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Schweine wissen selbst, was sie wollen

Christoph Becker will seinen Schweinen mehr Tierwohl bieten und bringt dazu immer wieder kreative Ideen ein. Dafür ist er nun zum zweiten Mal Preisträger des Innovationspreis Tierwohl.

Schweine sind intelligente Tiere. Was jedem Schweinehalter bekannt sein dürfte, hat Christoph Becker auf die Idee des „Schweinebuzzers“ gebracht. „Schweine wissen selbst am besten, was sie wollen und brauchen. Deshalb wollte ich den Tieren mehr Entscheidungen überlassen“, erklärt der Schweinemäster aus Wietzendorf (Heidekreis).

Darum konstruierte er eine Vorrichtung, mit der Schweine ein elektrisches Signal auslösen können – den Schweinebuzzer. Die Schweine schieben einen PVC-Pfahl in einer Art Rohr an der Wand nach oben und betätigen damit einen Schalter. So können sie selbst eine Dusche oder einen Futterautomaten einschalten oder eine Tränke mit Wasser füllen. Für diese Erfindung hat die Initiative Tierwohl (ITW) Becker mit dem ersten Platz des Innovationspreises Tierwohl ausgezeichnet.

Die Tiere können eigenständig jederzeit eine Dusche aktivieren.

Der 36-Jährige hat den Betrieb 2010 von seinem Vater übernommen und bewirtschaftet ihn mit zwei festangestellten Arbeitskräften, seiner Frau und seinen Eltern. Neben der Schweinemast mit 1.042 Plätzen umfasst der konventionelle Betrieb 100 Hektar Forst, 100 Hektar Ackerland mit Silomais-, Zuckerrüben- und GPS-Anbau sowie eine Biogasanlage.

Veränderungen sind nötig

Becker ist überzeugt, dass die konventionelle Schweinehaltung sich verändern muss und war deshalb schon immer offen für Veränderungen in seinem Betrieb. Seit 2016 nimmt er an der ITW und am Ringelschwanzprämienprogramm Niedersachsen teil, 2018 bis 2020 war er Teil des Modell- und Demonstrationsvorhabens (MuD) Tierschutz. Einige Jahre vermarktete er seine Tiere in der Einstiegsstufe des Tierschutzlabels des Deutschen Tierschutzbundes. Alle Schweine auf Beckers Betrieb haben ein Platzangebot von 1,5 m² und Zugang zu einem Strohauslauf. Die Ferkel bezieht er von einem Erzeuger in nur acht Kilometern Entfernung. Geschlachtet und vermarktet werden sie seit diesem Monat über Brand Qualitätsfleisch in Lohne.

Als die ITW vergangenes Jahr erstmals den Innovationspreis Tierwohl verlieh, belegte Becker den dritten Platz. Grund für die Auszeichnung war die Umstrukturierung eines ehemaligen Vollspaltenstalles, Baujahr 1988.

Der junge Landwirt hat die frühere Buchtenstruktur mit Einzelbuchten entlang eines Mittelganges aufgebrochen, sodass große Längsbuchten mit je circa 45 Tieren entstanden sind und die Tiere in allen Buchten Zugang zur Außenwand und mittlerweile zu einem Auslauf haben.

Strukturierte Buchten

Außerdem schuf er verschiedene Funktionsbereiche: In einigen Bereichen gibt es bewusst Zugluft, an dunkleren, geschützten Stellen befinden sich die Futterautomaten und Liegeflächen. Außerdem gibt es Strohtürme zu Beschäftigung.

Mittlerweile nehmen die Schweine die Funktionsbereiche gut an, doch Becker gibt zu, dass das nicht von Anfang an so war. „Die Funktionsbereiche waren ein ewiges Problem, da hat vieles nicht geklappt. Aber inzwischen haben wir viel dazugelernt. Wenn alles stimmt, sehen die Schweine allein, welche Bereiche für was gedacht sind.“

Besonders entscheidend sei die Zugluft. Die Schweine würden sich als Liegefläche immer möglichst geschützte Bereiche suchen, in diesem Fall hinter einer Stichwand. Noch besser angenommen werde der Bereich, weil sich hier auch die Futterautomaten befinden und die Beleuchtung entsprechend angepasst ist. Seine Erfahrungen zur Buchtenstrukturierung hat Becker auch in das kürzlich erschienene Merkblatt der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) zur Strukturierung von Buchten in Ferkelaufzucht und Schweinemast eingebracht.

