der Landwirt sucht ein geeignetes Fleckchen und nimmt ein Stück Boden aus dem Wald neben seinem Acker. Diese Probe testet er und wenn sie ok ist, gibt er sie mit 2.000 Liter Wasser, Fischmehl, Zucker, Maismehl in einen großen Topf. Das rührt er drei Tage lang. So vermehrt er das Mikrobiom des Bodens stark. Die Flüssigkeit verteilt er auf seinen Feldern. Zehn Liter auf den Hektar. Das führt zu 60 bis 70 Prozent weniger Pilz- und Insektenbefall. Wenn das aber nicht reicht, vermehrt der Landwirt spezielle Pilze und Bakterien in seinem Reinraum und hilft so seinen Kulturen weiter. Und wenn das dann nicht reicht, gibt es immer noch die Option, zum Pflanzenschutzmittel zu greifen. Es gilt immer: So wenig wie möglich.

Sie sagten, in Brasilien seien diese neuen regenerativen Methoden sehr professionalisiert. Und in Deutschland? Sind wir da noch auf der "magischen" Stufe?

Ich will das nicht verteufeln, aber es ist schon grenzwertig, was da mitunter in Deutschland praktiziert wird. So bei Vollmond über den Acker tanzen und bisschen Brennnesselsuppe rechtsdrehend links verschütten – da hört es irgendwann mal auf. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich glaube an die Wirkmechanismen, aber die Wissenschaft dahinter fehlt mir. Das sind rein empirische Erkenntnisse, die weitergetragen werden.

Wir müssen verstehen: Die Natur will Vielfalt. Und jedes Mal stelle ich eine Monokultur auf meine Fläche. Da sind konventionelle und Biolandwirtschaft gleich. Aber das heißt, hier ist eine Art Pflanze bestimmend. Dadurch entsteht im Boden ein Ungleichgewicht. Einige Mitspieler im Biom werden bevorzugt, andere verdrängt. Das Gegenbeispiel ist Dauergrünland oder Mischwald. Da ist kein einzelner Pilz in der Lage, alles zu vernichten. Wir als Landwirte müssen im Grunde das Gleichgewicht außer Kraft setzen, um Erträge zu bekommen. Nur sollten wir uns dann nicht wundern, dass das biologische System ins Ungleichgewicht fällt und Pathogene oder Insekten überhand nehmen.

Also wir brauchen Forschung und dann brauchen wir Landwirte, die bereit sind …

Die haben wir. Das geht ganz schnell. Die Bereitschaft ist da. Aber die Masse konventioneller Landwirte sagt: „Ich gehe keinen Dingen nach, hinter denen keine Wissenschaft steht. Weiß ich denn, ob da 80 Prozent Esoterik dahinterstecken oder nur zehn Prozent?“ Viele, die diese neuen Ideen propagieren, sehen halt aus wie Spinner und argumentieren auch noch als Spinner.

Das heißt, wir brauchen weniger Spinner und mehr Mittler?

Den Spinner braucht es auch. Um Dinge anzuschieben. Aber Mittler sind unbedingt notwendig.

Sie leben von den Maschinen, die Sie verkaufen. Ändert hybride Landwirtschaft Ihre Produktpalette? Ist das gut? Oder winken Sie ab? Im Sinne: Da verdient man nichts dran.

Sie werden mir das vermutlich nicht abnehmen. Aber das interessiert mich erst einmal nicht, ob ich da ein Geschäft mache. Wenn ich in einer Gruppe spreche, mache ich mir den Spaß und frage: Wer möchte ein paar Kilo zulegen?

Vermutlich keiner.

Genau! Dann gehe ich einen Schritt weiter und sage, dass ich seit 40 Jahren daran arbeite, noch effizienter zu produzieren. Damit sie dann noch billigere Nahrungsmittel kriegen und mir dann sagen, sie wollen nicht fetter werden. Da stimmt doch was nicht. Das heißt: Ich selbst verfolge doch eigentlich ein falsches Ziel und muss mir Gedanken machen, was ich für die nächsten 40 Jahre anstrebe. Denn das kann es nicht mehr sein: Die Erträge hochzuschrauben und immer mehr Masse, Masse, Masse zu erzeugen, damit sich die Menschen nicht mehr nur mit Getreide sondern auch mit Schweinshaxe und Milch und Butter mästen.

Das ist schon sehr hart.

Ich übertreib’ natürlich. Aber es ist schon so, dass wir die westliche Gesellschaft als Wohlstandsmaßstab haben, dass wir uns krank fressen. Wir als Unternehmen sollten aber beispielsweise dazu beitragen, dass die Menschen gesünder leben. Das Klima kommt noch obendrauf! Oder besser: Das gehört sogar alles zusammen. Richtig interessant wird es, wenn man die Produktion von Getreide und die Kohlenstoffspeicherung zusammenbringt. Ohne ein intaktes Bodenbiom geht das gar nicht. Die Pflanze durch weniger Chemie gesünder halten und den Kohlenstoff durch aktives Bodenleben zu binden – das muss das Ziel sein.

