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„Kälber mögen es langweilig“

Mit 21 Tagen kommen die Kälber in die Gruppenhaltung. Wichtige Informationen sind auf Tafeln über den Boxen jederzeit nachzulesen.

 

Was sind die häufigsten Fehler in der Kälberaufzucht?

Der häufigste Fehler sind zu viele Stressfaktoren zur selben Zeit, zum Beispiel Umstallungen oder Impfungen. Dazu kommt, dass Landwirte oft zu wenig Zeit in die Kälber investieren und sie nicht so intensiv betreuen wie zum Beispiel die Milchkühe. Aber die Kälber sind unsere Kühe von morgen – wenn wir bei ihnen versagen, können sie als Kühe nicht die volle Leistung bringen. Daher sollte man sich mit den Kälbern befassen und mehr Zeit investieren.

Wie sieht die Kälberhaltung in Echem aus?

Wir halten die Kälber zuerst draußen in Einzeliglus. Mit 21 Tagen gehen sie dann in den Kälberstall in die Gruppenhaltung mit eingestreuten Buchten und Großraumiglus. Wir haben bis zu vier Gruppen mit vier bis sechs Kälbern mit einem Altersunterschied von maximal drei Wochen. Mit rund 14 Wochen kommen die Kälber auf die andere Stallseite in die Zweiflächenbuchten: Hier gibt es hinten einen eingestreuten Liegebereich und vorne eine rutschfeste Lauffläche, unterteilt in sechs Buchten. Im Idealfall bleiben die Gruppen von vorher bestehen.

Zur Gesprächspartnerin

Friederike Schreinecke
ist Ausbilderin am Landwirtschaftlichen Bildungszentrum (LBZ) Echem und betreut dort den Bereich Kälberhaltung.

Friederike Schreinecke

Was sind die ersten Schritte, wenn ein Kalb geboren wird?

Wir lassen die Kälber ungefähr eine dreiviertel Stunde bis Stunde bei der Mutter, bevor wir sie in die Kälberhütte holen. Wir wiegen sie, desinfizieren den Nabel und trocknen sie ab. Im Winter bekommen sie eine Wärmelampe bis sie trocken sind und anschließend eine Kälberdecke – von O bis O wie die Winterreifen.

Wichtig ist, dass die Kälber möglichst schnell Biestmilch bekommen – am besten in den ersten beiden Stunden nach der Geburt. Wir melken die Kuh ab und die Kälber bekommen die Biestmilch mit der Nuckelflasche. Davor prüfen wir, ob die Qualität stimmt. Der Brixwert, also der Gehalt an Immunglobulinen, sollte bei mindestens 24 Prozent Brix liegen. Wenn das nicht so ist, haben wir eine Reserve eingefroren und tauen davon etwas auf, damit die Kälber wirklich gute Biestmilch bekommen. So gibt es weniger Krankheitseinbrüche. Die Menge an Biestmilch sollte ungefähr zehn Prozent des Geburtsgewichts des Kalbes entsprechen – das sind in der Regel mindestens vier Liter. Wenn ein Kalb nur drei Liter von selbst trinkt, drenche ich den letzten Liter, sodass es die vier Liter wirklich aufgenommen hat. Wir haben einen flexiblen Drenchschlauch, der sich der Speißeröhre anpasst, damit klappt das gut. Besser ist es natürlich, wenn die Kälber die Milch selbstständig schlucken – auch, um den Schlundrinnenreflex in Gang zu setzen. Sie saufen dann oft später am Eimer besser. Neben der Biestmilch bekommen die Kälber noch einen Kälberbooster, eine Paste mit Eisen, Vitaminen und Immunglobulinen.

Wie geht es mit der Fütterung weiter?

In den ersten drei Tage bekommen die Kälber die Milch der eigenen Mutter. Dann werden sie auf Milchaustauscher (MAT) umgestellt. Die Fütterung ist sehr intensiv mit 160 Gramm MAT pro Liter und wir füttern von Anfang an ad libitum – in den Einzelbuchten mit Nuckeleimern, in den Gruppen mit Automaten.

