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Eine Frage der Haltung

Karl und Gesine Harleß in ihrem Wohlfühlstall für Schweine. 

Auf den Punkt

  • Im Jahr 2009 stiegen Karl und Gesine Harleß mit einem neuen Stall in die Schweinemast ein.
  • Seit 2015 arbeiten sie an der Haltung von Schweinen mit intaktem Ringelschwanz.
  • Über die Jahre haben sie für sich ein Management entwickelt, das für ihren Betrieb funktioniert.

Mit einem freundlichen, ruhigen „Hallo“ betreten Karl und Gesine Harleß das Abteil. Leises Grunzen und aufmerksam gespitzte Ohren begrüßen sie. Ansonsten herrscht Ruhe. „Für uns ist es sehr wichtig, dass wir, wenn wir im Stall arbeiten, auf die Tiere Rücksicht nehmen“, sagt Karl Harleß. „Immerhin betreten wir ihre Komfortzone und wollen nicht unnötig Stress in den Stall bringen.“

Gemeinsam mit seiner Frau baute der Landwirt im Jahr 2009 einen Maststall als neuen Betriebszweig in Schwienau im Landkreis Uelzen. Als Neueinsteiger in die Schweinemast hatte das Ehepaar eine besondere Haltung. „Wir wollten lernen und vielleicht auch ungewöhnliche Wege gehen“, erinnert sich Gesine Harleß.

„Im Jahr 2011 wurden wir von unserem Vermarkter, der Vion, angesprochen, ob wir bei dem Tierwohlprogramm des Unternehmens teilnehmen wollen.“ Damals wurde das Label „Für mehr Tierschutz“ des Tierschutzbunds in Kooperation mit der Vion ins Leben gerufen. „Das war der Beginn eines sehr guten Austauschs zwischen Beratern und den Vermarktern. Außerdem sammelten wir damals erste Erfahrungen damit, einen längeren Schwanz bei den Schweinen zu erhalten“, ergänzt ihr Mann.

2015 nahm Familie Harleß mit ihrer Schweinemast am Modell- und Demonstrationsvorhaben Tierschutz (MuD) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft teil. „Wir waren Teil des Netzwerks zur Erhaltung des Ringelschwanzes“, sagt Gesine Harleß. Für die Teilnahme am MuD-Vorhaben erhielten die Schweinehalter für projektbezogene Investitionen vom Bund eine Förderung.

Mit diesem Schritt begann eine herausfordernde Zeit für die Familie, denn einen intakten Ringelschwanz bei den Schweinen zu erhalten ist anspruchsvoll. „Wichtig ist, dass man es als Tierhalter umsetzen will und auch bereit ist, die entsprechenden Maßnahmen und Mehrarbeit zu leisten“, sagt er.

Mit dem Netzwerk im MuD-Vorhaben haben sie sehr viel Glück gehabt. „Der Austausch zwischen den teilnehmenden Betrieben, den Beratern und der Wissenschaft war sehr gut“, erinnert sich Gesine Harleß. „Wir konnten bei Fragen oder kritischen Themen immer auf andere Betriebe oder Berater zurückgreifen und voneinander lernen.“

Beschäftigung anbieten

Ein wichtiger Aspekt, den Karl und Gesine Harleß gelernt haben, war, sich in die Tiere ein Stück weit hineinzuversetzen. „Das bedeutet auch, dass wir die Ferkel, wenn wir sie einstallen, dort abholen müssen, wo sie stehen. Sie kommen aus einer anderen Haltung. Unser Stall ist erst einmal für sie fremd. Daher müssen wir ihnen den Einstieg bei uns so angenehm wie möglich gestalten“, sagt Karl Harleß. Dazu bereiten Harleß‘ die Buchten mit verschiedenen Beschäftigungsmaterialien und einem Begrüßungsfutter vor. „Dieses Vorgehen und auch die Auswahl der Materialien haben wir uns über die Jahre hinweg erarbeitet. Wir probierten viel aus, verwarfen einige Ideen wieder oder behielten Dinge bei, die für uns und die Tiere gut funktionierten“, sagt er.