Ich verstehe, dass es alle Werkzeuge gibt. Aber woran fehlt es denn noch? Sind es die Verbraucher? Oder die Politik, die eher übersichtlich denkt?

Der Verbraucher ist insofern ein Problem, weil er am liebsten den idealen Ökobetrieb als Lieferant hätte. Da müssen wir ihn enttäuschen, wenn er meint, dass das die Zukunft ist. Aber worauf wird es denn hinauslaufen? Die Verbraucherpreise für Grundnahrungsmittel werden steigen. Und wenn wir noch mehr Ökolandwirte haben, werden sie noch stärker steigen. Eigentlich wäre es aber konsequent, dass wir die veredelten Produkte reduzieren. Also, weniger Fleisch, Käse etc. Da müssen wir runter. Sonst kriegen wir unsere Gesundheitsprobleme nicht in den Griff.

Wenn wir aber das tun, brauchen wir automatisch weniger Fläche, um die gleiche Menge an Kalorien zu erzeugen. Ich denke, dass am Ende die Ernährung nicht unbedingt fleischlos sein wird. Aber das Verhältnis zwischen veredeltem Produkt und pflanzlichem Produkt wird sich ändern. Damit haben wir eine komplett neue Lage, wenn es um die Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen geht. Übern Daumen werden weltweit auf 600 Millionen Hektar Mais, Soja und Futterweizen angebaut. Wofür ist denn das?

Naja, für unser Schnitzel.

So, wenn nun aber der Anteil an Fleisch in der Ernährung nur etwas zurückgeht. Ich sage bewusst nur etwas. Dann planen wir vielleicht nur mit 400 Millionen Hektar für Mais, Soja und Futterweizen. Dann haben wir neue Fläche für anderes, vielleicht extensivere Kulturen oder pflanzenbasierte Kulturen.

Dann ist es doch die Politik, die sich nicht traut, den Leuten reinen Wein einzuschenken?

Das kann man so sagen. Aber gehen Sie mal in die USA. Da geht es um die Umsetzung von Obama Care, also der Gesundheitsvorsorge, die Obama ins Leben gerufen hat. In einem Regierungspapier heißt es: Das ist nicht finanzierbar, wenn man nicht parallel die Ernährung umstellt. Wir haben zu fette Menschen. Wir müssen per Gesetz die Nahrungsmittelindustrie zu bringen, den Fleischanteil, den Zucker, Geschmacksverstärkerzusatz zu verringern. Deutlich!

Die Menschen brauchen den milden Zwang?

Es ist Fakt. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Die Menschen hören nur nicht hin. Das Gleiche ist es mit dem Klima. Wenn wir etwas nicht hören wollen, heißt es, dass die Wissenschaft keine Ahnung hätte. Das geht aber auch voll gegen einen klassischen Ökobetrieb. Denn der lebt davon, einen hohen Anteil an Tieren zu halten. Wenn aber der Anteil reduziert wird, haut das System nicht mehr hin. Der klassische Ökobetrieb geht genauso wenig wie der konventionelle mit Gentechnik und der ganzen Chemie. Da ist Ende.

Damit wird Hybrid-Landwirtchaft immer wichtiger.

Jetzt haben Sie es gesagt. Hybrid-Landwirtschaft hat eine Schlüsselfunktion.

Die letzten Tage ist ja der Vorstoß der Grünen zu einem Veto bei Klimafragen diskutiert worden. Was denken Sie darüber?

Ich bin ein großer Fan von unserem Green Deal. Was wir Europäer da losgetreten haben, ist fantastisch. Nehmen Sie die Forderung nach Kreislaufwirtschaft. Oder die Aussage von VW, dass Diesel nicht mehr gebaut werden. Da hat die Politik eine gigantische Innovationskaskade in Gang gesetzt. Natürlich fallen da auch Leute hinten runter. Wer ein Kohlekraftwerk hat, ist am Arsch. Aber am Ende gehen wir in Deutschland und in der Welt in die richtige Richtung.

Landwirtschaft kommt ja dabei leider als Bremser rüber.

Da haben Sie recht. Das liegt zum Teil daran, wie wir uns in der Öffentlichkeit darstellen. Da landet man auch beim Bauernverband. Den wird man auch in Frage stellen müssen. Wir sind selbst schuld an unserem Image. Aber es ändert nichts daran, dass es eine hohe Bereitschaft gibt, sich zu verändern und etwas anzupacken. Das macht Hoffnung.•

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