Ab dem 35. Tag reduzieren wir die Milch langsam um zwei Liter pro Woche, also 0,3 Liter am Tag. Mit 42 Tagen wiegen wir die Kälber nochmal. Wenn bei einem Tier die Zunahmen nicht stimmen, steuere ich die Milch länger nach, aber das passiert eigentlich nur nach Krankheiten. Im Moment haben wir Tageszunahmen von durchschnittlich 1.100 Gramm. Mit zwölf Wochen sind die Kälber abgetränkt und wiegen 120 bis 130 kg. Wichtig ist, dass sie beim Abtränken schon richtig Raufutter aufnehmen.

Wie sieht die Raufutterfütterung aus?

Für eine gute Pansenentwicklung sollten die Kälber so früh wie möglich Raufutter fressen. Bei uns bekommen sie ab dem zweiten Lebenstag eine handelsübliche Kälber-TMR – und Wasser. Auch das ist wichtig, weil die Kälber dann mehr Milch saufen und mehr fressen. Beim Raufutter muss die Stärkequalität gut sein, damit der Pansen zu tun hat. Es muss gut riechen, schmackhaft sein und nicht zu pieksig, weil das Flotzmaul so empfindlich ist. Mindestens alle zwei Tage tauschen wir das Futter komplett aus, damit es schmackhaft und sauber bleibt.

In den Zweiflächenbuchten bekommen die Kälber noch eine Woche lang Kälber-TMR, damit sich Umgebung und Futter nicht zeitgleich ändern und es immer nur einen Stressfaktor gibt. Dann verschneiden wir die Kälber-TMR eine Woche lang mit der Ration der Altmelker und stellen dann vollständig auf diese um.

Dass es nie mehrere Stressfaktoren gleichzeitig gibt, ist ja auch Teil Ihres „Sieben-Tage-Rhythmus“…

Genau. Kälber sind ja super stressempfindlich. Früher wurden sie hier geimpft und zwei Tage später umgestallt. Man hat gemerkt, dass sie Stress hatten: Sie wollten nicht richtig saufen und bekamen Durchfall oder Probleme mit der Lunge. Inzwischen haben wir mit dem Sieben-Tage-Rhythmus feste Abstände, in denen etwas passiert und dazwischen können sich die Kälber erholen. Mit 14 Tagen impfen wir, mit 21 Tagen stallen wir in die Gruppen um, und so weiter (Tabelle, siehe unten). Seit wir das so machen, wandern die Kälber ohne Probleme durch die Aufzucht. Außerdem kann jeder am Alter eines Kalbes sehen, wo es hinmuss oder was wann passieren muss. Das ist hier in Echem ein besonderer Vorteil, weil wir durch die überbetriebliche Ausbildung oft Personalwechsel haben.

Was kann man sonst noch tun, um Stress bei den Kälbern zu vermeiden?

Wichtig ist ein ruhiger, sorgsamer Umgang und viel Geduld. Wenn ein Kalb nicht gleich saufen will, sollte man es ruhig länger probieren oder eine halbe Stunde später nochmal. Das zahlt sich aus. Auch das Wetter hat einen Einfluss. Wenn es Sturm oder Wetterumschwünge gibt, impfe ich nicht, um nicht noch mehr Stress zu verursachen. Außerdem sollten die Kälber immer möglichst dasselbe Futter bekommen. Sie mögen es langweilig und wollen jeden Tag das Gleiche fressen. Deshalb füttern wir ab dem vierten Lebenstag durchgehend MAT. Es wird nie übrige Vollmilch untergemischt. Im Idealfall füttert sogar immer dieselbe Person.

Was ist sonst noch wichtig für die Gesundheit der Kälber?

Hygiene. Es muss alles immer sauber sein. Das fängt im Abkalbestall an: Die Kälber sollen im sauberen Stroh geboren werden, die Kälberkarre muss sauber sein und es darf kein Dreck in die Biestmilch gelangen. Die Tränkeeimer reinigen wir morgens und abends, die Nuckel an den Automaten täglich und es gibt jeden Tag frisches Wasser. Die Kälberhütten reinigen und desinfizieren wir nach dem Ausstallen und verwenden sie erst nach mehreren Wochen Leerstand wieder. Außerdem wechseln wir regelmäßig den Standort.