Große Gruppen

Den zweiten Stall auf dem Hof haben Beckers Eltern 2001 als Außenklimastall mit Betonliegeflächen, Spaltenboden und Strohauslauf gebaut. Er umfasst 600 Plätze und die Tiere stehen in Gruppen von circa 46 Tieren. Bezüglich der großen Gruppen berichtet der Mäster, dass er inzwischen sowohl Vor- als auch Nachteile kennengelernt hat. Dennoch überwiegen für ihn bei Gruppen mit bis zu 50 Tieren die Vorteile, besonders in Hinblick auf das Verhalten der Tiere. Die Tierkontrolle sei durchaus machbar, wenn auch aufwendiger als zuvor, und vieles werde mit der Zeit einfacher, da man sich an das neue Management gewöhne.

Verbraucher mitnehmen

Becker legt Wert darauf, bei den Veränderungen im Stall auch die Verbraucher mitzunehmen. Als besonders erfolgreich habe sich der Strohauslauf erwiesen – er komme auf den Social Media Kanälen bei den Verbrauchern gut an. Dem jungen Landwirt ist bewusst, dass Veränderungen im Stall für mehr Tierwohl auch finanziert werden müssen, aber seine Erfahrungen zeigen, dass sich mit der Teilnahme an verschiedenen Programmen, die im Idealfall kombinierbar sind, vieles umsetzen lässt. Außerdem seien viele Schritte nicht so groß, wie man anfangs denken würde – zum Beispiel der Schritt zur Haltung unkupierter Schweine. Er ruft seine Berufskollegen auf, aktiv vorzugehen: „Man hört immer wieder von Tierhaltern, dass sie den ersten Schritt erst machen wollen, wenn der Absatz garantiert da ist. Aber wir müssen uns auch selbst auf den Weg machen und etwas anbieten.“

Alle Schweine in Beckers Stall können einen eingestreuten Auslauf nutzen und haben ein Platzangebot von 1,5 m² pro Tier.

Tierwohl ist für Becker ein wichtiges Anliegen und auch immer wieder Auslöser für neue Ideen. Bei der Umsetzung dieser Ideen kommt ihm zugute, dass er in seiner Freizeit gerne in seiner Werkstatt steht und bastelt. So habe er auch den Schweinebuzzer selbst gebaut und installiert, nur die erste Version des Schalters kam vom Elektriker.

Die Dusche war der erste Einsatzort für den Schweinebuzzer. „In der Natur suhlen sich Schweine, wann immer sie wollen – daher wollte ich ihnen im Stall die Möglichkeit geben, eigenständig jederzeit die Dusche anzustellen“, erzählt der Landwirt. Doch die Dusche war nur der Anfang. Die Schweine nehmen sie nicht nur gut an, sondern Becker beobachtete auch immer wieder, dass sie das Wasser aus der Dusche von den Spalten leckten, obwohl ausreichend freie Tränken in der Nähe waren.

Daher entwickelte er seine Konstruktion weiter zu einem flachen Bodentränkebecken, das die Schweine ebenfalls über einen Buzzer mit Wasser füllen können. Mit einem Zähler habe er ermittelt, dass jedes Tier im Durchschnitt sechsmal am Tag über den Buzzer die Tränke aktiviert. Die Tiere würden mehr Wasser daraus aufnehmen als aus den konventionellen Tränken. Seine Erklärung dafür: Vom Boden zu trinken, ist für die Schweine deutlich näher an ihrem natürlichen Verhalten als auf Kopfhöhe aus einem Edelstahlbecken oder einer Nippeltränke Wasser aufzunehmen.

Auch eine Bodentränke können die Schweine über den Buzzer füllen, indem sie den PVC-Pfahl im Rohr nach oben drücken.

Dass die Schweine den Buzzer zum „Spielen“ nutzen, hat Becker noch nicht beobachtet: „Die Tiere drücken nur so lange sie etwas haben wollen. Danach hören sie auf.“ Eine weitere Anwendung fand der Buzzer bei einem Futterverteilautomaten, der Futter im Umkreis von ein bis zwei Metern zur Bodenfütterung verteilt. Becker hat noch viele Ideen für weitere Einsatzmöglichkeiten. Chancen sieht er auch darin, ihn im Sauenstall und systemübergreifend zu verwenden, da die Ferkel die Nutzung so von Beginn an von den Sauen lernen könnten.

Marktreife ist geplant

Neben den Schweinen lassen sich nach Beckers Erfahrungen über den Schweinebuzzer auch viele Verbraucher erreichen. „Die finden das toll. Andere Landwirte sind dagegen weniger überzeugt. Da zählt natürlich auch der wirtschaftliche Aspekt“, räumt er ein. Um in anderen Ställen zum Einsatz zu kommen, muss der Buzzer noch zur Marktreife gebracht werden. Doch Becker berichtet, dass Gespräche und Vorversuche mit einer Firma bereits laufen.

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