Als Beschäftigungsmaterial bietet Familie Harleß den Schweinen auch Jutesäcke an. 

Als Beschäftigungsmaterial bietet Familie Harleß den Schweinen unter anderem Seile, Futterketten, Jutesäcke und einen Ball an. „Beschäftigungsmaterialien wie die Ketten, Seile und Jutesäcke befestigen wir an Karabinerhaken, die an der Decke über der Bucht hängen“, sagt Karl Harleß. Wichtig dabei sei, dass die Beschäftigungsmaterialien frei in der Bucht hängen und nicht an den Buchtenwänden. „Besonders bei den Seilen ist das hilfreich, denn die Tiere kauen dann eher an ihnen als an den Schwänzen der Artgenossen“, erklärt er.

Zudem müsse das Angebot der Beschäftigungsmaterialien auf dem Boden stattfinden. „Schweine wühlen und erkunden ihre Umgebung mit dem Rüssel am Boden. Daher müssen wir ihnen auch hier, wo ihr Hauptaufmerksamkeit liegt, Beschäftigung und Abwechslung bieten“, sagt er. Mit dem Angebot von Heu oder Stroh in Raufen hat Familie Harleß dagegen keine guten Erfahrungen gemacht. „Das Langstroh hat nicht nur die Güllekanäle verstopft, sondern auch die Tiere zu wenig beschäftigt“, sagt er.

Rohfaser im Futter unterstützen die Darmgesundheit. 

Heute erhalten die Tiere ein selbst gemischtes Begrüßungsfutter, das schmackhaft ist und sie zur Beschäftigung animiert.„Die Zusammensetzung dieses Futters haben wir uns über die Jahre hinweg erarbeitet“, sagt der Schweinehalter. „Um den Ringelschwanz zu erhalten, muss ihre Darmgesundheit unterstützt werden. Dazu benötigen wir Rohfaser im Futter.“ Allein den Rohfasergehalt im Futter zu erhöhen, reiche nicht aus. „Wir müssen den Tieren die Wahl geben, welches Futter sie aufnehmen – das Strukturfutter oder die herkömmliche Ration.“ So befinden sich in den Buchten zwei Futterautomaten, ein Raufutterautomat, der auf strukturreiches Futter ausgelegt ist, und ein herkömmlicher Trockenfutterautomaten.

„Wir haben uns bei der Ration bewusst für Trockenfutter entschieden“, sagt Karl Harleß. Bei den Tieren sorge das für langsameres Fressen und sie müssten zwischendurch immer mal wieder zur Tränke gehen, um Wasser aufzunehmen. „Unbewältigte Freizeit spielt bei den Schweinen eine wichtige Rolle in Bezug auf Langeweile und letztlich auch Stress. Beides müssen wir so gut es geht vermeiden. Tiere, die ihr Futter schnell herunterschlingen, haben dementsprechend mehr Freizeit, in der sie sich beschäftigen müssen. Gelingt ihnen das nicht optimal, steigt der Frust. Dann kann ein Beißgeschehen unter den Tieren seinen Lauf nehmen“, erklärt der Landwirt.

Das strukturreiche Futter besteht aus Dinkelspelzen, Hafer und Bruchmais. Außerdem setzen die Landwirte Huminsäure, Benzoesäure, die Vitamine C und E sowie Häckselstroh zu. „Bis zu 1 Prozent besteht das Mastfutter zudem aus Gesteinsmehl. Die darin enthaltenen Zeolithe können Ammoniak in der Gülle binden und wir haben das Gefühl, dass sich das Gesteinsmehl positiv auf die Tiere auswirkt.“

Die Tiere bekommen ein ganz besonderes strukturreiches Begrüßungsfutter. 