Worauf muss man bei der Einstreu achten?

Stroh ist wichtig als Wärmespeicher und hält die Kälber trocken. Wir halten uns beim Einstreuen an den Nestingscore: Das Ziel ist Score 3, das heißt, die Gelenke müssen beim liegenden Kalb mit Stroh bedeckt sein.

Wie machen Sie bei Hitze?

Die Einzeliglus stehen im Sommer in einem überdachten Bereich vor dem Stall oder zumindest nie in der prallen Sonne. Außerdem brauchen die Kälber dann besonders viel Wasser. Wenn es richtig heiß ist, legen wir Backsteine unter die Hütten, damit die Luft zirkulieren kann. Und wir scheren den Kälbern im Sommer den Rücken frei, damit sie die Hitze besser abgeben können.

Wie stellen Sie sicher, dass trotz der häufigen Personalwechsel alles gut läuft?

Bei uns im Stall hängen an jeder Ecke Tafeln und Arbeitsanweisungen. Auch den Sieben-Tage-Rhythmus haben wir als Ausdruck im Stall hängen und auf Tafeln über den Iglus steht alles, was angefallen ist: wann Kälber enthornt wurden, was sie an Futter bekommen oder ob eins krank war. Man kann immer alles nachlesen.

Reichlich Stroheinstreu ist wichtig als Wärmespeicher. Außerdem tragen die Kälber in Echem im Winter eine Kälberdecke. Ab dem zweiten Lebenstag bekommen sie eine Kälber-TMR und Wasser.

Mit der Änderung der Tierschutztransportverordnung dürfen Kälber künftig erst ab einem Alter von 28 Tagen transportiert werden. Was ändert sich dadurch bei Ihnen?

Wir behalten die männlichen Kälber seit dem Bundesratsbeschluss im Juni für mindestens fünf Wochen. Wir behandeln sie wie die weiblichen Kälber, die Abläufe bleiben gleich. Aber die Folge ist natürlich weniger Platz und ein höherer Zeitaufwand, weil mehr Kälber da sind. Der Leerstand ist nicht mehr wie vorher. Die Landwirte brauchen definitiv mehr Hütten, mehr Kälberdecken, mehr Futter… Die Kosten dafür sind hoch und bei niedrigen Kälberpreisen lohnt es sich nicht.

Welche Zukunftspläne haben Sie für die Kälberaufzucht?

Irgendwann wollen wir den Kälberstall umbauen: Die Großraumiglus an der Außenwand des Stalles sollen verschwinden und wir wollen stattdessen eine Wand hochziehen und das Dach verlängern. Aber das dauert noch. Fest steht, dass wir bald ein Milchtaxi bekommen. Das bringt mehr Arbeitskomfort, wir sparen uns das Eimerschleppen und viel Arbeitszeit und können den Schülern etwas zeigen.

Bleibt es bei den Einzeliglus oder wäre Gruppenhaltung eine Alternative?

Wir haben ein Doppeliglu, das funktioniert manchmal gut und manchmal nicht. Die Kälber müssen gut zusammenpassen und im Idealfall am gleichen Tag geboren sein. Am besten hat es bisher geklappt, wenn sie die ersten zwei/drei Tage allein standen, weil sie dann den Nuckeleimer schon kannten. Sonst besaugen sie sich oft gegenseitig. Seit Kurzem haben wir auch zwei Boxen für je drei Kälber, bei denen man die Zwischenwände hochziehen kann. Mein Plan ist, dass die Kälber die ersten Tage allein stehen und wir dann die Wände rausnehmen. Da bin ich gespannt, wie das funktioniert.

Rinderhaltung am LBZ Echem

  • 155 Milchkühe
  • Leistung: 10.500 Liter (4,2 Prozent Fett, 3,6 Prozent Eiweiß)
  • Zwei Herden: Eine per Roboter gemolken, eine konventionell.
  • Rasse: Schwarzbunte und einzelne Tiere der Rassen Deutsches Niederungsrind, Fleckvieh und Braunvieh
  • Kälberstall mit 60 Plätzen in Strohbuchten mit Großraumiglus und Zweiflächenbuchten, 20 Einzeliglus plus zwei Dreierboxen mit Abtrennungen
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