Das Strukturfutter erhalten die frisch eingestallten Ferkel als Begrüßungsfutter sowohl im Raufutterautomaten als auch auf einer planbefestigten Platte, die auf dem Boden installiert ist. „Das unterstützt die Wühlaktivität der Tiere noch einmal“, sagt Gesine Harleß.

Buchtenstruktur optimieren

Nicht nur das Anbieten von Beschäftigungsmaterial hat Familie Harleß optimiert. „Die Buchtenstruktur, die Lüftung, das Lichtangebot und die Einstellung der Futterautomaten gehören zum Gesamtkonzept genauso dazu“, sagt sie. Seit einiger Zeit haben Harleß‘ beispielsweise die Deckenlampen über den Buchten zur Seite des Zentralgangs verhangen. „So bieten wir den Tieren einen helleren Aktivitätsbereich im hinteren Teil der Bucht und einen ruhigeren, dunkleren Bereich im vorderen Teil“, sagt Karl Harleß. Auch das sei eine Erkenntnis aus dem MuD-Projekt gewesen.

Um den Tieren mehr Struktur zu bieten hat Familie Harleß immer zwei nebeneinander liegende Buchten zu einer zusammengefasst. „Die alte Trennwand haben wir als Strukturelement in der Bucht gelassen und an die gerade Trennwand ein Trennwandelement schräg angesetzt. Mit dieser Anordnung können wir den Tieren Rückzugsmöglichkeiten und Wände zum Abliegen bieten. Gleichzeitig haben wir dank der schrägen Anordnung weiterhin eine optimale Übersicht über die Bucht“, erklärt er.

Im Ernstfall handeln

Trotz all dieser Bemühungen können Karl und Gesine Harleß Beißversuche nicht vollständig unterbinden. „Es sind immer einzelne Tiere dabei, die ihre Artgenossen beißen. Das sind meist Tiere, die aus irgendeinem Grund nicht mit der Umgebung zurechtkommen“, erklärt Gesine Harleß. Diese Tiere mit einer genauen Tierbeobachtung möglichst früh herauszufinden, sei besonders wichtig. Sind Schwänze durch Beißen verletzt oder wund, versorgen die Schweinehalter es mit Klausan, einem Pflegemittel zur Regeneration. „Eigentlich wird dieses Mittel bei Klauenverletzungen angewendet. Wir haben aber festgestellt, dass es sich gut eignet, um verletzte Schwänze zu versorgen. Es wirkt blutstillend und sorgt für einen schnellen Wundverschluss. Die verletzten Schwänze dippen wir vorsichtig in die Lösung, während wir durch die Bucht gehen“, beschreibt Karl Harleß.

Beißer werden in der Regel in ein Krankenabteil separiert und für den Notfall haben Harleß’ immer Strukturfutter, Gesteinsmehl und Beschäftigungsmaterial parat. „Tritt Schwanzbeißen auf, müssen wir die Tiere für mindestens zwei Tage von den verletzten Schwänzen ablenken, bis diese wieder ansatzweise verheilt sind. Dafür müssen wir Anreize schaffen und für Abwechslung sorgen“, sagt Gesine Harleß. In der Regel seien die ersten fünf Wochen nach dem Einstallen die kritische Zeit, in der es vor allem zu Schwanzbeißen kommen kann.

Um verwundete Schwänze zu versorgen, nutzt Familie Harleß das Pflegemittel Klausan.

Das Halten von Schweinen mit intakten Ringelschwänzen sei nicht einfach. „Man muss als Landwirt bereit sein, mehr Zeit und Aufwand in Kauf zu nehmen“, sagt Gesine Harleß. In Niedersachsen sorge seit gut drei Jahren die Ringelschwanzprämie dafür, dass die Mehrkosten ansatzweise aufgefangen würden, ergänzt ihr Mann. „Wir bieten den Tieren damit mehr Lebensqualität. Um das zu erreichen, muss es aber auch ein gewisses Umdenken geben“, sagt er. Letztlich sei es eine Frage der Haltung – der der Tiere, aber auch der inneren Haltung der Landwirte. ●

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